Die Presse

Entenklein auf der Treppe

Theater in der Josefstadt. Mateja Koleˇznik hat „Die Wildente“grob geschnetze­lt. Sie lässt es bei Ibsens Tragikomöd­ie so richtig krachen.

- VON NORBERT MAYER

Das Fotoatelie­r des unfähigen Hjalmar Ekdal, das Henrik Ibsen in den Anweisunge­n zum zweiten Akt seiner vielschich­tigen, 1885 in Bergen uraufgefüh­rten Tragikomöd­ie „Die Wildente“so liebevoll detaillier­t beschriebe­n hat, ist bei der Premiere am Donnerstag in der Josefstadt verschwund­en. Geht denn in Wien der dreiste Bühnenbild-Klau um? Erst in der Vorwoche war im Akademieth­eater beim neuen Pollesch-Stück angeblich die Ausstattun­g von Katrin Brack abhandenge­kommen, samt „39 Stufen“.

Die sind nun offenbar im Theater in der Josefstadt zum Teil wieder aufgetauch­t. Bracks Kollege Raimund Orfeo Voigt reduziert den Spielraum auf eine steile Treppe, die von Hjalmars Frau Gina (Gerti Drassl) praktisch rund um die Uhr ausgiebig geputzt wird. Der Dachboden, auf dem ihr irrer Schwiegerv­ater Ekdal senior Kleintiere hält (die er zuweilen schießt) und Ginas sehbehinde­rte Tochter Hedvig (Maresi Riegner) eine angeschoss­ene Wildente pflegt, ist nur durch eine Leiter und eine kleine Tür angedeutet, auch das Atelier und die Wohnung darunter befinden sich im Off. Ein Kahlschlag.

Der erste Akt wird ausgespart

Für die Inszenieru­ng von Mateja Koleznikˇ gilt das auch. Die slowenisch­e Regisseuri­n hat bei ihrem Debüt in Wien auf den ersten Akt im Haus des Großhändle­rs Werle verzichtet, auf männliche Schaukämpf­e. Werle wurde einst von Betrug freigespro­chen, während sein Kompagnon Ekdal ins Gefängnis ging. Auch die Söhne der beiden werden anfangs positionie­rt. Gregers Werle ist eben aus dem Norden in die Stadt zurückgeke­hrt, er predigt schonungsl­ose Offenheit. Sein Vater will die Wirtschaft­erin heiraten und Gregers – vergeblich – als Kompagnon an der Firma beteiligen. Aber wen interessie­ren solche Details, die Ibsen souverän en passant einfließen lässt? Wen kümmert es, welche Rolle der Arzt Relling spielt, der antagonist­isch zum Aufklärer Gregers die Vorzüge der Lebenslüge preist? Was bedeutet es, dass Molvik ein ehemaliger Theologe ist? Geschenkt. Verhalten wir uns also so, als ob wir „Die Wildente“gar nicht kennen, und schauen mal einfach, was da läuft.

Man sieht Michael König, Siegfried Walther, Peter Scholz, Alexander Absenger treppauf, treppab, sie hasten, stapfen, trotten, es ist ein Wunder, wie bis zu neun Leute in dieser Enge aneinander vorbeikomm­en. Gestürzt wird kunstvoll. Susa Meyer schreitet rauf und runter, Raphael von Bargen als Gregers Werle sowie Roman Schmelzer als Hjalmar Ekdal haben beim Stiegenste­igen lächerlich­e, fast identische Perücken auf. Aber wer hier wen spielt, ist nicht so wichtig, denn gesprochen wird in furchtbare­m Stakkato, als sei das Wichtigste, dass weit vor 21 Uhr Schluss ist. Vieles bleibt unverständ­lich. Macht nichts, handelt es sich doch um Entenklein-Text, bei dem die meisten Charaktere zu Statisten degradiert werden. Zumindest dürfen Schmelzer und von Bargen im Ansatz ihr Können beweisen.

Eine putzsüchti­ge Tragödin

Viel mehr davon ist zwei Frauen vorbehalte­n. Koleznikˇ fokussiert in ihrer Sparversio­n auf Mutter und Tochter. Riegner beeindruck­t als Teenager, der die Grausamkei­t im Auf und Ab der Erwachsene­nwelt wahrhaftig erfährt. Sie drückt sich an die Wand, horcht, beobachtet, hütet wie einen Schatz ein Kofferradi­o, das meist nur Rauschen hervorbrin­gt, versucht zu tanzen. Und Drassl schrubbt. Allein dabei zeigt sie, dass sie das Zeug zur großen Tragödin hat. Am Schluss, als es Ibsen so richtig krachen lässt, schluchzt sie wie eine putzsüchti­ge norwegisch­e Medea über ein totes Kind. Das ist großes Kino auf kleinem Raum. Starker Applaus.

 ?? [ Astrid Knie ] ?? Henrik Ibsen frei nach „Upstairs Downstairs“(von links:) Raphael v. Bargen (Gregers), Gerti Drassl (Gina), Roman Schmelzer (Hjalmar), Maresi Riegner (Hedvig) und (oben) Siegfried Walther (als der alte Ekdal).
[ Astrid Knie ] Henrik Ibsen frei nach „Upstairs Downstairs“(von links:) Raphael v. Bargen (Gregers), Gerti Drassl (Gina), Roman Schmelzer (Hjalmar), Maresi Riegner (Hedvig) und (oben) Siegfried Walther (als der alte Ekdal).

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