Wagners „Tannhäuser“und Herzls „Altneuland“
An Carl Schorske kommt nicht vorbei, wer sich mit dem Wiener Fin de Si`ecle befasst. Daher ist die Neuauflage seines kulturhistorischen Werks aus dem Jahre 1980 enthusiastisch zu begrüßen. Freud, Hofmannsthal, Schnitzler: Sie haben den 1915 in New York geborenen Soziologen mit deutschen Wurzeln ebenso fasziniert wie die Person und das Werk Theodor Herzls. Für den Pariser Korrespondenten der „Neuen Freien Presse“gab die ungerechtfertigte Verurteilung des jüdischen Offiziers im französischen Generalstab, Alfred Dreyfus, den letzten Ausschlag: Die versuchte Assimilierung des europäischen Judentums an die Mehrheitsbevölkerung sei misslungen. Daher gelte es, angesichts des keimenden Nationalismus eine eigene Identität zu finden und in das Land der Väter auszuwandern.
1897 besuchte Herzl eine „Tannhäuser“-Aufführung. „Im Fieber der Begeisterung skizzierte er wie besessen seinen Traum der jüdischen Auswanderung aus Europa“, schreibt Schorske. „Herzl weihte sich nun dem Ruhm, für die Juden zu träumen, so wie er früher vom Ruhm für sich selbst geträumt hatte.“An den Beginn seiner utopischen Erzählung „Altneuland“stellte er die berühmte apodiktische Forderung: „Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen!“
Dass Herzl der politischen Gedankenwelt seiner Zeit verhaftet blieb, arbeitet Schorske plastisch heraus. Denn er stellt den Vater des Zionismus neben Georg Schönerer und Karl Lueger: „Alle drei nahmen sich der Sache der sozialen Gerechtigkeit an und machten es zum Mittelpunkt ihrer Kritik am Scheitern des Liberalismus.“Als Symbol des Zionismus schlug Herzl eine weiße Fahne vor, geziert von sieben goldenen Sternen. Die sollten die sieben „goldenen Stunden des Arbeitstages“verkörpern. (hws)
Carl. E. Schorske, „Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Si`ecle“, Molden, 383 Seiten, 39,90 €