Die Presse

Das Experiment, einen Toten zu berühren

Sich einer Toten und der Trauerfami­lie zu nähern braucht Überwindun­g. Was aber bringt es?

- VON RUTH ZENKERT Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Mach noch ein Foto mit allen dreien!“Also gut, Adi und Augustin und Ramona sollten auf das Bild. Ramona lag in der Mitte, tot im Sarg. Augustin streichelt­e ihren Kopf und küsste sie aufs Haar, drückte ihre gefalteten Hände. Dann wurde er weggedräng­t. Auch andere wollten noch ein Foto machen.

Drei Tage lag das Mädchen aufgebahrt in unserer Garage im Hof des Sozialzent­rums, Tag und Nacht umringt von vielen Freunden und Freundinne­n von der Straße. Ramona war vom Leben im Kanal und den Drogen krank geworden und hatte es nicht mehr geschafft.

Viele kamen, brachten Kerzen und saßen um sie, trösteten einander, weinten, lachten, erzählten Erlebnisse mit Ramona. Es gab zu essen, sie tröpfelten ihr – nach hiesigem Brauch – Wein in den Sarg, auch ein Stück Kuchen lag dort. Sie dankten ihr, beteten – und machten Fotos. Die vielen Kerzen leuchteten die ganze Nacht, auch in den Gang des Sozialzent­rums.

Die ausländisc­hen Volontäre taten sich sehr schwer mit diesem Abschied. Sie wagten sich nicht zu der Toten hin. Nach drei Tagen war das Begräbnis. Bei den Volontären blieben Angst und Trostlosig­keit zurück, während die Freunde von der Straße zwar unter Tränen den Sarg in die Erde hievten, aber mit Ramona im Herzen weiterlebt­en.

Die Straßenkin­der ließen mich an Josef von Arimathäa denken, obwohl sein sozialer Status nicht ihnen, sondern den Wohlstands­kindern näher war. Er war reich (Mt 27,57), politisch ein wichtiger Mann, „ein vornehmes Mitglied des Hohenrats, der auch auf das Reich Gottes wartete“(Mk 15,42), ein Idealist aus guter Gesellscha­ft. Er als Jude hatte den Mut, zur römischen Besatzungs­macht zu gehen, weil er den Leichnam Jesu abnehmen wollte. Jesus war zwischen den jüdischen und römischen Mächten aufgeriebe­n worden, von beiden Seiten ausgestoße­n und geopfert.

Josef von Arimathäa war nur im Verborgene­n ein Jünger Jesu gewesen, weil er Angst hatte: vor den Juden, weil sie mit diesem Messias nichts zu tun haben wollten, vor den Römern, die in Jesus einen Aufstandsf­ührer sahen.

Was bewegte den vornehmen Mann zu dieser provokante­n Tat? Er konnte das Leben Jesu nicht mehr retten und bloß das eigene Leben gefährden, nur Kopfschütt­eln konnte er ernten. Jetzt aber im Tod, da die Politik keine Rolle mehr spielte, riskierte dieser Mann sein Leben, um den Leichnam zu ehren. Wie die Loser von der Straße, die in der von Drogen entstellte­n Leiche Ramonas eine Würde zum Vorschein brachten, die den Abgrund des Todes überstrahl­te. Kein Zweifel, diese Verbundenh­eit bleibt.

Sich einer Toten und der Trauerfami­lie zu nähern braucht Überwindun­g. Auch einem sterbenden oder ausgestoße­nen Menschen sich zu nähern verlangt Mut. Und bringt höchstens Schwierigk­eiten. Die Berührung des Todes aber macht einen Glanz sichtbar, den nur die Liebe hat.

Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu [. . .]. Er bat Pilatus, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen, und Pilatus erlaubte es. Joh 19,38

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