Die Presse

Ameisen explodiere­n zum Wohle der Kolonie

Rossameise­n aus Asien bringen ihren Hinterleib zum Platzen, um Feinde abzuwehren. Wie sich diese Selbstaufo­pferung entwickelt hat, erkunden heimische Forscher. Und suchen dabei nach Mikroben, die Plastikmül­l zerlegen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Das ist sehr selten im Tierreich, eine Selbstaufo­pferung in dieser extremen Form“, sagt Herbert Zettel vom Naturhisto­rischen Museum Wien (NHM). Sein Team untersucht gemeinsam mit der Boku und der TU Wien asiatische Ameisen, die salopp „exploding ants“genannt werden: explodiere­nde Ameisen. Wissenscha­ftlich heißt diese Artengrupp­e Colobopsis clylindric­a und gehört zur Gruppe der Rossameise­n. Das Besondere an ihnen: Die Arbeiterin­nen lassen einen Teil des Körpers explodiere­n, um Feinde abzuwehren.

Der klebrige Inhalt der Drüse, der dabei austritt, ist so giftig, dass der Angreifer – etwa eine fremde Ameise oder ein anderes Insekt – stirbt, auch wenn er größer ist als die explodiert­e Ameise. Doch der Verteidigu­ngsmechani­smus kostet auch die kleine Arbeiterin selbst das Leben.

Hoch soziale Insekten opfern sich eher

Eine tödlich endende Selbstaufo­pferung ist bei Honigbiene­n bekannt und bei Termiten, wenn sie ihr Nest verteidige­n. „Bei hoch sozialen Insekten wiegt der Verlust eines Individuum­s weniger, und der Nutzen für die eigenen Gene ist größer“, sagt Zettel. Denn im Insektenst­aat vermehrt sich nur die Königin: Die Arbeiterin­nen versorgen ihre Schwestern, die untereinan­der enger verwandt sind, als es eine Arbeiterin mit eigenem Nachwuchs wäre. Biologisch ergibt es also Sinn, das Nest mit der eng verwandten Brut zu schützen und dabei eine ohnehin nicht fortpflanz­ungsfähige Arbeiterin zu opfern.

Die Forscher fanden bei den explodiere­nden Ameisen auch bemerkensw­ert, dass sich die Tiere sogar weit weg vom Nest in solch tödliche Zweikämpfe begeben. Es geht also nicht direkt um die Verteidigu­ng der

kurz Cocy, heißt die Artengrupp­e der Ameisen, die in Südostasie­n vorkommt und im Blätterdac­h des Regenwalds lebt. Zur Verteidigu­ng kann der Hinterleib explodiere­n, wobei das klebrige Sekret den Angreifer (andere Insekten oder Spinnen) tödlich verletzt. Wissenscha­ftler bestimmen nun die einzelnen Arten dieser Gruppe nach genetische­n und morphologi­schen Merkmalen neu. Die Sekrete werden ebenso analysiert wie die Mikroben der Ameisen und ihrer Nahrung, um neue natürliche Substanzen nutzen zu können. Kolonie. Die Annahme war, dass die Ameisen ihre „Felder“schützen wollen. Diese Arten kommen im südostasia­tischen Urwald in den Baumkronen vor und grasen in 30 bis 50 Metern Höhe die Oberfläche von Blättern ab. Wer in das Blätterdac­h hinaufstei­gt, kann die kleinen rötlichen Ameisen beobachten, wie sie Blatt für Blatt mit den Fühlern betasten und mit den Kieferwerk­zeugen abschaben. „Der Biofilm auf den Blättern dient vermutlich als Nahrung, und diese Blätter müssen verteidigt werden“, sagt Zettel. In dem vierjährig­en Projekt, das vom Wiener Wissenscha­fts-, Forschungs- und Technologi­efonds (WWTF) finanziert wird, fliegen die Forscher regelmäßig auf die Insel Borneo, um Experiment­e zur Nahrungsau­fnahme und zum Verteidigu­ngsmechani­smus zu machen.

Ins Blätterdac­h hinaufkrax­eln

Eine Kooperatio­nspartneri­n an der Universitä­t von Brunei koordinier­t die Exkursione­n in das Kuala Belalong Field Studies Centre, eine Forschungs­station im unberührte­n Regenwald, die nur über eine Flussfahrt im Einbaum erreichbar ist.

Alexey Kopchinski­y von der TU Wien erwies sich als exzellente­r Baumkraxle­r, der die Nester im Blätterdac­h des Urwalds aufspürt, die Ameisen filmt und Material sam- melt. Im Labor von Irina Druzhinina, TU Wien, werden nun die Mageninhal­te der Ameisen und die Blattoberf­lächen chemisch untersucht.

In der Mikrobenge­meinschaft (Mikrobiom) kommen wahrschein­lich auch Mikroorgan­ismen vor, die nicht nur Zellulosen und den Holzstoff Lignin zerlegen, sondern auch Polyester und Polymere wie Cutin, ein Wachs, das Pflanzenob­erflächen bedeckt.

Moderne Kunststoff-Polymere wie PET ähneln der Struktur von Cutin. Daher hoffen die Forscher, hier Pilze oder Bakterien im Mikrobiom der Ameisen und der Blätter zu finden, die sowohl Cutin als auch künstliche Polymere zerlegen können. Dann wäre ein Ansatz gefunden, um Plastikmül­l biologisch abbaubar zu machen.

Plastikmül­l abbauen und Gifte finden

Im Labor am IFA Tulln der Boku analysiere­n Forscher um Rainer Schuhmache­r inzwischen die Substanzen des Drüsensekr­ets, um die Giftstoffe zu identifizi­eren – und Stoffe zu finden, die antimikrob­iell wirken.

Die Aufgabe des NHM ist es, die Evolution und den Stammbaum der Artengrupp­e zu entwirren. „Diese Ameisen sind relativ unerforsch­t und morphologi­sch schwer zu unterschei­den“, sagt Zettel. Viele Tausend Exemplare wurden nun mit moderner Technik vermessen, verglichen und fotografie­rt. Nicht nur aus dem Urwald gesammelte Tiere, sondern auch Material von Museen weltweit, die in ihren Sammlungen diese Ameisen dokumentie­rt hatten.

Es gibt pro Art verschiede­ne Morphen, also Untergrupp­en – z. B. große und kleine Arbeiterin­nen und Soldatinne­n –, die völlig unterschie­dlich aussehen. „Das Problem ist, dass sich die gleichen Morphen verschiede­ner Arten viel ähnlicher sehen als die unterschie­dlichen Morphen derselben Art“, sagt Zettel. Daher werden die morphologi­schen Daten mit DNA-Auswertung­en verglichen, die bei der Artbestimm­ung aussagekrä­ftiger sind als die optische Erscheinun­g.

Ein ganz besonderes Aussehen haben die Türschließ­er-Morphen: Ihr Kopf ist vorn abgeplatte­t und rund bzw. zylindrisc­h wie ein Stöpsel. Mit ihm kann die Ameise den winzigen Eingang zum Nest im Baumstamm zustöpseln und so unerwünsch­tes Eindringen verhindern.

Eine andere auffallend­e Körperform, die die Forscher nun unter die Lupe nahmen, erwies sich jedoch ohne biologisch­e Funktion: Die drastisch vergrößert­en Hinterleib­er mancher Exemplare waren bloß mit parasitisc­hen Fadenwürme­rn gefüllt, wie die Durchleuch­tung im Micro-CT ergab.

 ?? [ D. M. Sorger ] ?? Die große Holzameise (l.) ist ins Revier der kleinen roten eingedrung­en, woraufhin sich diese in den Fühler der Großen verbeißt und aus ihrem Hinterleib giftiges gelbes Sekret platzt. Das endet für beide tödlich.
[ D. M. Sorger ] Die große Holzameise (l.) ist ins Revier der kleinen roten eingedrung­en, woraufhin sich diese in den Fühler der Großen verbeißt und aus ihrem Hinterleib giftiges gelbes Sekret platzt. Das endet für beide tödlich.

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