Die Presse

Als Forscher und Wissenscha­ftler Latein sprachen

Neulatein. In der Renaissanc­e kehrte man zur klassische­n Sprache der Römer zurück. Von Kopernikus bis Linne´ war Latein die Lingua franca, die in der Wissenscha­ftsszene weltweit beherrscht und verstanden wurde.

- VON ERICH WITZMANN

Im Fokus seiner Forschung stehen Natur und Umwelt, und im Fokus steht auch die lateinisch­e Sprache. „Im Mittelalte­r hat man sich etwa im Bereich der Medizin noch auf die überliefer­ten schriftlic­hen Quellen, auf Autoritäte­n wie Hippokrate­s berufen“, sagt der Innsbrucke­r Uni-Professor Martin Korenjak. Da habe man teilweise richtige, teilweise aber auch falsche Angaben – z. B. dass die Arterien mit Luft gefüllt sind – als gegeben hingenomme­n. Erst die in der frühen Neuzeit in Latein verfasste Literatur der Wissenscha­ftler habe hier eine moderne und wissenscha­ftsbasiert­e Sichtweise eingeleite­t.

Korenjak wurde für seine Arbeiten über die Rolle von Latein in der frühen Wissenscha­ftsgeschic­hte in der jüngsten Vergaberun­de mit einem Advanced Grant des Europäisch­en Forschungs­rats (ERC) ausgezeich­net. Der 45-jährige Latinist beschäftig­t sich unter anderem mit Neulatein, dem von circa 1500 bis ins 19. Jahrhunder­t (und vereinzelt bis heute) verwendete­n Latein. „Latinisten sind in der Regel Geisteswis­senschaftl­er, und Naturwisse­nschaftler können meist nicht Latein“, sagt Korenjak.

Zwei Interessen­gebiete

Er selbst sei von den Naturwisse­nschaften fasziniert. In der vom ERC geförderte­n Forschung kann er nun beide Bereiche verbinden. Gerade die Renaissanc­e und der Humanismus seien in der wissenscha­ftlichen Literatur eine „Zeit

Nach dem klassische­n Latein und dem Spätlatein (ab dem zweiten Jahrhunder­t) folgte etwa ab dem sechsten Jahrhunder­t das Mittellate­in, das in verschiede­nen Regionen eine unterschie­dliche sprachlich­e Entwicklun­g nahm. Ab dem 15. Jahrhunder­t spricht man von Neulatein, das von den Schriftste­llern der Renaissanc­e begründet wurde. Diese kehrten in ihrer Hinwendung auf die Antike wieder zum klassische­n Latein zurück. Das Neulatein reicht bis in die Gegenwart. der Revolution“gewesen. Der Astronom, Arzt und Mathematik­er Nikolaus Kopernikus habe ausschließ­lich in Latein geschriebe­n, Galileo Galilei verfasste den Großteil seiner Schriften zwar in der Volkssprac­he (damit die einfachen Handwerker sie auch lesen konnten), seine Hauptwerke aber in Latein. Isaac Newtons „Philosophi­ae Naturalis Principia Mathematic­a“wurde erst nach der Erstveröff­entlichung vom Lateinisch­en ins Englische übersetzt, ein anderes

Die Auszeichnu­ng des Europäisch­en Forschungs­rats wird an bereits etablierte Wissenscha­ftler für ihre Forschungs­projekte vergeben. Die Preisträge­r erhalten eine Unterstütz­ung von bis zu 2,5 Millionen Euro, wobei die Laufzeit auf fünf Jahre ausgelegt ist. 2016 wurden 647 Millionen Euro an insgesamt 277 europäisch­e Forscher vergeben. Martin Korenjak erhielt den ERC Grant für sein Projekt „Nova Scientia. Early Modern Scientific Literature And Latin“. Hauptwerk, „Opticks“, zwei Jahre nach dem englischen Druck ins Lateinisch­e – damit man die Schrift in ganz Europa lesen konnte.

Carl von Linne´ schrieb im 18. Jahrhunder­t ausschließ­lich in Latein, war doch sein eigenes Schwedisch außerhalb des Landes nicht gebräuchli­ch. Im 19. Jahrhunder­t verfasste Carl Friedrich Gauss seine Werke sowohl in Deutsch als auch in Latein. Die meisten neulateini­schen Texte liegen aus Italien, Frankreich, dem deutschen Sprachraum, England und den Niederland­en vor.

Die Lingua franca war über Jahrhunder­te vom Lateinisch­en geprägt. In der Diplomatie setzte sich im 17. Jahrhunder­t Französisc­h durch, in der Wissenscha­ft behauptete sich Latein bis zum Beginn des 19. Jahrhunder­ts, sagt Martin Korenjak. Dann folgte eine Epoche ohne übergreife­nde Lingua franca, in Osteuropa lag im 19. Jahrhunder­t Deutsch in der wissenscha­ftlichen Literatur an der Spitze, im 20. Jahrhunder­t setzte sich aber weltweit das Englische durch.

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