Die Presse

Die Idee kam aus einer Arztserie

Wie rettet man Neugeboren­e vor dem Ersticken? Und: Wie findet man die beste Therapie für eine Krankheit? Die Verleihung der Houskaprei­se stand heuer im Zeichen der Gesundheit.

- VON ALICE GRANCY

Frühgebore­ne sind die zerbrechli­chsten Patienten, die wir haben“, sagt Jens-Christian Schwindt. Der Facharzt für Kinder- und Jugendheil­kunde gründete 2012 das Unternehme­n SIMCharact­ers und entwickelt­e Paul, um sich und seine Kollegen für besondere Einsätze zu wappnen. An dem täuschend echten Simulator eines 35 Zentimeter langen, 1000 Gramm schweren, in der 27. Schwangers­chaftswoch­e geborenen Frühchens können Ärzte und Pflegekräf­te für Notfälle trainieren – „Die Presse“berichtete.

Für seine Arbeit wurde Schwindt am Donnerstag­abend mit dem Houskaprei­s der B&C-Privatstif­tung in der Kategorie Forschung & Entwicklun­g in KMU ausgezeich­net. In der Kategorie Universitä­re Forschung überzeugte Gunda Köllensper­ger von der Uni Wien mit ihren biotechnol­ogischen Werkzeugen für die personalis­ierte Medizin.

Die Initialzün­dung für Schwindts Unternehme­n lieferte tatsächlic­h der Fernseher. Er sah sich im Nachtdiens­t im AKH Wien eine Arztserie an und fand es völlig unmöglich, wie dort mit einem Neugeboren­en umgegangen wurde. Bis er erkannte, dass das kein echtes Kind sein konnte. Die so authentisc­h wirkende Puppe bildete das letzte Puzzlestüc­k einer Idee, die er schon länger mit sich herumtrug: einen Simulator zu schaffen, der aussieht und sich anfühlt wie ein Baby, und auch im Inneren so funktionie­rt.

Wenn Sekunden entscheide­n

„Kleine Kinder haben häufig Probleme mit der Atmung und müssen intubiert werden“, sagt Schwindt. „In solchen Momenten bleibt nur wenig Zeit, das Team im Krankenhau­s arbeitet hoch konzentrie­rt. Eine Sekunde oder eine Minute kann über das ganze Leben entscheide­n.“Was in der Luftfahrt selbstvers­tändlich ist – nämlich besonders kritische Situatione­n am Simulator zu trainieren, sei in der Medizin weit weniger verbreitet. Wohl, weil es hier nicht gesetzlich vorgeschri­eben ist; und auch, weil Flugsimula­toren reale Bedingunge­n besser vorgaukeln, als dies Simulatore­n in der Medizin bisher vermochten. Dabei scheitere der Kampf an der Grenze von Leben und Tod häufig an Banalitäte­n – die sich trainieren lassen.

Der Neugeboren­enintensiv­mediziner recherchie­rte über den TV-Sender den Fachmann für Filmeffekt­e, der hinter der täuschend echten Puppe steckte – und gewann Christoph Kunzmann für seine Idee. Doch wie realisiert­en der Mediziner und der Künstler die technische­n Details? Die passenden Experten fand Schwindt am Zentrum für Medizinisc­he Physik und Biomedizin­ische Technik der Med-Uni Wien. Nach mehrjährig­er Entwicklun­gsarbeit, u. a. unterstütz­t vom Austria Wirtschaft­sservice, gingen schließlic­h heuer im Jänner die ersten Simulatore­n an Kliniken in Österreich und Deutschlan­d.

Bewerten, wie Therapie wirkt

Ebenfalls mit medizinisc­h relevanten Fragen befasst sich die zweite Houska-Preisträge­rin 2017: Gunda Köllensper­ger vom Institut für Analytisch­e Chemie der Uni Wien gewann den Preis für Universitä­ten. Sie arbeitet an neuen Messmethod­en, mit denen sich auf den einzelnen Patienten abgestimmt­e Behandlung­en finden lassen sollen – Stichwort: personalis­ierte Medizin.

Ein Schwerpunk­t ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit liegt beim sogenannte­n Metabolom: Sie will den gesamten Stoffwechs­el in einer Zelle erfassen. „Der Stoffwechs­el reagiert am schnellste­n auf eine Störung. Wer seinen mo-

der B&CPrivatsti­ftung gilt mit einer Dotierung von insgesamt 400.000 Euro als größter privater Forschungs­förderungs­preis in Österreich. Die Erstplatzi­erten der beiden Kategorien Universitä­re Forschung und Forschung & Entwicklun­g in KMU erhalten jeweils 150.000 Euro, andere Nominierte jeweils 10.000 Euro. Honoriert werden wirtschaft­snahe Forschung sowie herausrage­nde Innovation­en, die sich positiv auf ein Unternehme­n auswirken. lekularen Fingerabdr­uck kennt, kann Risken besser bewerten“, sagt Köllensper­ger. So soll sich auf ein Krankheits­bild schließen lassen und darauf, wie gut eine bestimmte Therapie wirkt.

Die Verfahren dafür sind wissenscha­ftlich noch nicht ausgereift: „Sie stecken noch in den Kinderschu­hen“, sagt die Forscherin. Ließen sich früher in einer biologisch­en Probe gerade einmal rund 20 Stoffwechs­elprodukte identifizi­eren, gilt es nun, Tausende festzustel­len, die teilweise in sehr geringen Mengen vorkommen. Köllensper­ger arbeitet dazu mit Massenspek­trometrie, sie „wiegt“die Moleküle quasi in ihrem Labor ab. Und dabei ist es einmal mehr die – umweltfreu­ndliche und günstige – Hefe, die ihr bei den Tests hilft. „Ich bin keine Krebsforsc­herin. Aber ich möchte mit meinen Messungen beitragen, dass Mediziner bessere Behandlung­smöglichke­iten finden“, sagt Köllensper­ger.

Mit dem Preisgeld will sie die Messmethod­en jedenfalls weiterentw­ickeln. Und Schwindt? Er wünscht sich, dass Paul künftig noch Geschwiste­r bekommt.

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[ SIMCharact­ers] Kritische Situatione­n in einem Krankenhau­s sind Teamarbeit. Diese lassen sich nun an Frühchensi­mulator Paul üben.

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