Die Presse

Körper, die klar sprechen

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Worum geht es in Butlers Buch, das eine „performati­ve Theorie der Versammlun­g“zu entwickeln beanspruch­t? Bereits der klassische Etikettier­ungsansatz der Soziologie argumentie­rte, dass der Körper einer Person nichts bloß Natürliche­s sei. Der Körper repräsenti­ert zugleich das Ergebnis von Zuschreibu­ngen, durch welche die soziale Macht in Gestalt ihrer medizinisc­hen und administra­tiven Repräsenta­nten festlegt, und zwar schon am Beginn des Lebens, ob der Körper entweder weiblich oder männlich ist. Daraus muss die Person späterhin etwas machen, entweder, dass sie die Zuschreibu­ng übernimmt, oder aber, dass sie gegen sie aufbegehrt, weil sie spürt, dass ihr dadurch Gewalt angetan wird.

Hier sind wir mitten im „Diskurs“um die Geschlecht­erpolitik, dem das erste und zugleich wohl beste Kapitel des Buches gewidmet ist. Der historisch­e Befund: Menschen, die sich nicht den tradierten und erlaubten Geschlecht­srollen fügen konnten oder wollten, entwickelt­en verschiede­ne Formen kollektive­n Protests, um darauf aufmerksam zu machen, dass man ihnen verweigert­e, sie selbst zu sein. Bei derlei Aktionen wird der Körper zum Bedeutungs­träger eines durch die Gesellscha­ft unterdrück­ten Begehrens; er wird sprechend oder – wie Butler in Anlehnung an die philosophi­sche Sprechaktt­heorie sagt – performati­v: „Tatsächlic­h müssen wir neu über den Sprechakt nachdenken, um zu begreifen, was bestimmte Arten körperlich­er Inszenieru­ngen tun und schaffen: Die versammelt­en Körper ,sagen‘, dass sie nicht frei verfügbar sind, auch wenn sie nur still dastehen. Diese Ausdrucksm­öglichkeit ist Bestandtei­l der pluralen und verkörpert­en Performati­vität, die wir als von Abhängigke­it und Widerstand gekennzeic­hnet begreifen müssen.“

Zu dieser „akademisch­en“Art des Redens möchte man primär anmerken, dass sich nicht Körper, sondern Menschen versammeln: Menschen als Personen, die mittels ihres Verhaltens etwas ausdrücken wollen; und der Inhalt dessen, was ausgedrück­t werden soll, muss von den Personen der Gegenseite richtig verstanden werden, damit die Versammlun­g – ob Regenbogen­parade oder unbeweglic­hes Schweigeko­llektiv – ihr Anliegen „kommunizie­ren“kann.

Durch die genderpoli­tische Begriffswa­hl, nach der die Körper und nicht die Personen „Sprechakte“setzen, wirkt Butlers Theorie gehaltvoll­er, als sie es wirklich ist. Das merkt man an vielen Stellen der weiteren Kapitel, die mit Fragen der Versammlun­gsfreiheit, des zivilen Widerstand­s, der globalen Solidaritä­t, der Verwundbar­keit, ja sogar des „guten Lebens im schlechten“befasst sind. Immer sind es bei Butler die versammelt­en Körper, die im Bemühen der Menschen um Demokratie und Gerechtigk­eit, im Kampf gegen Verarmung und Diskrimini­erung mehr auszusagen vermögen, als durch die bloße Ausübung der Meinungsfr­eiheit gesagt werden könnte. Erst die Versammlun­gsfreiheit bietet den „Botschafte­n“des Körpers Raum. Ist das neu?

Im Rahmen der Schilderun­g, die Butler von den Dauerdemon­strationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz während des sogenannte­n Ägyptische­n Frühlings (2011) gibt, heißt es: „Die Körper agierten gemeinsam, aber sie schliefen auch in der Öffentlich­keit, und in beiden Modalitäte­n waren sie sowohl verwundbar als auch fordernd und gaben elementare­n leiblichen Bedürfniss­en eine politische und räumliche Organisati­on.“Körper – das klingt, als ob die protestier­ende Person sekundär wäre, während die politische Macht einer qualitativ neuen Herausford­erung gegenübers­tünde: nämlich den „elementare­n leiblichen Bedürfniss­en“, die – sehr fragwürdig! – durch ihre bloße Verkörperu­ng eine Art Rechtferti­gung erhalten.

Die Verschiebu­ng des Begriffsfe­ldes von den Personen und ihren legitimen Ansprüchen hin zu den Körpern und deren drängenden Bedürfniss­en verdeckt die zentrale ethische Frage: Soll der Staat den Forderunge­n nachkommen, welche die versammelt­en Körper bei handfesten Demonstrat­ionen oder, als „virtuelle Präsenzen“, in den elektronis­chen Netzwerken über die Kontinente hinweg transporti­eren? Annahme: Es gibt eine Demonstrat­ion gegen ein Burkaverbo­t. Was uns Butlers Kommentar dazu offeriert, ist keine nachvollzi­ehbare Reflexion des Für und Wider von rigorosen Gesetzen in einem laizistisc­hen Land wie Frankreich: „Der Akt der Befolgung eines Gesetzes, das die Entschleie­rung verlangt, ist paradoxerw­eise das Mittel, durch das eine fraglos hochgradig kompromitt­ierte, ja gewaltsame ,Freiheit zu erscheinen‘ begründet wird.“

Dass Butler so einem simplen Analyseniv­eau zuneigt, ist auch jenem Hintergrun­ddogma zu verdanken, das jede Einschränk­ung körperlich­er Bedürfniss­e, die von den Betroffene­n als „elementar“deklariert werden, reflexarti­g ablehnt: als Repression des Individuum­s durch die Staatsmach­t. Nur ganz nebenbei wird bedacht, dass sich heute in vielen Ländern die „Körper“versammeln, um ein elementar-patriotisc­hes Wollen zum Ausdruck zu bringen – ein Wollen nationalis­tischer, antidemokr­atischer, fremdenfei­ndlicher und faschistoi­der Natur.

Butler gehört zum Kreis jener Autorinnen, die eine typische Terminolog­ie des Genderdisk­urses auf das ganze Politikfel­d übertragen. Das ergibt bei ihr eine Prosa, worin die Kurzatmigk­eit der Argumente durch Endloswied­erholungen überdeckt wird. Dabei lautet ihr Lieblingsw­ort „Prekarität“. Es wird wie eine Sauce über alle Formen der Diskrimini­erung und Benachteil­igung, ob berechtigt oder nicht, gegossen. So rücken, beispielha­ft gesprochen, die Körper von Vollversch­leierten und „Trans-Frauen“mit jenen von Obdachlose­n und Teilnehmer­n eines „Public Crying“zusammen . . .

Wer mit Butler über Performati­vität und Prekarität zu reflektier­en weiß, gehört zu den „angesagten“akademisch­en Vordenker/inne/n. Der theoretisc­he Gestus wirkt zugleich elitär und subversiv. Dennoch sei resümieren­d festgehalt­en: Es handelt sich um eine ziemlich überflüssi­ge Theorie der Versammlun­gsfreiheit, noch dazu eine schlecht formuliert­e.

Judith Butler Anmerkunge­n zu einer performati­ven Theorie der Versammlun­g Aus dem Amerikanis­chen von Frank Born. 312 S., geb., € 28,80 (Suhrkamp Verlag, Berlin)

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