Zu Hause im Exil
Erstmals auf Deutsch: Sein Leben lang zog der 1880 geborene Weißrusse Gerschon Schoffmann durch die Welt und hinterließ unzählige Kurzgeschichten.
Der Deserteur und weißrussische Exilant Gerschon Schoffmann schrieb während all seiner Stationen als Reisender (Warschau), Flüchtender (Österreich, Israel), kurz oder lang Aufhältiger (Wien, Graz) auf Hebräisch. Schon früh veröffentlichte er sein erstes Buch in Ivrith, einer Sprache, die um die Jahrhundertwende größtenteils im religiösen und nicht im alltagssprachlichen oder literarischen Gebrauch war. Seine Desertion aus der zaristischen Armee 1904 markierte die erste Etappe eines Exillebens als hebräischer Autor. Der 1880 im heutigen weißrussischen Orscha geborene Schoffmann flüchtete zuerst nach Galizien, lebte einige Zeit in Lemberg und strandete schließlich in Wien.
Vielleicht ist es dieses „flüchtige“Leben, das Schoffmann in einer Vielzahl von Kurzgeschichten etappenweise festhalten wollte, und die Kurzform das literarische Mittel, das sich am besten dafür eignet. Die an die hundert Kurzgeschichten im Band „Nicht für immer“überschneiden oder decken sich jedenfalls mit der Biografie des Autors, in die der Herausgeber Gerald Lamprecht im Nachwort kursorisch Einblick gibt. Schoffmanns Schreiben ist von einer quälenden Weltlosigkeit geprägt. Während er seine Kinder- und Jugendzeit in Orscha, trotz der ständigen Bedrohung durch die christliche Bevölkerung, als ein Leben „in einer Welt, die in einer anderen bestand“, beschreibt, wird aus diesem noch irgendwie Eingepasstsein über die Zeit immer mehr ein Ausschluss. Aus einer religiösen Familie kommend, steht
Gerschon Schoffmann Nicht für immer Erzählungen. 352 S., geb., € 25 (Droschl Verlag, Graz) Schoffmann in seinen Erzählungen der jüdischen Religion im besten Sinne „unversöhnlich“gegenüber. Die von ihm dargestellten Gegensätze Stadt/Land, Aufklärung/Tradition oder Freund/Feind werden zu keinem Zeitpunkt im Religiösen aufgelöst. Schoffmann bleibt aber von seiner Herkunft beeinflusst und baut beispielsweise die EsterGeschichte, die im Tanach eine exemplarische Exilgeschichte des jüdischen Volkes ist, in seine Erzählungen ein.
Diese Kurzgeschichten, die oft keine halbe Seite füllen, sind von fundamentalen Widersprüchen gekennzeichnet, denen der jüdische Exilant aus Weißrussland, später der „feindliche Ausländer“in Österreich und – auf der letzten Etappe – der durch den aufkeimenden Nazismus bedrohte assimilierte österreichische Jude zwar immer in gewisser Hinsicht ausgesetzt, gleichzeitig aber auch
Qenthoben ist: Das Verhältnis von aufgeklärtem Judentum, im Kontrast zum religiösen Elternhaus, scheint als Ganzes durch den Antisemitismus der weißrussischen Bevölkerung bedroht. Zwischen Kriegstaumel und Ernüchterung ist der Staatenlose in Wien von 1914 bis 1918 stets irgendwie betroffen und außenstehend zugleich. Nach seinem Umzug in das bäuerliche Milieu eines Grazer Vororts beschreibt Schoffmann in autobiografischen Erzählungen, wie er nicht nur als „Städter“, sondern stets auch als „Jude“oder wahlweise als „Russe“gegolten hat und beäugt wurde. In den schwächeren Episoden führen diese extremen Spannungen und Ausgrenzungserfahrungen zur nostalgischen Verklärung der Habsburgermonarchie und nachlässigen Betrachtungen des Austrofaschismus.
Letztlich lösen sich aber all diese Gegensätzlichkeiten im Nazismus auf. In der Erzählung „Der Eine“beschreibt Schoffmann, wie selbst der vehementeste Nazikritiker seines Dorfes anlässlich der Rede Hitlers in Graz im April 1938 in die Stadt abreist, um den „Führer“zu begrüßen. Stadt und Dorf, Reich und Arm, Jung und Alt fusionieren zu einer grässlichen Welt des Nazismus, weltlos bleibt Schoffmann an einem verlassenen Ort zurück. Kurze Zeit später emigriert Schoffmann ein weiteres Mal in das heutige Israel. Es dauerte fast 80 Jahre, bis Gerschon Schoffmann, der seine wichtigste Schaffensperiode in Österreich hatte, erstmals ins Deutsche übersetzt wurde. Verlag und Herausgeber haben einen bedeutenden Autor der österreichischen Literaturgeschichte entdeckt und wieder zugänglich gemacht, die Übersetzung ist brillant. Es bleibt zu hoffen, dass dem Erzählband „Nicht für immer“weitere Veröffentlichungen folgen.