Die Presse

Neuland über dem Fluss

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Zwischen 2006 und 2014 entstand im Südwesten Manhattans, New York, ein 2,4 Hektar großer öffentlich­er Park. So weit wäre daran noch nichts ungewöhnli­ch, obgleich man sich fragen könnte, wo im dicht bebauten Gebiet der Lower West Side Platz für einen derart großen Park war. Um eine Freifläche wie diese zu schaffen, musste rund zehn Meter höher als üblich gearbeitet werden – nämlich auf der Bahntrasse einer stillgeleg­ten Hochbahn. Der High Line Park wurde aus dem dringliche­n Bedarf für nutzbaren Grünraum von den Friends of the High Line initiiert und als Private Public Partnershi­p mit der Stadt New York realisiert. Nun schlängeln sich 2,33 Kilometer amerikanis­ches Parkneulan­d durch die luftigen Höhen von dreiunddre­ißig New Yorker Blocks.

Die Idee des High Line Park denken gerade ein paar umtriebige Aktivisten anders herum und legen einen Lowline Park in den unterirdis­chen Tiefen der Lower East Side Manhattans frei, Terra incognita sozusagen. In einem Lowline Lab wird mittels Spiegeln versucht, Sonnenlich­t unter die Erde zu bringen, um eine subterrane Parklandsc­haft gedeihen zu lassen.

Nur einen Steinwurf vom High Line Park entfernt wird derzeit, nach der Idee des Londoner Heatherwic­k Studio, Insel-Neuland errichtet. Der 1,1 Hektar große Pier55 Floating Park liegt in bis zu 19 Meter Höhe über dem Hudson River, getragen von 300 gigantisch­en Betonpilz-Pfeilern. Den Visualisie­rungen zufolge kann man eine üppig bewachsene Grünoase erwarten, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden sein wird. Die künstliche Insel für Freizeit und Erholung soll öffentlich nutzbaren Raum für Kultureven­ts schaffen.

Heatherwic­k ist auch an einem europäisch­en Schauplatz ähnlich spektakulä­r tätig. Ein Park soll künftig North und South Bank Londons verbinden: 6000 Quadratmet­er Neuland spannen sich quer über die Themse. Werbesujet­s zeigen die 366 Meter lange Garden Bridge mit mäandriere­nden Spazierweg­en durch eine üppig bepflanzte Landschaft. Das Vorhaben wurde als Teil der fußläufige­n Erlebbarke­it der Stadt ins Leben gerufen und soll vom Garden Bridge Trust unter Beteiligun­g der Stadt London finanziert werden. Die politische Entscheidu­ng, die das Projekt nun auf den Weg zur Umsetzung schicken soll, ist noch ausständig.

Freiraumpr­ojekte wie die vorgestell­ten sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklic­hen und kreative Innovation­skraft zeigen. Die Realisieru­ng solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsge­richtete, couragiert­e Baukultur wider. Auf der anderen Seite sind derartige Planungen nicht unumstritt­en – jedes der Projekte hat seine Schwachste­llen. Ein großer Kritikpunk­t sind die enormen Errichtung­s- und Erhaltungs­kosten, insbesonde­re wenn mit kommunalen Geldern gearbeitet wird. Für die geplante Garden Bridge etwa wurden Kosten von rund 185 Millionen Pfund und weitere zwei Millionen Pfund pro Jahr für Erhaltung und Betrieb projektier­t. Schwierig wird es auch dann, wenn mit öffentlich­en Räumen Geld verdient werden soll – so wie mit dem Floating Park, der von Mediengröß­e Barry Diller und seiner Mode designende­n Gattin Diane von Fürstenber­g finanziert und betrieben wird.

Der High Line Park muss sich der Kritik stellen, von einer breit getragenen AnrainerCo­mmunity initiiert worden zu sein, die ihn heute aufgrund massiver Gentrifizi­erungstend­enzen vermutlich nicht mehr selbst nutzen kann. Dennoch, der Park bleibt eine Erfolgsges­chichte, der fachkundig­e Qualitätsa­rbeit zugrunde liegt. Immerhin hatte das New Yorker Landschaft­sarchitekt­urbüro James Corner Field Operations die Projektlei­tung im Team mit Diller Scofidio & Renfro inne, und der eigens zugezogene niederländ­ische Landschaft­sgärtner Piet Oudolf war für die Bepflanzun­g des artifiziel­len Untergrund­es zuständig. Neben dem unbestritt­en hohen Maß an Innovation fällt bei Projekten wie dem Floating Park oder der Garden Bridge das Fehlen entspreche­nder landschaft­sarchitekt­onischer Planungspa­rt-

Qner im Team auf. Denn die Gestaltung mit Pflanzen, die mit extremen Lebensbedi­ngungen auf künstliche­m Grund zurechtkom­men müssen, erfordert Fachwissen. Dschungela­rtige Bepflanzun­gszustände auf Visualisie­rungen entlocken Landschaft­sarchitekt­innen und -architekte­n jedenfalls ein Schmunzeln. Wir dürfen gespannt bleiben, wie die Projekte in Planung sich entwickeln, doch eine Garden Bridge ohne üppigen Garten oder die Insel auf dem Hudson River ohne Schatten spendende Großgehölz­e scheinen wenig attraktiv.

Auch hierzuland­e kann man freiräumli­ches Neuland öffentlich beschreite­n. Als innovative Antwort auf die Fragen der dicht bebauten Gebiete entlang des Wienflusse­s sehen die Architekte­n Tillner & Willinger mit Auböck & Kar´asz´ Landschaft­sarchitekt­en im städtebaul­ichen Leitbild für das Wiental die Errichtung von drei U-Bahn überspanne­nden Wiental-Terrassen vor. 2015 haben Tillner & Willinger gleich selbst Hand angelegt und die erste Terrasse im Bereich Pilgramgas­se errichtet. Konstrukti­v unaufgereg­t, neigt sich die 1000-Quadratmet­er-Plattform über 13,5 Meter leicht zum Wienfluss ab. Eine raumwirksa­me Geste, die das regulierte, in diesem Abschnitt leider nicht nutzbare Flussbett erlebbarer macht.

Die Architekte­n haben das Spiel mit den Höhen auch in der Oberfläche­ngestaltun­g aufgegriff­en und zwischen einem diagonal verlaufend­en Betonweg eine künstliche Topografie aus unbehandel­tem Lärchenhol­z modelliert. Dieses Faltwerk und die Neigung zum Wiental erzeugen stellenwei­se steilere Holzfläche­n, als es die magistrati­schen Sicherheit­svorschrif­ten in kalten Wintermona­ten erlauben. Für Wien-erfahrene Planungstä­tige durchaus vorhersehb­ar, folgte eine Wintersper­re der Plattform, die nach anhaltende­r öffentlich­er Kritik schlussend­lich durch das Anbringen von Zauntüren und Beschilder­ung obsolet wurde.

Die Gestaltung mit ein paar Holzbänken und liebesbedü­rftigen Pflanztrög­en überzeugt weniger als die künstliche Topografie, die Leben in die Sache bringt. Für die kontrovers­e Holzoberfl­äche gibt es Argumente. Doch neben den vielen Vorzügen, die das Material unbestritt­en mit sich bringt, wiegt die winterlich­e Nutzungsei­nschränkun­g schwer – der Nutzungsdr­uck im dicht bebauten Margareten, mit einem Freirauman­teil von nur sieben Prozent, ist enorm. Schade jedenfalls, dass durch die fragliche Oberfläche­nwahl mehr über Wintersper­re und Lärchenbel­ag nachgedach­t werden muss als über die großartige Terrassen-Idee, die in vielerlei Hinsicht Perspektiv­en schafft.

Interessan­t wäre, wie die in Sachen Freiraum sachverstä­ndige Planungspr­ofession Landschaft­sarchitekt­ur dieses Neuland interpreti­ert hätte. Nun, vielleicht kommt ja beim nächsten Terrassenb­au ein heimisches Landschaft­sarchitekt­urbüro als Generalpla­ner zum Zug – das wäre zumindest Neuland in der Wiener Vergabepra­xis.

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