Die Presse

Alte Liebe rostet nicht

Grätzltour. Schauspiel­er Hannes Lewinski hat sich – außer für Engagement­s in anderen Städten – seit seiner Kindheit weder vom fünften Bezirk noch vom 1920er-Jahre-Gemeindeba­u getrennt.

- VON LISBETH LEGAT

Meine Mutter dürfte eine der wenigen noch lebenden Matteotti-Hof-Bewohner der ersten Stunde sein“, erzählt Hannes Lewinski. „Sie ist 1926 als Vierjährig­e mit ihrer Familie hierhergez­ogen und lebt heute noch dort.“

Der Matteotti-Hof: Das war einer der Bauten, die das Rote Wien damals in Angriff nahm und die für ihre Zeit geradezu revolution­är waren. Grund war die eklatante Wohnungsno­t, man wollte den Menschen, die oft in winzigen Wohnungen ohne Wasser und Toilette hausten, eine lebenswert­ere Umgebung bieten. Daher entstand in den 1920er-Jahren eine ganze Reihe von Bauten, die wie Wehrburgen um einen großen Grünbereic­h errichtet wurden, mit eigener Infrastruk­tur wie Kindergärt­en, Greißlerei­en, Kohlenhänd­ler, Waschküche. Dazu siedelten sich in der Umgebung viele kleine Geschäfte an.

Das meiste davon verschwand ab den 1960er-Jahren, Supermärkt­e ersetzten Greißler und Co. „Gott sei Dank kamen dann in den 1990er-Jahre viele Türken zu uns und haben dafür gesorgt, dass die Nahversorg­ung wieder funktionie­rt“, erinnert sich Lewinski. „Sie haben Geschäfte übernommen oder neu aufgebaut, sodass es wieder Bäckereien, Greißler, Gemüsegesc­häfte, Fleischhau­ereien gibt.“

Lewinski ist in den 1980er-Jahren vom Matteotti- in den nahen Herwegh-Hof gezogen. Betritt man ihn, verschwind­et die Stadt. Ein großer begrünter Hof hält das Stadtgetri­ebe draußen. Es ist geradezu unheimlich ruhig. Man kann sich kaum vorstellen, dass der Gürtel vor dem Haus, die Reinprecht­sdorfer Straße knapp fünf Gehminuten entfernt ist. Und man kann verstehen, warum der Schauspiel­er nie von hier wegwollte. „Ich habe hier alles, was man braucht. Die totale Ruhe, wie man sie in einer Stadt kaum findet, und den- noch ist alles in der Nähe: Geschäfte, Bahnhof, die Verkehrsan­bindung ist exzellent, ich bin damit sehr schnell in der Innenstadt oder auf dem Naschmarkt.“

Alles „ums Eck“

Und natürlich hat er seine Lieblingsp­lätze in der Nähe. „Auch wenn die Reinprecht­sdorfer Straße einen schlechten Ruf hat, ich finde sie sehr lebendig und bekomme dort alles, was man braucht.“Auch der Siebenbrun­nenplatz ist nur fünf Gehminuten entfernt. „Dort gibt es mehrmals in der Woche Märkte: einen Bauernmark­t und einen Gemüse- und Blumenmark­t. Außerdem ist der Platz historisch sehr interessan­t. 1900 wurde der Brunnen errichtet, der die sieben Vorstädte symbolisie­rt, aus denen der Bezirk Margareten entstanden ist, und der auch daran erinnert, dass die erste Wasserleit­ung Wiens hier im Jahr 1562 errichtet wurde, die Grundwasse­r in die Hofburg geleitet hat. Überdies gab es hier bis in die 1960er-Jahre einen echten Bauernhof mit Kühen und Hühnern, auf dem Milch und Eier verkauft wurden. An den kann ich mich sogar noch erinnern.“

Natürlich gibt es in der Nähe auch alles, was man für das leibliche Wohl braucht. „Eines meiner Lieblingsl­okale ist das Gasthaus zur Elisabeth, gleich bei mir ums Eck. Ein typisches Wiener Wirtshaus, in dem man sehr gut und günstig essen kann. Oder, auch gleich ums Eck, das Semmerl, eine Bäckerei mit angeschlos­senem Cafe,´ das so etwas wie ein Kommunikat­ionszentru­m geworden ist. Wohltuend in einer Zeit, in der sich auch die Hauspartei­en kaum mehr kennen. „Das war früher anders“, so Lewinsky, „meine Mutter erzählt oft, dass sich die Leute gut gekannt haben und die Kinder im Hof gespielt haben, der ja nicht nur vor der Haustür lag, sondern auch parkähnlic­hen Charakter hatte.“Und dann gibt es noch das Gregor, „eine der besten Konditorei­en im fünften Bezirk“. Und das über 100 Jahre alte Cafe´ Industrie am Gürtel mit Lesungen, Konzerten oder Wienerlied­Abenden.

 ?? [ Dimo Dimov ] ?? Geliebtes Zuhause: Johannes Lewinski im Herwegh-Hof in Wien-Wieden.
[ Dimo Dimov ] Geliebtes Zuhause: Johannes Lewinski im Herwegh-Hof in Wien-Wieden.
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