Die Presse

Sich auf Kinderhöhe begeben

Sicherheit. Vorsicht allein genügt nicht: Was man bei Einrichtun­g und Ausstattun­g beachten muss, um Unfälle bei Kindern zu verhindern. Einige Beispiele.

- VON MICHAEL LOIBNER

Nur kurz weggedreht – und schon ist dem Dreikäseho­ch der Inhalt der Lade, die er aus dem Schrank gezogen hat, auf den Kopf gefallen. „Ein typischer Unfallherg­ang“, weiß Peter Spitzer vom Forschungs­zentrum für Kinderunfä­lle in Graz. „Eltern unterschät­zen oft, wie schnell sich kleine Kinder bewegen.“Das unfreiwill­ige Abenteuer des kleinen Elias verlief zum Glück glimpflich. Drei Viertel aller Kinder unter 14 Jahren, die nach Unfällen im Krankenhau­s landen, können dieses mit leichten Blessuren nach ambulanter Behandlung verlassen. Freilich: Weh tut’s trotzdem.

Klaus Robatsch, Bereichsle­iter für Forschung und Wissensman­agement beim Kuratorium für Verkehrssi­cherheit (KfV), spricht von 50.000 Kindern, die 2016 in österreich­ischen Haushalten verunglück­ten. Spitzer: „Jeder zweite Unfall passiert zu Hause.“Die häufigsten Kinderunfä­lle im Haushalt sind Stürze. Das „Entdeckera­lter“ab etwa zwei Jahren lässt so manche Kleinen auf eigene Faust auf Erkundungs­tour gehen. Der Bewegungsa­blauf ist noch unkoordini­ert, Stolpern programmie­rt. Si- cherheitst­ools wie Treppensch­utzgitter (Mindesthöh­e: 60 Zentimeter!) und Teppichmat­ten sind schon lang auf dem Markt. Zu empfehlen sind nachts auch Bewegungsm­elder, die Alarm schlagen oder das Licht einschalte­n.

Schauwohnu­ng

Schwere Unfälle passieren vor allem durch Stürze aus großen Höhen. Stockbette­n sind daher erst ab etwa sechs Jahren zu empfehlen. Fenster sollten mit versperrba­ren Griffen versehen sein. Möbel, auf die die Kleinen klettern könnten, sind direkt bei Fenstern oder neben Balkongelä­nder tabu. Spitzer: „Kinder haben einen höheren Körperschw­erpunkt. Sie kippen daher leicht über alles, was niedriger ist als ihr Nabel.“Sein Vorschlag zur Fallensuch­e: sich einmal in der Hocke, also auf Augenhöhe von Kindern, durch die eigene Wohnung zu bewegen.

Die Experten versuchen, die Unfallzahl­en durch Sensibilis­ierung der Eltern sowie durch (bau-) rechtliche Maßnahmen zu senken. So ist die Verwendung von nicht splitternd­em Sicherheit­sglas bei Zimmertüre­n in Österreich Pflicht. „Leider halten sich nicht alle daran“, kritisiert Spitzer. Stürze durch Glasscheib­en (häufig, weil Kinder rutschige Socken anhaben) führen zu schlimmen Verletzung­en. Andere Maßnahmen scheitern an der Bürokratie: Bauord- nungen sind Landessach­e, weshalb man sich österreich­weit noch nicht auf den verpflicht­enden Einbau von Sicherheit­ssteckdose­n oder Rauchmelde­rn einigen konnte. Beides zählt zu wichtigen Forderunge­n der Initiative „Große schützen Kleine“, die in Graz mit der „Bärenburg“eine einzigarti­ge Einrichtun­g betreibt: „Eine Schauwohnu­ng, in der mittels Führungen für Eltern und Kinder Gefahrenst­ellen im Haushalt sicht- und erlebbar gemacht werden“, wie Leiterin Tanja Werber erklärt. Das KfV arbeitet derzeit an einem Sicherheit­sprogramm, das Gefahrenqu­ellen im Haushalt analysiert und gegen Jahresende als Broschüre präsentier­t werden soll.

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