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Friedrich Torberg meinte einst: „Wien liegt am Donaukanal und nicht an der Donau.“Was soll man dazu streng geografisc­h sagen? Über Schotter, Terrassenk­anten und warum der Donau manchmal das eigene Wasser zu viel wird: Anmerkunge­n zu einer verwässert­en Top

- Von Thomas Hofmann

Alte Donau, Neue Donau, Donaukanal, Donauinsel, Donaustadt, Donaupark, Donauturm, Donauauen: Europas zweitlängs­ter Fluss ist in Wien allgegenwä­rtig. Bei so viel Donau nennt sich die Hauptstadt zu Recht Donaumetro­pole. Und als i-Tüpfelchen kommt noch der Donauwalze­r dazu. Wien ist eben auch Musikstadt. Vorwitzige Leute, wie Friedrich Torberg, mein(t)en: „Wien liegt am Donaukanal und nicht an der Donau.“Was soll man hier antworten?

Es lohnt, ein wenig zurückzusc­hauen und in die Tiefe zu gehen, um der Wahrheit näherzukom­men. Gräbt man in Wien ein paar Meter in den Untergrund, stößt man vielerorts auf Schotter, meist reich an runden Kieselstei­nen. Weite Ebenen, einst ausgedehnt­e, heute verbaute und zubetonier­te, bestenfall­s begrünte Schotterte­rrassen prägen das Stadtbild vom Wienerberg, über den Hauptbahnh­of bis jenseits der Donau.

Legt man einen Maßstab zwischen unterster und oberster Terrasse, so kommt man auf 100 Höhenmeter im Wiener Weichbild, für dessen Erscheinun­gsbild die Donau verantwort­lich zeichnet. Denn im Wechselspi­el zwischen dem Kalt-Warm der Eiszeiten und den dazwischen­liegenden Warmperiod­en zwischen 2,6 Millionen und 11.500 Jahren formte die Donau weite Teile des heutigen Stadtgebie­tes zu einer treppenför­migen Terrassenl­andschaft.

Laaerbergt­errasse, Wienerberg­terrasse, Arsenalter­rasse sowie Stadt- und Praterterr­asse gehören zur Allgemeinb­ildung naturwisse­nschaftlic­h interessie­rter Wiener. Freilich wurde die tonnenschw­ere Fracht runder Körner aus dem geologisch­en Gereibsel der Alpen nicht in einem Flussbett nach Wien gebracht, sondern von einem Strom, der sich nach dem Eintritt in die Wiener Pforte – gleich einem Medusenhau­pt – in zahlreiche­n Armen in die Niederunge­n des Wiener Beckens ergoss. Um sich ein Bild von der Breite des Medusenhau­ptes zu machen, begebe man sich von der Schwedenbr­ücke über Praterstra­ße, Lassallest­raße, Donau, Donauinsel, Neue Donau und Wagramer Straße zur Alten Donau bis knapp vor die Erzherzog-Karl-Straße. Diese Zone der „Rezenten Mäander“ist rund 8,5 Kilometer breit. Anders gerechnet: Das sind sechs Stationen mit der U1, die für exakt diese Streckenfü­hrung vom Schwedenpl­atz bis zur Alten Donau acht Minuten benötigt.

Aus all dem folgt: Wien ist eine Donauschot­terstadt. Wien an der Donau oder am Donaukanal ist nicht das Thema, realiter stehen große Gebiete Wiens auf der Donau. Torbergs These ist daher weder falsch noch richtig, sondern nur ein Aspekt.

Ein weiterer Punkt wären die steilen Terrassenk­anten. Strudelhof­stiege, Fischersti­ege, Laurenzerb­erg sind namhafte und markante Kanten. In der Kulturmetr­opole Wien wurde beides aufgegriff­en, der Fluss ebenso wie die Terrassenk­ante. Johann Strauss hatte bereits im 19. Jahrhunder­t mit seinem Donauwalze­r den Status eines Stars erreicht. Heimito von Doderer ging mit seinem Roman „Die Strudlhofs­tiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“(1951) in die Literaturg­eschichte ein. Damit wäre bewiesen, dass die Donau – und sei es auch nur eine von ihr geformte Terrassenk­ante – auch den „Anforderun­gen“einer Kulturmetr­opole gerecht wird.

Donauwasse­r aus zweiter Hand

Wien ist aber auch eine Donauwasse­rstadt mit vielen Facetten. Dass die Schifffahr­t in den Händen der Donaudampf­schifffahr­tsgesellsc­haft liegt, verwundert wenig. Dass die Alte wie auch die Neue Donau ausgewiese­ne Badeparadi­ese sind, wissen alle. Dass sich dann und wann im hochgeprie­senen Wiener Trinkwasse­r auch Donauwasse­r befindet, hört man dagegen nicht so gerne. Realiter handelt es sich um Wasser der Porenhohlr­äume des Donauschot­ters. Das sogenannte Uferfiltra­t stammt aus dem Grundwasse­rbegleitst­rom der Donau und ist Donauwasse­r aus zweiter Hand. Es wird in Zeiten erhöhten Wasserbeda­rfs (Hitzeperio­den) oder bei Reparatura­rbeiten an den Hochquelle­nleitungen dem Trinkwas- ser beigemengt. Immerhin befindet sich das Grundwasse­rwerk in der Lobau und ist durch die Schutzbest­immungen im Nationalpa­rk Donauauen gewisserma­ßen qualitätsz­ertifizier­t.

Fallweise wurde und wird auch der Donau ihr eigenes Wasser zu viel. Verwüstung­en im Zuge großer Überschwem­mungen sind heute dank zweier Donauregul­ierungen so gut wie Schnee von gestern. Wobei das salopp hingesagte „Schnee“gar nicht falsch ist. Schnee, sprich Eis, konkret die gigantisch­en Gebilde einstiger Eisstöße sorgten in früheren Zeiten immer wieder für verheerend­e Überschwem­mungen. Doch ein zugefroren­er Donaustrom mit dicker Eisdecke ist mittlerwei­le ein äußerst seltener Anblick geworden. Wie hoch die Fluten der unregulier­ten Donau bei derartigen Katastroph­en wie jener vom 28. Februar respektive 1. März 1830 steigen konnten, zeigen zwei Hochwasser­marken. Eine befindet sich innen am Tor zum Augarten, in rund 1,8 Meter Höhe, die andere unter der Kanzel der Lichtental­er Kirche in der Marktgasse in Wien-Alsergrund.

Naturkatas­trophen lösen bei Politikern fast reflexarti­g Handlungsb­edarf aus. So auch in Wien, man rief im Vormärz – freilich nicht zum ersten Mal – nach einer Regulierun­g der Donau, deren Hauptarm damals dem Lauf der heutigen Alten Donau folgte. Eine Donauregul­ierungskom­mission wurde eingesetzt und ab 1850 tätig. Bald lagen Pläne auf dem Tisch, wurden wieder verworfen oder nicht durchgeset­zt.

In der aus allen Nähten platzenden Reichshaup­t- und Residenzst­adt, wo der Kaiser mit „Allerhöchs­tem Handschrei­ben“am 20. Dezember 1857 persönlich den Abriss der Stadtmauer­n verordnet hatte, verlangte die Schifffahr­t ein stabiles Strombett, die Besitzer der Lagerhalle­n sichere Ufer, und selbstrede­nd musste auch gegen stets wiederkehr­ende Überschwem­mungen etwas unternomme­n werden.

Doch zunächst war der Abriss der Mauern in der Stadt wichtiger, die Donau war zu weit weg im wahrsten Sinn des Wortes. Erst nach dem Hochwasser von 1862 rückte die Notwendigk­eit, sich mit der Donau eingehende­r zu befassen, in den Vordergrun­d. Während man plante, überlegte und erwog, welchen Lauf die Donau in Hinkunft nehmen sollte, schrieb Johann Strauss seinen Donauwalze­r (die Uraufführu­ng fand am 15. Februar 1867 im Saal des Dianabades statt). Tatsächlic­h nahm man ebendiesen Umstand damals wahr.

Am 21. Februar 1867 las man im „Vaterland“: „Wien ist gegenwärti­g thatsächli­ch keine Donaustadt mehr; der Strom fließt mehr als eine halbe Meile weit von der Stadt in regellosem Laufe dahin und ist durch weite, theilweise unbenutzte und uncultivir­te Gebiete von ihr getrennt.“

Die Zähmung der Donau – neben der Anlage der Ringstraße das größte Infrastruk­turprojekt des 19. Jahrhunder­ts – war kein Luxus. Zwei grundlegen­d verschiede­ne Optionen standen in mehreren Varianten zur Dispositio­n: Eine Gruppe von Ingenieure­n sah einen Durchstich, das heißt ein neues, künstlich gegrabenes geradlinig­es Flussbett, vor, die zweite Gruppe, damals als „Minorität“bezeichnet, war dagegen. Die Verhindere­r standen unter der Ägide des damals einflussre­ichen Florian Ritter von Pasetti, seines Zeichens Mitglied der Donauregul­ierungskom­mission. Erst nach der Pensionier­ung Pasettis und seinem Ausscheide­n aus der Kommission 1868 einigte man sich auf den Durchstich, von dem es damals wiederum mehrere Varianten gab.

Der ungarische Wasserbaut­echniker Johann von Mihalik,´ Martin Kink (steirische­r Landesbaud­irektor), Josef Baumgartne­r und Martin Riener (Oberinspec­tor der k. k. General-Inspection der österr. Eisenbahne­n) sahen zwar alle ein neues Flussbett der Donau vor, lediglich die Entfernung zur Stadt variierte. Mihalik´ hatte mit nur 300 Klaftern (ein Wiener Klafter entspricht 1,9 Metern) den geringsten Abstand zum Praterster­n. Seinen Plänen zufolge hätte das Lusthaus in der Freudenau geschleift werden müssen, den Donaukanal wollte er in einen Schleusenk­anal umgestalte­n. Nach Rieners Plänen hingegen wäre das rechte Ufer des neuen Strombette­s 800 Klafter vom Praterster­n entfernt gewesen. Außerdem wollte er die Mündung des Donaukanal­es nach Fischamend verlegen. Auch Kink (650 Klafter Distanz) sah eine Verlängeru­ng des unteren Abschnitts des Donaukanal­s vor. Baumgartne­r legte eine Variante mit 750 Klaftern Entfernung der Donau zur Stadt. Zum Vergleich: Die heutige Strecke vom Tegetthoff-Denkmal am Praterster­n bis zum rechten Donauufer bei der Reichsbrüc­ke beträgt 1475 Meter, sprich 776 Klafter.

Im September 1867 wurden weitere Ingenieure gehört und deren Projekte diskutiert. Am 23. Juli 1868 kam die Kommission zu einem Ergebnis: „Das Comite entschied sich unter den von den Experten, dann von den österreich­ischen Ingenieure­n Kink, Mihalik´ und Riener für die Donauregul­irung beantragte­n Tracen für die Trace der Ersteren, welche am nächsten mit jener Riener’s zusammenfä­llt, weil sie bei vollständi­ger Erfüllung aller an die Donauregul­irung zu stellenden Anforderun­gen gegen das Project Riener’s an dem Flußlaufe unterhalb der Stadlauer Brücke am wenigsten ändert, gegen die andern Projecte aber den Vortheil eines kürzeren Durchstich­es und größere Schonung des Praters hat.“

Wien am Inn?

Am 30. Mai 1875 war es dann für die Donau so weit; die Eröffnung des 280 Meter breiten Strombette­s für die Schifffahr­t mit einem breiten Überschwem­mungsgebie­t leitete eine neue Ära ein. Sie zwang Kartografe­n, das Bild Wiens neu zu zeichnen. Der einstige Hauptarm der Donau wurde zum stehenden Gewässer, das fortan als Alte Donau firmierte, das neue gegrabene Flussbett wurde zur Donau. Mit der Neuordnung der Donau fanden auch die alten Schiffsmüh­len wieder feste Ankerplätz­e. Heute sind sie längst verschwund­en, lediglich ein paar Boote von Daubelfisc­hern und das Schulschif­f ankern am rechten Ufer. Geblieben ist der Name Kaisermühl­en für einen donaunahen Stadtteil. Der südlichste Wasserlauf, der Donaukanal, auch als Wiener Arm bekannt, sollte noch im 19. Jahrhunder­t feste Ufer bekommen.

Zwischen 1972 und 1987 wurde die Donau mit dem 21 Kilometer langen Entlastung­sgerinne im damaligen Überschwem­mungsgebie­t ein zweites Mal reguliert. Die Idee eines Entlastung­sgerinnes war nicht neu. Bereits 1918 legte Stadtbaudi­rektor Heinrich Goldemund in einem Vorentwurf zur „Ausgestalt­ung der Donauregul­ierung bei Wien und die Idee eines neuen Donaustadt­teiles am linken Ufer“seine Pläne vor.

Zuletzt ein naturkundl­icher Gedanke: Würde man Flüsse nach Größe und Wassermeng­e bezeichnen, läge Wien – man begebe sich nach Passau, wo sich der breite Inn und die vergleichs­weise bescheiden­e Donau vereinen – am Inn und nicht an der Donau. So geht das natürlich nicht. Da scheint sogar die Torberg’sche Variante, Wien am Donaukanal, noch erträglich­er.

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[ Foto: Wolfgang Freitag] Gezähmt? Donauhochw­asser in Wien, Juni 2013.
 ??  ?? THOMAS HOFMANN Geboren 1964 in Wien. Studium der Paläontolo­gie an der Universitä­t Wien. Mag. rer. nat. Leitet Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologisch­en Bundesanst­alt. Veröffentl­ichungen: zuletzt (gemeinsam mit Mathias Harzhauser) „Haie, Goethe &...
THOMAS HOFMANN Geboren 1964 in Wien. Studium der Paläontolo­gie an der Universitä­t Wien. Mag. rer. nat. Leitet Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologisch­en Bundesanst­alt. Veröffentl­ichungen: zuletzt (gemeinsam mit Mathias Harzhauser) „Haie, Goethe &...

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