Alles Donau
Friedrich Torberg meinte einst: „Wien liegt am Donaukanal und nicht an der Donau.“Was soll man dazu streng geografisch sagen? Über Schotter, Terrassenkanten und warum der Donau manchmal das eigene Wasser zu viel wird: Anmerkungen zu einer verwässerten Top
Alte Donau, Neue Donau, Donaukanal, Donauinsel, Donaustadt, Donaupark, Donauturm, Donauauen: Europas zweitlängster Fluss ist in Wien allgegenwärtig. Bei so viel Donau nennt sich die Hauptstadt zu Recht Donaumetropole. Und als i-Tüpfelchen kommt noch der Donauwalzer dazu. Wien ist eben auch Musikstadt. Vorwitzige Leute, wie Friedrich Torberg, mein(t)en: „Wien liegt am Donaukanal und nicht an der Donau.“Was soll man hier antworten?
Es lohnt, ein wenig zurückzuschauen und in die Tiefe zu gehen, um der Wahrheit näherzukommen. Gräbt man in Wien ein paar Meter in den Untergrund, stößt man vielerorts auf Schotter, meist reich an runden Kieselsteinen. Weite Ebenen, einst ausgedehnte, heute verbaute und zubetonierte, bestenfalls begrünte Schotterterrassen prägen das Stadtbild vom Wienerberg, über den Hauptbahnhof bis jenseits der Donau.
Legt man einen Maßstab zwischen unterster und oberster Terrasse, so kommt man auf 100 Höhenmeter im Wiener Weichbild, für dessen Erscheinungsbild die Donau verantwortlich zeichnet. Denn im Wechselspiel zwischen dem Kalt-Warm der Eiszeiten und den dazwischenliegenden Warmperioden zwischen 2,6 Millionen und 11.500 Jahren formte die Donau weite Teile des heutigen Stadtgebietes zu einer treppenförmigen Terrassenlandschaft.
Laaerbergterrasse, Wienerbergterrasse, Arsenalterrasse sowie Stadt- und Praterterrasse gehören zur Allgemeinbildung naturwissenschaftlich interessierter Wiener. Freilich wurde die tonnenschwere Fracht runder Körner aus dem geologischen Gereibsel der Alpen nicht in einem Flussbett nach Wien gebracht, sondern von einem Strom, der sich nach dem Eintritt in die Wiener Pforte – gleich einem Medusenhaupt – in zahlreichen Armen in die Niederungen des Wiener Beckens ergoss. Um sich ein Bild von der Breite des Medusenhauptes zu machen, begebe man sich von der Schwedenbrücke über Praterstraße, Lassallestraße, Donau, Donauinsel, Neue Donau und Wagramer Straße zur Alten Donau bis knapp vor die Erzherzog-Karl-Straße. Diese Zone der „Rezenten Mäander“ist rund 8,5 Kilometer breit. Anders gerechnet: Das sind sechs Stationen mit der U1, die für exakt diese Streckenführung vom Schwedenplatz bis zur Alten Donau acht Minuten benötigt.
Aus all dem folgt: Wien ist eine Donauschotterstadt. Wien an der Donau oder am Donaukanal ist nicht das Thema, realiter stehen große Gebiete Wiens auf der Donau. Torbergs These ist daher weder falsch noch richtig, sondern nur ein Aspekt.
Ein weiterer Punkt wären die steilen Terrassenkanten. Strudelhofstiege, Fischerstiege, Laurenzerberg sind namhafte und markante Kanten. In der Kulturmetropole Wien wurde beides aufgegriffen, der Fluss ebenso wie die Terrassenkante. Johann Strauss hatte bereits im 19. Jahrhundert mit seinem Donauwalzer den Status eines Stars erreicht. Heimito von Doderer ging mit seinem Roman „Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“(1951) in die Literaturgeschichte ein. Damit wäre bewiesen, dass die Donau – und sei es auch nur eine von ihr geformte Terrassenkante – auch den „Anforderungen“einer Kulturmetropole gerecht wird.
Donauwasser aus zweiter Hand
Wien ist aber auch eine Donauwasserstadt mit vielen Facetten. Dass die Schifffahrt in den Händen der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft liegt, verwundert wenig. Dass die Alte wie auch die Neue Donau ausgewiesene Badeparadiese sind, wissen alle. Dass sich dann und wann im hochgepriesenen Wiener Trinkwasser auch Donauwasser befindet, hört man dagegen nicht so gerne. Realiter handelt es sich um Wasser der Porenhohlräume des Donauschotters. Das sogenannte Uferfiltrat stammt aus dem Grundwasserbegleitstrom der Donau und ist Donauwasser aus zweiter Hand. Es wird in Zeiten erhöhten Wasserbedarfs (Hitzeperioden) oder bei Reparaturarbeiten an den Hochquellenleitungen dem Trinkwas- ser beigemengt. Immerhin befindet sich das Grundwasserwerk in der Lobau und ist durch die Schutzbestimmungen im Nationalpark Donauauen gewissermaßen qualitätszertifiziert.
Fallweise wurde und wird auch der Donau ihr eigenes Wasser zu viel. Verwüstungen im Zuge großer Überschwemmungen sind heute dank zweier Donauregulierungen so gut wie Schnee von gestern. Wobei das salopp hingesagte „Schnee“gar nicht falsch ist. Schnee, sprich Eis, konkret die gigantischen Gebilde einstiger Eisstöße sorgten in früheren Zeiten immer wieder für verheerende Überschwemmungen. Doch ein zugefrorener Donaustrom mit dicker Eisdecke ist mittlerweile ein äußerst seltener Anblick geworden. Wie hoch die Fluten der unregulierten Donau bei derartigen Katastrophen wie jener vom 28. Februar respektive 1. März 1830 steigen konnten, zeigen zwei Hochwassermarken. Eine befindet sich innen am Tor zum Augarten, in rund 1,8 Meter Höhe, die andere unter der Kanzel der Lichtentaler Kirche in der Marktgasse in Wien-Alsergrund.
Naturkatastrophen lösen bei Politikern fast reflexartig Handlungsbedarf aus. So auch in Wien, man rief im Vormärz – freilich nicht zum ersten Mal – nach einer Regulierung der Donau, deren Hauptarm damals dem Lauf der heutigen Alten Donau folgte. Eine Donauregulierungskommission wurde eingesetzt und ab 1850 tätig. Bald lagen Pläne auf dem Tisch, wurden wieder verworfen oder nicht durchgesetzt.
In der aus allen Nähten platzenden Reichshaupt- und Residenzstadt, wo der Kaiser mit „Allerhöchstem Handschreiben“am 20. Dezember 1857 persönlich den Abriss der Stadtmauern verordnet hatte, verlangte die Schifffahrt ein stabiles Strombett, die Besitzer der Lagerhallen sichere Ufer, und selbstredend musste auch gegen stets wiederkehrende Überschwemmungen etwas unternommen werden.
Doch zunächst war der Abriss der Mauern in der Stadt wichtiger, die Donau war zu weit weg im wahrsten Sinn des Wortes. Erst nach dem Hochwasser von 1862 rückte die Notwendigkeit, sich mit der Donau eingehender zu befassen, in den Vordergrund. Während man plante, überlegte und erwog, welchen Lauf die Donau in Hinkunft nehmen sollte, schrieb Johann Strauss seinen Donauwalzer (die Uraufführung fand am 15. Februar 1867 im Saal des Dianabades statt). Tatsächlich nahm man ebendiesen Umstand damals wahr.
Am 21. Februar 1867 las man im „Vaterland“: „Wien ist gegenwärtig thatsächlich keine Donaustadt mehr; der Strom fließt mehr als eine halbe Meile weit von der Stadt in regellosem Laufe dahin und ist durch weite, theilweise unbenutzte und uncultivirte Gebiete von ihr getrennt.“
Die Zähmung der Donau – neben der Anlage der Ringstraße das größte Infrastrukturprojekt des 19. Jahrhunderts – war kein Luxus. Zwei grundlegend verschiedene Optionen standen in mehreren Varianten zur Disposition: Eine Gruppe von Ingenieuren sah einen Durchstich, das heißt ein neues, künstlich gegrabenes geradliniges Flussbett, vor, die zweite Gruppe, damals als „Minorität“bezeichnet, war dagegen. Die Verhinderer standen unter der Ägide des damals einflussreichen Florian Ritter von Pasetti, seines Zeichens Mitglied der Donauregulierungskommission. Erst nach der Pensionierung Pasettis und seinem Ausscheiden aus der Kommission 1868 einigte man sich auf den Durchstich, von dem es damals wiederum mehrere Varianten gab.
Der ungarische Wasserbautechniker Johann von Mihalik,´ Martin Kink (steirischer Landesbaudirektor), Josef Baumgartner und Martin Riener (Oberinspector der k. k. General-Inspection der österr. Eisenbahnen) sahen zwar alle ein neues Flussbett der Donau vor, lediglich die Entfernung zur Stadt variierte. Mihalik´ hatte mit nur 300 Klaftern (ein Wiener Klafter entspricht 1,9 Metern) den geringsten Abstand zum Praterstern. Seinen Plänen zufolge hätte das Lusthaus in der Freudenau geschleift werden müssen, den Donaukanal wollte er in einen Schleusenkanal umgestalten. Nach Rieners Plänen hingegen wäre das rechte Ufer des neuen Strombettes 800 Klafter vom Praterstern entfernt gewesen. Außerdem wollte er die Mündung des Donaukanales nach Fischamend verlegen. Auch Kink (650 Klafter Distanz) sah eine Verlängerung des unteren Abschnitts des Donaukanals vor. Baumgartner legte eine Variante mit 750 Klaftern Entfernung der Donau zur Stadt. Zum Vergleich: Die heutige Strecke vom Tegetthoff-Denkmal am Praterstern bis zum rechten Donauufer bei der Reichsbrücke beträgt 1475 Meter, sprich 776 Klafter.
Im September 1867 wurden weitere Ingenieure gehört und deren Projekte diskutiert. Am 23. Juli 1868 kam die Kommission zu einem Ergebnis: „Das Comite entschied sich unter den von den Experten, dann von den österreichischen Ingenieuren Kink, Mihalik´ und Riener für die Donauregulirung beantragten Tracen für die Trace der Ersteren, welche am nächsten mit jener Riener’s zusammenfällt, weil sie bei vollständiger Erfüllung aller an die Donauregulirung zu stellenden Anforderungen gegen das Project Riener’s an dem Flußlaufe unterhalb der Stadlauer Brücke am wenigsten ändert, gegen die andern Projecte aber den Vortheil eines kürzeren Durchstiches und größere Schonung des Praters hat.“
Wien am Inn?
Am 30. Mai 1875 war es dann für die Donau so weit; die Eröffnung des 280 Meter breiten Strombettes für die Schifffahrt mit einem breiten Überschwemmungsgebiet leitete eine neue Ära ein. Sie zwang Kartografen, das Bild Wiens neu zu zeichnen. Der einstige Hauptarm der Donau wurde zum stehenden Gewässer, das fortan als Alte Donau firmierte, das neue gegrabene Flussbett wurde zur Donau. Mit der Neuordnung der Donau fanden auch die alten Schiffsmühlen wieder feste Ankerplätze. Heute sind sie längst verschwunden, lediglich ein paar Boote von Daubelfischern und das Schulschiff ankern am rechten Ufer. Geblieben ist der Name Kaisermühlen für einen donaunahen Stadtteil. Der südlichste Wasserlauf, der Donaukanal, auch als Wiener Arm bekannt, sollte noch im 19. Jahrhundert feste Ufer bekommen.
Zwischen 1972 und 1987 wurde die Donau mit dem 21 Kilometer langen Entlastungsgerinne im damaligen Überschwemmungsgebiet ein zweites Mal reguliert. Die Idee eines Entlastungsgerinnes war nicht neu. Bereits 1918 legte Stadtbaudirektor Heinrich Goldemund in einem Vorentwurf zur „Ausgestaltung der Donauregulierung bei Wien und die Idee eines neuen Donaustadtteiles am linken Ufer“seine Pläne vor.
Zuletzt ein naturkundlicher Gedanke: Würde man Flüsse nach Größe und Wassermenge bezeichnen, läge Wien – man begebe sich nach Passau, wo sich der breite Inn und die vergleichsweise bescheidene Donau vereinen – am Inn und nicht an der Donau. So geht das natürlich nicht. Da scheint sogar die Torberg’sche Variante, Wien am Donaukanal, noch erträglicher.