„Arbeitsplätze schaffen ist nicht sozial“
Interview. Der Schweizer Kaffeehausbetreiber Daniel Häni engagiert sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen und glaubt, dass seine Mitarbeiter dann trotzdem arbeiten würden. Konsumationszwang gibt es in seinem Kaffeehaus nicht.
Die Presse: Die Schweizer haben der Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen vor einem Jahr eine Abfuhr erteilt. Wäre das in Österreich anders? Daniel Häni: Die Schweizer haben den ersten Schritt gemacht, sich in aller Breite mit dieser Idee auseinanderzusetzen. Die erste Abstimmung hat ergeben, dass schon fast jeder Vierte dieser Idee zustimmen kann. Ich finde das beachtlich. Die Schweiz ist ein sehr konservatives Land. In Österreich wäre die Zustimmung womöglich größer. Die Idee muss allerdings breit diskutiert werden. Das Grundeinkommen kommt nicht von oben, sonst würde es seine Wirkung verfehlen. Wir müssen es erst lernen, einander die Existenz ohne Bedingungen zuzusprechen.
Das Existenzminimum bekommt man ja jetzt schon, wenn man alt, krank oder arbeitslos ist – auch in der Schweiz. Ja natürlich, auch wir haben einen Sozialstaat Bismarck’scher Prägung. Aber man bekommt das Existenzminimum nicht ohne Bedingungen. Der nächste Entwicklungsschritt des Sozialstaats ist, uns die Existenz ohne Bedingungen zuzugestehen.
Sie betreiben ein Kaffeehaus. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Mitarbeiter sagen: Ich nehme lieber das Grundeinkommen und arbeite nicht mehr? Überhaupt nicht. Gerade im Gastgewerbe ist es wichtig, dass man die Arbeit macht, weil man will, und nicht, weil man muss. Wer nicht gern im Kaffeehaus arbeitet, ist kein guter Gastgeber. Wir achten bei Bewerbungsgesprächen genau darauf, was das Motiv für die Arbeit ist. Wenn es nur das Geld ist, sagen wir ab.
Haben Sie auch Teilzeitmitarbeiter? Die meisten arbeiten Teilzeit.
Da gibt es vielleicht welche, die weniger verdienen als das Grundeinkommen. Die würden das Grundeinkommen nehmen und nicht mehr kommen. Wenn sie dann nicht mehr kommen, war anscheinend das Geld das Motiv zu arbeiten. Wenn sie aber weiterhin kommen, wissen wir, sie machen es wegen der Arbeit. Arbeit ist nichts Schlechtes. In der Arbeit entwickeln wir uns und finden Sinn. Umso mehr, wenn die Arbeit selbst gewählt ist. Deswegen ist die Bedingungslosigkeit der Existenz so wichtig, damit wir selbst entscheiden können.
Bei den Gegnern des Grundeinkommens ist es ja nicht nur so, dass sie das niemandem gönnen. Es gibt auch die Angst vor hoher Inflation und einem Anstieg der Staatsverschuldung. Diese Ängste sind unbegründet. Das Grundeinkommen wäre nicht mehr Geld, sondern mehr Freiheit und damit mehr Macht beim Einzelnen. Dass diejenigen, welche eine solche Machtumverteilung nicht möchten, von Inflation und Staatsverschuldung sprechen, ist auch kein Wunder: Es ist nicht so chic zu sagen, man will die Macht nicht abgeben.
Gerade Gewerkschaften haben oft Vorbehalte gegen ein Grundeinkommen. Die haben vielerorts noch einen alten Arbeitsbegriff. Für sie ist nur Erwerbsarbeit Arbeit. Sie wollen deshalb Arbeitsplätze erhalten. In der Politik gibt es den Werbespruch – übrigens von Rechten und Linken: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“Das Gegenteil ist wahr. Arbeitsplätze schaffen ist nicht sozial. Wenn Sie den Müll auf die Straße werfen, damit ihn andere aufheben, ist das asozial. Sozial ist, die Arbeit zu erledigen. Da sehen Sie, wie verdrehte Bilder wir im Kopf haben.
Was hat Sie bewogen, ein Kaffeehaus aufzumachen? Wien und Berlin haben mich inspiriert. Ein Kaffeehaus ist ein Ort, wo Menschen über sich hinauswachsen können, wo Menschen einander begegnen. Bedingungslosigkeit ist eines unserer Merkmale: In unserem Kaffeehaus in Basel gibt es keinen Konsumationszwang. Wir haben tausend Gäste am Tag.
Wie viel Prozent konsumieren nichts? Das zählen wir nicht. Wir stellen nur fest, dass es ein Bedürfnis gibt, nicht konsumieren zu müssen. Ich kann es nur jedem empfehlen, der ein Unternehmen nachhaltig erfolgreich führen will, Großzügigkeit zu zeigen. Die Leute lieben und schätzen Großzügigkeit, nicht Kleinlichkeit. In der Gastronomie gibt es viele Wechsel, aber unser Kaffeehaus floriert seit 18 Jahren.
Hätte sich in Ihrem Leben etwas verändert, wenn Sie von Anfang an das Grundeinkommen gehabt hätten? Ich hatte das Glück, mit einem Schuss Anarchie im Blut geboren zu werden, und habe immer gemacht, was ich wollte. Ich kann also nur bestätigen, dass man Erfolg hat, wenn man sich nicht manipulieren lässt und an die eigenen Ideen glaubt. Wenn das alle anderen auch könnten, wäre mein Leben noch viel besser. Ich mache mir echt Sorgen, wenn ich in die Gesellschaft schaue und sehe, wie frustriert die Menschen sind. Viele leben wie im Halbschlaf oder gehen mit innerer Kündigung zur Arbeit. Neid und Angst werden großgeschrieben. Gäbe es ein Grundeinkommen, hätten die politischen Parteien, die mit der Angst und dem Neid Politik machen, viel weniger Zulauf.
(*1966 in Bern) ist Unternehmer – er betreibt das Kaffeehaus Unternehmen Mitte in Basel – und ist Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Er war Mitinitiator eines Referendums im Juni 2016, bei dem die Schweizer zu 76,9 gegen und zu 23,1 Prozent für ein Grundeinkommen stimmten. Häni war anlässlich der Premiere des Dokumentarfilms
von Christian Tod in Wien, der derzeit im Kino läuft. Müsste man nicht gerade dann die Gesellschaft nach außen absichern, damit nicht die ganze Welt einwandert? Nein, das Grundeinkommen ist migrationsneutral. Aber natürlich braucht man dann eine Frist zur Berechtigung.
Käme es nicht zu einer Zweiteilung der Gesellschaft: in Leute, die von ihrer Arbeit leben, und solche, die in den Arbeitsmarkt gar nicht mehr reinkommen und denen man sagt: Gebt Ruhe, ihr habt eh das Grundeinkommen. Diese Zweiteilung haben wir heute schon. Nur die Hälfte der Menschen sind im Erwerbsleben, die anderen erhalten staatliche oder private Transferleistungen. Das Grundeinkommen würde einen Boden schaffen, der für alle gleich ist, und die Chancengleichheit würde zunehmen.
Schon jetzt tun sich junge Leute schwer, in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Das ist auch ein psychologisches Problem. Wäre es nicht asozial zu sagen: Ihr kommt ohnehin nie rein, da habt ihr das Grundeinkommen. Das ist eine verkehrte Welt, die Sie schildern. Heute wird den jungen Leuten versprochen, dass sie in den Arbeitsmarkt reinkommen, wenn sie sich anpassen, und dann kommen sie aber gar nicht rein. Wir müssen die Bildung revolutionieren, die jungen Leute zur Selbstermächtigung erziehen. Mit dem Grundeinkommen würden sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen selbst zu fällen.
Und wenn sie die Entscheidung fällen: Ich lebe einfach von dem Grundeinkommen – bis es irgendwann wirklich zu spät ist? Das ist ein korruptes Menschenbild, dass Menschen nicht arbeiten wollen, dass sie faul sind.
Sie müssen ja nicht grundsätzlich faul sein, sie wollen sich vielleicht nur die mühsame Jobsuche ersparen. Heute drücken sich die Leute, weil das Sozialsystem verkehrt ist. Mit dem Grundeinkommen hängt man nicht mehr an diesem Gängelband. Sie können sofort mit dem beginnen, was Sie richtig finden.
Gäbe es dann nicht viele Künstler und wenige Leute, die putzen? Wenn alle Menschen Künstler wären, wäre das ein großer Vorteil für die Gesellschaft. Kunst heißt ja nicht malen oder Skulpturen hauen. Kunst heißt Qualität. Jeder Mensch soll in der Arbeit, in der er ist, etwa in einer Putzarbeit, so gut sein wie ein Künstler – mit höchster Hingabe und bestem Resultat.