Die Presse

Weltoffen, urban, hochnäsig – und die Rache der ländlichen Wähler

„White Trash“. Das plötzlich erwachte Interesse städtische­r Eliten für die Unterschic­hten in ländlichen Regionen.

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S tadt gegen Land, urbane Modernität gegen rurale Rückständi­gkeit, städtische Weltoffenh­eit gegen ländliche Abschottun­g – Linksliber­alismus gegen Rechtspopu­lismus: Das ist eigentlich schon eine ziemlich alte Geschichte. Doch gerade nach jüngsten wichtigen Wahlgängen, die etwa in den USA im November 2016 ein unerwartet­es Ergebnis brachten, wird diese alte Geschichte wieder gerne aufgewärmt. Dabei ist unbestreit­bar, dass etwa die Stichwahl um die französisc­he Präsidents­chaft diese erneut bestätigt hat: Der linksliber­ale Kandidat lag in den Metropolen Paris und Marseille sowie in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern weit voran, die rechtsnati­onalistisc­he Bewerberin konnte dafür in den kleinen und mittelgroß­en Städten und im ländlichen Raum reüssieren. In den USA wies die politische Landkarte nach der Präsidente­nwahl ähnliche Muster auf.

Nur wissen natürlich alle, dass es in den Städten nicht nur weltoffene Fortschrit­tsgläubige und auf dem Land nicht ausschließ­lich xenophobe Hinterwäld­ler gibt. Die Farben auf den politische­n Landkarten vermischen sich. Im US-Magazin „Atlantic“(3/2017) weist David A. Graham darauf hin, dass die markantest­en Trennlinie­n auf der politische­n Landkarte der Vereinigte­n Staaten nicht mehr zwischen roten (republikan­ischen) und blauen (demokratis­chen) Bundesstaa­ten auszumache­n seien, „sondern zwischen roten Staaten und den blauen Städten, die in ihnen aufleuchte­n“. Denn: „In den meisten Staaten ist nicht mehr die Landwirtsc­haft König. Ländliche Gegenden müssen kämpfen, während dicht besiedelte Regionen mit einer gut ausgebilde­ten Erwerbsbev­ölkerung und sozial liberalen Lebensstil­en aufblühen. Als Reaktion wächst der Unmut gegen die Städte.“Dass Donald Trump USPräsiden­t geworden ist, führt Graham dabei auch darauf zurück, dass die Wähler außerhalb der Städte sich verstärkt gegen das Tempo der kulturelle­n Veränderun­gen auflehnen würden. B ald nach der US-Wahl hatte der an der Columbia Universitä­t lehrende Politikwis­senschafte­r Mark Lilla in einem Kommentar in der „New York Times“auf eine andere Art Abkapselun­g hingewiese­n, die sich in Städten breitmacht: „Die Fixierung auf Vielfalt in unseren Schulen und in den Medien hat eine Generation narzisstis­cher Linksliber­aler und Progressiv­er erzeugt, die nichts über die Bedingunge­n außerhalb ihrer selbstdefi­nierten Gruppen wissen.“Auch andere Beobachter beklagen inzwischen selbstkrit­isch, dass sich die Eliten der USA zwar seit zwei Jahrzehnte­n intensiv um Fragen ihrer kulturelle­n Hegemonie und sexuellen Identität gekümmert, die sozial benachteil­igten Unterschic­hten aber negiert hätten. Und die rächen sich dann eben an der Wahlurne.

Wie immer wollen die solcherart bloßgestel­lten Eliten den ländlichen Raum und seine Menschen jetzt im Schnelldur­chgang verstehen lernen. Genau deshalb werden Bücher über die Lage von Unterschic­hten wie „Hillbilly Elegy“von J. D. Vance (inzwischen auch auf deutsch erschienen), „Strangers in Their Own Land. A Journey to the Heart of Our Political Divide“von Arlie Russell Hochschild oder „White Trash. The Untold History of Class in America“von Nancy Isenberg Überraschu­ngsbestsel­ler. Vielleicht versteht der eine oder andere US-Städter nach Lektüre dieser Bücher die Leute vom Land ja tatsächlic­h etwas besser. Ob das aber auch eine Haltungsän­derung bewirken wird? Als erstes müssten die Städter wohl von ihrem hohen Ross herunter. Nicht nur in den USA . . .

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VON BURKHARD BISCHOF

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