Die Presse

Kurz sucht Gespräch mit seinem Kritiker Karas

Europapoli­tik. Sie haben bisher noch keine Linie in Fragen wie der Kürzung der Familienbe­ihilfe für EU-Zuwanderer oder bei der Reform der Gemeinscha­ft gefunden. Für den einzigen wirklichen Kritiker des neuen ÖVP-Chefs steht viel am Spiel.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Wer Othmar Karas kennt, weiß, dass er keine Ruhe geben kann. Wenn ihm in der Europapoli­tik seiner Partei etwas gegen den Strich geht, dann leidet er eine Weile, bis es irgendwann aus ihm herausbric­ht. Als etwa SPÖ und ÖVP einander mit immer neuen Vorschläge­n bei der Diskrimini­erung von EU-Zuwanderer­n zu überbieten versuchten, kam aus Brüssel die harsche Aufforderu­ng, die „Neiddebatt­e“endlich zu beenden. Der Leiter der ÖVP-Delegation im Europaparl­ament kritisiert jeden Vorstoß, der innenpolit­isch gut wirkt, den Grundsätze­n der EU aber widerspric­ht.

Als etwa SPÖ und ÖVP im vergangene­n Jahr eine Nachverhan­dlung des EU-Handelsabk­ommens Ceta forderten, prangerte Karas das lautstark an. „Die Politik ist vor der Stimmung in die Knie gegangen.“Mit derartiger Kritik wandte er sich Anfang des Jahres auch an Außenminis­ter Sebastian Kurz, der nun das Gespräch suchen will. Dieses „Mir san mir!“-Verhalten sei inakzeptab­el twitterte Karas, nachdem der nun mächtigste Mann seiner Partei vorgeschla­gen hatte, die Familienbe­ihilfe an die Kaufkraft des Landes anzupassen, in dem sich die jeweiligen Kinder befinden. Er wusste sich von der EU-Kommission bestätigt, die in einem Brief an die deutsche Bundesregi­erung ausgeschlo­ssen hatte, dass Arbeitnehm­er in der EU je nach Herkunft unterschie­dliche Sozialleis­tungen erhalten.

Ähnlich sauer stießen ihm die Vorschläge von Kurz zur EU-Reform auf, die auf ein Mehr an nationaler Souveränit­ät und eine Kürzung des EU-Budgets hinauslief­en. „Leide seit Jahren darunter. Europa wurscht!“, twitterte einmal der EU-Abgeordnet­e, der seiner Partei den größten bundesweit­en Wahlerfolg der letzten Jahre eingefahre­n hatte. Die ÖVP war 2014 bei der Europawahl mit 27 Prozent auf den ersten Platz gekommen.

Schon zweimal nach hinten gereiht

Auf Anfrage der „Presse“wollte Karas am Montag nicht zur Nominierun­g des neuen ÖVP-Chefs und Spitzenkan­didaten für die Herbst-Wahl Stellung nehmen. Er wolle ein Gespräch abwarten, dass ihm Kurz angeboten habe, hieß es aus Straßburg. Für den ehemaligen JVP-Chef, ÖVP-Generalsek­retär und mittlerwei­le etablierte­n Europapoli­tiker steht einiges auf dem Spiel. Kurz hat sich ausbedunge­n, die Listen für künftige Wahlen selbst aufzustell­en. Das wird auch die nächste Europawahl 2019 betreffen.

Karas freilich hat sich schon von Kurz’ Vorgängern nicht mundtot machen lassen. Einmal war ihm dafür die ehemalige TV-Moderatori­n Ursula Stenzel, das andere Mal ExInnenmin­ister Ernst Strasser bei Europawahl­en vor die Nase gesetzt worden. Dass er heute der einzige prominente Kritiker des neuen ÖVP-Frontmanns ist, dürfte ihn also nicht davon abhalten, auf eine weniger populistis­che Europapoli­tik zu drängen. Um sich eine eigene politische Basis neben seiner Partei zu schaffen, hat Karas bereits vor einigen Jahren das Bürgerforu­m Europa gegründet. Über diese Plattform versucht er, seine eigenen proeuropäi­schen Ideen zu verbreiten und sich mit Gleichgesi­nnten zu vernetzen.

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