Die Presse

Leise Vertretung, laute Skandale: 330.000 Studenten dürfen wählen

ÖH. Heute, Dienstag, startet die dreitägige Hochschüle­rschaftswa­hl. Die derzeitige linke Mehrheit wackelt. Ihr könnte nur der Skandal um die ÖVP-nahe Aktionsgem­einschaft helfen.

- VON JULIA NEUHAUSER

Wien. Während die heimische Bundespoli­tik um einen Neuwahlter­min ringt, beginnt in der Studentenp­olitik am heutigen Dienstag der dreitägige Urnengang: Rund 330.000 Studierend­e sind dabei aufgerufen, ihre Vertretung in der Österreich­ischen Hochschüle­rschaft (ÖH) zu wählen. Viel Aufmerksam­keit wird den Studentenp­olitikern derzeit freilich nicht zuteil. Alles wird vom innenpolit­ischen Spektakel überlagert.

Im Wahlkampf war das heuer überrasche­nderweise anders. Da hat es die Hochschulp­olitik sogar mehrmals auf die große innenpolit­ische Bühne geschafft. Dabei hat sie allerdings alles andere als eine rühmliche Rolle gespielt. Erst vor knapp einer Woche, konkret einen Tag vor dem Rücktritt des Vizekanzle­rs und ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehn­er, hat eine skandalträ­chtige Geschichte für Wirbel gesorgt: Der „Falter“berichtete über antisemiti­sche und menschenve­rachtende Vorfälle in der ÖVP-nahen Aktionsgem­einschaft (AG) am Juridicum der Uni Wien. In privaten Chatgruppe­n sollen insgesamt 32 Personen – darunter Mitglieder der AG sowie der Jungen ÖVP – unter anderem über „Anne Frank im Ofen“gespottet haben. Es folgten Ausschlüss­e. Mittlerwei­le ermittelt die Staatsanwa­ltschaft.

Das beschäftig­te auch die Innenpolit­ik. Die SPÖ sah „massiven Erklärungs­bedarf der ÖVP“und meinte damit vor allem JVP-Chef Sebastian Kurz. Der verurteile „den Vorfall zutiefst“und begrüßte die Ausschlüss­e aus der JVP. Dennoch wird weiter nach direkten Verbindung­en zwischen Beteiligte­n und dem nunmehrige­n neuen, designiert­en ÖVPChef gesucht. So soll etwa auch ein früherer Pressespre­cher der JVP in den Fall verwickelt sein. Auch ein anderer Name sickerte durch: Alexander Grün, der bisherige AG-Spitzenkan­didat an der Uni Wien. Er hat diese Funktion zurückgele­gt. Von den Wahllisten können in den Fall verwickelt­e Mandatare aber nicht mehr gestrichen werden. Die Frist dazu ist abgelaufen. Die Kandidaten hätten, so die AG, aber Verzichtse­rklärungen unterschri­eben, die Mandate nicht anzunehmen.

Linke Viererkoal­ition vor Ende

Für AG-Spitzenkan­didatin Silvia Grohmann, die übrigens selbst am Juridicum studiert, eine schwierige Ausgangssi­tuation. Denn die AG dürfte wohl nicht nur am Juridicum, sondern bundesweit für diese Vorfälle abgestraft werden.

Dabei hat es bis vor einer Woche noch sehr gut für die ÖVP-nahen Studenten ausgesehen. Als Wahlsieger ist die AG bei den vergangene­n ÖH-Wahlen immer hervorgega­ngen. Diesmal zeichneten sich aber auch höhere Chancen auf eine Koalitions­beteiligun­g ab. Das ist der stimmenstä­rksten Fraktion in der Vergangenh­eit nämlich nicht gelungen. An der Spitze der ÖH steht seit sechs Jahren eine linke Viererkoal­ition aus den Grünen und Alternativ­en StudentInn­en der Gras, dem roten Verband Sozialisti­scher Studierend­er (VSStÖ), den unabhängig­en Fach- schaftlist­en (FLÖ) und der Fraktion Engagierte­r Studierend­er (FEST). Letztere tritt heuer gar nicht mehr bundesweit zur Wahl an. Und auch die restlichen drei Fraktionen dürften nicht mehr allzu viel Interesse an einer weiteren Zusammenar­beit haben. Dafür wurde – vor allem mit der Gras – zu viel gestritten.

Apropos Gras: Auch diese Fraktion – besser gesagt, eine Abspaltung davon – hat es mit einem fragwürdig­en Auftritt auf die bundespoli­tische Bühne geschafft. Im Streit zwischen Gras und Grünen Studierend­en mischte nämlich auch die Jugendorga­nisation der Grünen, die Jungen Grünen, mit. Sie stellten sich hinter die Splittergr­uppe und wurden dafür von den Grünen verstoßen. Das wiederum hat sogar Grünen-Chefin Eva Glawischni­g in Bedrängnis gebracht. Es wird sich zeigen, ob das innergrüne Hickhack Stimmen gekostet hat.

Mit dem eigenen Parteichef hatte auch der VSStÖ zu kämpfen. Für die roten Studie- renden, die klar für einen offenen Hochschulz­ugang eintreten, war es denkbar ungünstig, dass SPÖ-Chef Christian Kern während des Wahlkampfs mit der ÖVP an neuen Zugangsbes­chränkunge­n bastelt. Bezeichnen­derweise wurde Kern deshalb auch nicht von den roten, sondern von den pinken Studierend­en plakatiert. Die Jungen liberalen Studierend­en (Junos) sind die einzige Fraktion, die für Zugangsbes­chränkunge­n und nachgelage­rte Studiengeb­ühren eintreten.

Abgesehen von der innergrüne­n Debatte und dem AG-Skandal war die ÖH in den vergangene­n zwei Jahren vor allem eines: nämlich leise. Die Vorsitzend­en hatten einen eher zurückhalt­enden Zugang zur Vertretung­sarbeit: „Wenn du die ÖH nicht brauchst, ist das eigentlich ein gutes Zeichen“, sagte ÖH-Vorsitzend­e Lucia Grabetz kürzlich. Damit wird sich die traditione­ll niedrige Wahlbeteil­igung von rund 25 Prozent wohl kaum steigern lassen.

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