Warum Berlin Macron rasche Erfolge gönnt
EU-Achse. Am ersten Tag seiner Amtszeit flog Frankreichs Präsident nach Deutschland. Es war fast ein Heimspiel, allerdings mit Berliner Spielregeln.
Berlin/Wien. Emmanuel Macron kennt Berlin gut. Der neue französische Staatspräsident war allein in diesem Jahr bereits zweimal in der deutschen Hauptstadt. Einmal im Jänner, als er eine viel beachtete Rede an der Humboldt-Universität hielt, und ein zweites Mal im März, als ihn Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, zu einem Vieraugengespräch empfing. Nun, da er am ersten offiziellen Tag seiner Amtszeit erneut nach Berlin kam, war das fast schon ein Heimspiel für den 39-Jährigen. Und ihm wurde dabei ein deutlich wohlwollenderer Empfang gewährt als seinem Vorgänger, Francois¸ Hollande, als dieser vor fünf Jahren erstmals mit Merkel zusammentraf.
„Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir gut zusammenarbeiten“, kündigte Merkel bereits vor dem Treffen an. Die gesamte Regierung – SPD und CDU/CSU – zeigt Interesse daran, dass Macron seinen Wählern rasch Erfolge vorweisen kann. Die mittlerweile in außenpolitischen Fragen versierte Bundeskanzlerin weiß zudem, dass es ihren eigenen Handlungsspielraum deutlich einschränkt, wenn der wichtige französische Partner nur noch seine Wunden leckt und in seiner Heimat nicht reüssieren kann.
Merkel selbst, ihr strenger Schatzkanzler Wolfgang Schäuble und auch SPD-Außenminister Sigmar Gabriel signalisierten denn auch Bereitschaft, Macron bereits zu Beginn einen kleinen Erfolg zu gönnen. Er soll aus Berlin als Gastgeschenk ein bilaterales Investitionsprogramm mitbekommen, um die digitale Infrastruktur in beiden Partnerländern zu verbessern. Gesprächsbereitschaft zeigt die Regierung in Berlin auch bei Macrons Wünschen zur Stärkung der Eurozone. Vorsichtig in der Wortwahl, aber überraschend positiv äußerte sich Schäuble zur Schaffung eines Euro-Finanzmi- nisters und dessen eigenen Etats. Von einem milliardenschweren Eurobudget, das laut dem ehemaligen französischen Wirtschaftsminister die soziale Konvergenz in der Währungsunion verbessern soll, halten freilich Schäuble wie Merkel nach wie vor wenig.
Haushaltsregeln einhalten
Geht es nach den deutschen Vorstellungen, so soll die politische Koordinierung der Eurozone durchaus verstärkt werden. Ob der Koordinator gleich „Finanzminister“heißen soll, diesbezüglich herrscht noch Skepsis. „Forderungen wie ein Euro-Finanzminister sind eher Träume“, formulierte es der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Schäuble wiederum gab in einem „Spiegel“-Interview zu, dass er selbst einmal die Schaffung eines solchen Postens ins Spiel gebracht habe. Doch klärte er gleich danach auf, worum es ihm dabei inhaltlich geht. Ihm gehe es nicht wie Macron um einen politischen Einfluss auf die Währungspolitik, sondern darum, dass ein solcher Euro-Finanzminister dafür sorgt, „dass die Haushaltsregeln von allen eingehalten werden“.
Schon Hollande hatte versucht, Berlin ein europäisches Kreditprogramm über sogenannte Eurobonds abzutrotzen, kam damit aber in den vergangenen fünf Jahren keinen Millimeter weiter. Heute sagen Merkel und Schäuble ihrem neuen französischen Partner zu, dass über einen überschaubaren Eurohaushalt diskutiert werden könne. Allerdings, so die Bedingung, müsste Paris zuerst sein Defizit in Ordnung bringen. Die deutsche Regierung will keinen Präzedenzfall schaffen, denn schon stehen andere Euroländer – allen voran Spanien und Italien – in den Startlöchern, um die Vergemeinschaftung von Schulden voranzutreiben. Für Krisenfälle soll lediglich der Euro-Rettungsfonds
ESM in einen wirklichen Währungsfonds umgewandelt werden. Dieser soll letztlich Teil der EUVerträge werden und in das demokratische System von Checks and Balances eingebunden sein. Deshalb hat Berlin auch nichts gegen eine weitere Forderung Macrons, nämlich eine parlamentarische Kontrolle der Eurozone.
Merkel will dem neuen französischen Präsidenten nicht gleich das Tor vor der Nase zuschlagen. Ihr ist bewusst, dass das gemeinsame Europa mit Macron noch einmal davongekommen ist. Bringt die politische Dialektik zwischen dem eher wirtschaftsliberalen Berlin und dem eher sozialliberalen Paris auf EU-Ebene keine Synthese zustande, wartet die Familie Le Pen auf ihre nächste Chance. Merkel kündigte denn auch vor Parteifreunden eine sanfte Vorgehensweise mit ihrem neuen französischen Partner an. „Erst einmal Offenheit, dass wir etwas Gemeinsames hinbekommen und nicht gleich [sagen], was alles nicht geht.“
Hinter den verschlossenen Türen des deutschen Kanzleramts dürfte am Montagabend auch über außen- und sicherheitspolitische Fragen diskutiert worden sein. Merkel sieht Macron in ihrer Russland-Politik als wichtigen Partner. Im Gegensatz zu seinem glücklosen konservativen Konkurrenten Francois¸ Fillon und der Rechtspopulistin Marine Le Pen ist der neue Präsident nicht auf einen prorussischen Kurs eingeschwenkt und trägt die Sanktionen mit.
Eine gemeinsame Linie gibt es auch beim Aufbau einer europäischen Sicherheitspolitik. Hierbei sind beide Seiten noch stärker als in der Vergangenheit aufeinander angewiesen. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wird nämlich Frankreich die einzige Atommacht und das einzige UN-Sicherheitsratsmitglied in der Gemeinschaft sein.