Die Presse

Und am Ende siegt immer sie: Das Phänomen Merkel

Analyse. Nach dem NRW-Wahlsieg hat die deutsche Kanzlerin wieder Oberwasser.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Die Frau mit dem rosa Blazer auf dem Podium im KonradAden­auer-Haus ist seit 2005 Kanzlerin. Aber das hat sie noch nicht erlebt. Nach zwölf Jahren Flaute erobert ihre CDU zwei Ministerpr­äsidentenä­mter binnen acht Tagen zurück, nach Schleswig-Holstein hat die Partei der SPD am Sonntag auch in deren Herzkammer, dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland NordrheinW­estfalen, die Macht entrissen.

Aber Merkels Gesichtsau­sdruck verrät das anfangs nicht. Hat sie gewonnen oder verloren? Wäre das Mikrofon abgeschalt­et, es ließe sich nicht sagen. „Man konnte die Freude, natürlich, mmmh, allen anmerken“, sagt Merkel. Die CDU habe bei den Landtagswa­hlen ja „sehr gut abgeschnit­ten“. Eine Untertreib­ung.

Dass es nach den Urnengänge­n in Saarland, Schleswig-Holstein und NRW für ihre Partei 3:0 stehen würde, hatte niemand auf dem Zettel, weder in der CDU, noch in der SPD. Merkel verkneift sich jede Spitze gegen Martin Schulz, also jenen SPD-Chef, der ein paar Kilometer weiter im Willy-Brandt-Haus eine Niederlage erklären muss und dabei eine gewisse Routine entwickelt hat: Diesmal greift er zur Metapher des angeschlag­enen Boxers, „der einen Leberhaken bekommen hat“. Merkels Zurückhalt­ung hat einen Grund: In der Siegesseri­e lauert die Gefahr, dass die Partei bei der Bundestags­wahl im Herbst nicht für sie läuft. Weil Merkel ja ohnehin gewinnt.

Gute Werte für Merkel

„Eine Landtagswa­hl ist eine Landtagswa­hl“, predigt die Pastorento­chter daher immer. In NRW dominierte­n tatsächlic­h Landesthem­en, die schlechte Regierungs­bilanz, die Schulpolit­ik unter grüner Führung, die Staukilome­ter, die aufs Jahr gerechnet bis zum Mond reichen, wie Merkel monierte. Es ging um hohe Einbruchsz­ahlen, die Kölner Silvestern­acht. Aber einen Merkel-Effekt gab es schon. Zu acht Wahlkampft­erminen hat sich die Kanzlerin fliegen lassen. Das ist ziemlich viel. Ihre Beliebthei­tswerte in NRW überragten jene des künftigen CDU-Ministerpr­äsidenten, Armin Laschet, und ihres SPDHerausf­orderers Schulz.

59 Prozent der CDU-Wähler sagten, sie würden der Partei zuallerers­t wegen Merkel ihre Stimme geben (Infratest Dimap). Schon Tage zuvor befanden 72 Prozent der Befragten, es liege an Merkels Politik, dass es Deutsch- land wirtschaft­lich gut gehe, wobei eine Mehrheit meinte, sie habe die besten Kanzlertag­e hinter sich. Schulz hat sie in der Kanzlerfra­ge trotzdem abgehängt.

Aber die Stimmung kann sich drehen. Das hat Merkel am eigenen Leib erfahren. Herbst 2016: In ihrer Heimat, Mecklenbur­gVorpommer­n, ist die rechte AfD an der CDU vorbeigezo­gen. Ein Debakel. Schon davor wirft ihr die Schwesterp­artei CSU eine „Herrschaft des Unrechts“in der Flüchtling­skrise vor. Dann kommt noch der Schulz-Hype: Nervosität machte sich breit. Die CDU müsse auf Angriff umschalten, sagt CSU-Finanzmini­ster Markus Söder der „Presse“. Übersetzt: Die Hände gefaltet zur Merkel-Raute, ein „Ihr kennt mich“Wahlkampf wie 2013: Das reiche diesmal nicht.

Die Krisenmana­gerin

Merkel sitzt die Sache aus. Wieder einmal. Heute wird ihr das als genialer Schachzug ausgelegt. Es wird orakelt, dass sie ahnte, dass der Schulz-Effekt verpuffen würde: weil der Würseler ein Herausford­erer ohne Amt ist, während Merkel wieder die guten Bilder bekommt. Statt Schlangen von Flüchtling­en sehen die Deutschen Merkel auf Augenhöhe mit Putin in Sotschi, im Weißen Haus oder wie gestern mit Emmanuel Macron, und dann im Juli als Gastgeberi­n des G20-Gipfels. Sie kann Wahlkampf machen ohne Wahlkampf – der Kanzlerbon­us.

In NRW ist trotz aller Landespoli­tik das zweitwicht­igste Thema die „politische unsichere Lage in der Welt“(Infratest Dimap). Und da punktet Merkel, die fleischgew­ordene Beständigk­eit in Blazer und Hosenanzug, von der 70 Prozent der Befragten in NRW sagen, sie sorge dafür, dass es „uns in einer unruhigen Welt gut geht“.

Im Saarland und nun in NRW waren es auch Siege über die parteiinte­rnen Kritiker: Zuerst gewinnt die „Mini-Merkel“, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die wie die Kanzlerin als nüchtern und zurückhalt­end gilt, und dann Laschet, auch ein enger Vertrauter, der 2009 ein Buch mit dem Titel „Zuwanderun­g als Chance“geschriebe­n hat. Wobei sich auch der liberale Laschet wie die Bundes-CDU in diesen Tagen auf den Markenkern der Partei besinnt: die innere Sicherheit.

Im Bund führt das Innenresso­rt, anders als in NRW, die CDU. Und die Bilanz von Thomas de Maizi`ere ist durchwachs­en. Einen neuen Flüchtling­sansturm kann zudem niemand ausschließ­en. Aber vorerst hat Merkel wieder Oberwasser.

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