Und am Ende siegt immer sie: Das Phänomen Merkel
Analyse. Nach dem NRW-Wahlsieg hat die deutsche Kanzlerin wieder Oberwasser.
Berlin. Die Frau mit dem rosa Blazer auf dem Podium im KonradAdenauer-Haus ist seit 2005 Kanzlerin. Aber das hat sie noch nicht erlebt. Nach zwölf Jahren Flaute erobert ihre CDU zwei Ministerpräsidentenämter binnen acht Tagen zurück, nach Schleswig-Holstein hat die Partei der SPD am Sonntag auch in deren Herzkammer, dem bevölkerungsreichsten Bundesland NordrheinWestfalen, die Macht entrissen.
Aber Merkels Gesichtsausdruck verrät das anfangs nicht. Hat sie gewonnen oder verloren? Wäre das Mikrofon abgeschaltet, es ließe sich nicht sagen. „Man konnte die Freude, natürlich, mmmh, allen anmerken“, sagt Merkel. Die CDU habe bei den Landtagswahlen ja „sehr gut abgeschnitten“. Eine Untertreibung.
Dass es nach den Urnengängen in Saarland, Schleswig-Holstein und NRW für ihre Partei 3:0 stehen würde, hatte niemand auf dem Zettel, weder in der CDU, noch in der SPD. Merkel verkneift sich jede Spitze gegen Martin Schulz, also jenen SPD-Chef, der ein paar Kilometer weiter im Willy-Brandt-Haus eine Niederlage erklären muss und dabei eine gewisse Routine entwickelt hat: Diesmal greift er zur Metapher des angeschlagenen Boxers, „der einen Leberhaken bekommen hat“. Merkels Zurückhaltung hat einen Grund: In der Siegesserie lauert die Gefahr, dass die Partei bei der Bundestagswahl im Herbst nicht für sie läuft. Weil Merkel ja ohnehin gewinnt.
Gute Werte für Merkel
„Eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl“, predigt die Pastorentochter daher immer. In NRW dominierten tatsächlich Landesthemen, die schlechte Regierungsbilanz, die Schulpolitik unter grüner Führung, die Staukilometer, die aufs Jahr gerechnet bis zum Mond reichen, wie Merkel monierte. Es ging um hohe Einbruchszahlen, die Kölner Silvesternacht. Aber einen Merkel-Effekt gab es schon. Zu acht Wahlkampfterminen hat sich die Kanzlerin fliegen lassen. Das ist ziemlich viel. Ihre Beliebtheitswerte in NRW überragten jene des künftigen CDU-Ministerpräsidenten, Armin Laschet, und ihres SPDHerausforderers Schulz.
59 Prozent der CDU-Wähler sagten, sie würden der Partei zuallererst wegen Merkel ihre Stimme geben (Infratest Dimap). Schon Tage zuvor befanden 72 Prozent der Befragten, es liege an Merkels Politik, dass es Deutsch- land wirtschaftlich gut gehe, wobei eine Mehrheit meinte, sie habe die besten Kanzlertage hinter sich. Schulz hat sie in der Kanzlerfrage trotzdem abgehängt.
Aber die Stimmung kann sich drehen. Das hat Merkel am eigenen Leib erfahren. Herbst 2016: In ihrer Heimat, MecklenburgVorpommern, ist die rechte AfD an der CDU vorbeigezogen. Ein Debakel. Schon davor wirft ihr die Schwesterpartei CSU eine „Herrschaft des Unrechts“in der Flüchtlingskrise vor. Dann kommt noch der Schulz-Hype: Nervosität machte sich breit. Die CDU müsse auf Angriff umschalten, sagt CSU-Finanzminister Markus Söder der „Presse“. Übersetzt: Die Hände gefaltet zur Merkel-Raute, ein „Ihr kennt mich“Wahlkampf wie 2013: Das reiche diesmal nicht.
Die Krisenmanagerin
Merkel sitzt die Sache aus. Wieder einmal. Heute wird ihr das als genialer Schachzug ausgelegt. Es wird orakelt, dass sie ahnte, dass der Schulz-Effekt verpuffen würde: weil der Würseler ein Herausforderer ohne Amt ist, während Merkel wieder die guten Bilder bekommt. Statt Schlangen von Flüchtlingen sehen die Deutschen Merkel auf Augenhöhe mit Putin in Sotschi, im Weißen Haus oder wie gestern mit Emmanuel Macron, und dann im Juli als Gastgeberin des G20-Gipfels. Sie kann Wahlkampf machen ohne Wahlkampf – der Kanzlerbonus.
In NRW ist trotz aller Landespolitik das zweitwichtigste Thema die „politische unsichere Lage in der Welt“(Infratest Dimap). Und da punktet Merkel, die fleischgewordene Beständigkeit in Blazer und Hosenanzug, von der 70 Prozent der Befragten in NRW sagen, sie sorge dafür, dass es „uns in einer unruhigen Welt gut geht“.
Im Saarland und nun in NRW waren es auch Siege über die parteiinternen Kritiker: Zuerst gewinnt die „Mini-Merkel“, Annegret Kramp-Karrenbauer, die wie die Kanzlerin als nüchtern und zurückhaltend gilt, und dann Laschet, auch ein enger Vertrauter, der 2009 ein Buch mit dem Titel „Zuwanderung als Chance“geschrieben hat. Wobei sich auch der liberale Laschet wie die Bundes-CDU in diesen Tagen auf den Markenkern der Partei besinnt: die innere Sicherheit.
Im Bund führt das Innenressort, anders als in NRW, die CDU. Und die Bilanz von Thomas de Maizi`ere ist durchwachsen. Einen neuen Flüchtlingsansturm kann zudem niemand ausschließen. Aber vorerst hat Merkel wieder Oberwasser.