Die Presse

Erbschafts­ansprüche eines Arbeiters

Tennis. Dominic Thiem, 23, gilt nach den bisher gezeigten Leistungen als erster Herausford­erer von Rafael Nadal bei den French Open in Paris. Über den Verlauf einer konstanten Karriere.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Madrid/Rom. Mit seiner ersten Finalteiln­ahme bei einem Turnier der ATP-1000-Serie in Madrid und der imposanten Vorstellun­g bei der knappen Niederlage gegen Routinier Rafael Nadal (6:7, 4:6) hat Dominic Thiem in der vergangene­n Woche abermals sein enormes Potenzial unter Beweis gestellt. Die am Montag erschienen­e Weltrangli­ste wies den Niederöste­rreicher auf Rang sieben aus, damit hat der Schützling von Günter Bresnik seine bis dato beste Platzierun­g egalisiert. Bereits im Juni 2016, nach dem Halbfinale­inzug bei den French Open in Paris, war Thiem bis auf den siebenten Platz vorgestoße­n.

Allerdings, der Rückstand auf die vor ihm liegende Konkurrenz ist elf Monate später kleiner geworden. Der sechstplat­zierte Kanadier Milos Raonic zählt nur 145 Punkte mehr, ein weiterer Aufstieg Thiems in der Rangliste gilt also als durchaus realistisc­hes Szenario, wenngleich der Rechtshänd­er in den kommenden Wochen eine Vielzahl an Punkten (Rom-Viertelfin­ale, Nizza-Turniersie­g, Paris-Halbfinale) zu verteidige­n hat.

In der momentanen Verfassung scheint allerdings nur Rafael Nadal über Thiem zu stehen, das Madrid-Finale war zugleich das Kräftemess­en der gegenwärti­g besten Sandplatzs­pieler der Welt. Der Spanier ist in dieser Saison auf der von ihm so geliebten roten Asche noch ungeschlag­en (15:0 Siege), Thiem kann auf eine beeindruck­ende 14:3-Bilanz verweisen. Bei entspreche­nder Auslosung käme also auch ein Aufeinande­rtreffen der beiden im Endspiel der French Open in Paris am 11. Juni nicht überrasche­nd.

Der Vergleich mit den Besten

Die Entwicklun­g des Dominic Thiem war zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere eine rasante, sie war vielmehr ein stetiger, konstanter Reifeproze­ss. Der 23-Jährige gewann als Teenager weder Turniere, noch verblüffte er die Fachwelt mit überrasche­nden Siegen über Superstars. „Ich war nie ein Kyrgios (Nick, Anm.), der mit 19 Jahren Nadal in Wimbledon rauswirft“, sagt Thiem und be- merkt zugleich: „Vielleicht war das auch ganz gut so.“

Vergleicht man Thiems Entwicklun­g mit jener von Nadal, Novak Djokovic,´ Andy Murray oder Roger Federer, dann offenbaren sich gewaltige Unterschie­de. Dieses Quartett, das zu den Allzeitgrö­ßten des Sports zählt, dominiert seit nunmehr rund 13 Jahren die Szene, hat sich die wichtigste­n Trophäen seitdem praktisch fast ausnahmslo­s untereinan­der ausgespiel­t. Nadal gewann 2005, nur zwei Tage nach seinem 19. Geburststa­g, bei seinem ersten Antreten die French Open und katapultie­rte sich im gleichen Jahr von

erreichte erstmals im Juni des Vorjahres 22-jährig die Top Ten der Weltrangli­ste, zu denen er seitdem ununterbro­chen gehört. Seit Montag wird er an Position sieben geführt, womit er sein Karriereho­ch eingestell­t hat. Thiem hat bislang acht ATP-Turniere gewonnen, das bis dato letzte vor knapp zweieinhal­b Monaten in Rio de Janeiro. Diese Woche schlägt der Rechtshänd­er beim ATP-1000-Event in Rom auf. Rang 51 auf Platz zwei. Djokovic´ und Murray erreichten noch als Teenager erstmals die Top Ten, Federer stürmte 22-jährig den Weltrangli­stenthron und hält heute bei 18 Major-Triumphen. Vergleiche mit diesen Granden hinken also. Thiem ist demnach kein Wunderkind, vielmehr ein Arbeiter, dessen größter Traum der Gewinn eines Grand-Slam-Turniers ist. Ein realistisc­hes Vorhaben.

Das Team Thiem bewegt sich, seinen Karrierepl­an verfolgend, absolut im Plansoll. Kein Spieler in den aktuellen Top Ten ist jünger, die Top fünf sind allesamt gar sechs oder mehr Jahre älter. Dieser Umstand soll allerdings keineswegs entspannen­d wirken. Thiem hält fest: „Ich bin keine einzige Woche beruhigt, weil ich permanent Leistung bringen muss. Es kommen einige nach, die noch jünger sind als ich.“Der Deutsche Alexander Zverev (20) und der Australier Kyrgios (22) sind zweifelsfr­ei künftige Konkurrent­en um große Titel, auch David Goffin (26), Grigor Dimitrov (25), Jack Sock (24) und Lucas Pouille (23) genießen ein hohes Ansehen.

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