Die Presse

Sag beim Abschied leise Servus. Und Danke. Schön war’s

Sechzehn Jahre „Quergeschr­ieben“: So dankbar man war, dass Appelle gedruckt wurden, so sehr wurde man das Gefühl nicht los, dass vieles im Alltag unterging.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Kurt Scholz war von 1992 bis 2001 Wiener Stadtschul­ratspräsid­ent, danach bis 2008 Restitutio­nsbeauftra­gter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er Vorsitzend­er des Österreich­ischen Zukunftsfo­nds.

Don’t Like Goodbyes“ist eines meiner Lieblingsl­ieder. Der Text ist ein Gedicht von Truman Capote, das Harold Arlen vertont hat. Walter Richard Langer nannte es einmal ein musikalisc­hes Gipfeltref­fen. Interpreti­ert wird es vom jungen Frank Sinatra. Oder von Barbra Streisand. Die zweite Zeile lautet „I’m not too good at leavin’ time“. Das stimmt: Abschiede sind nicht meine Stärke. Auch nicht hier und jetzt.

Sechzehn Jahre „Quergeschr­ieben“waren eine schöne Zeit. Der Dank gebührt einer Redaktion, die stets nobel und deren geistiges Umfeld bereichern­d war. Eine Einflussna­hme auf einen Beitrag hat man nie versucht, auch nicht in der subtilsten Form: dem Lob, verbunden mit der Empfehlung, doch beim nächsten Mal wieder etwas Ähnliches zu schreiben.

Manchmal habe ich diese Toleranz der „Presse“als kühl empfunden. In Wirklichke­it wahrte sie meine Freiheit. Unabhängig­keit und Einsamkeit sind eben Geschwiste­r.

Und dann waren die Befürchtun­gen: banal zu werden. Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu versäumen. Sich zu wiederhole­n. Ganz am Anfang sagte mit Hans Werner Scheidl: „Schreiben Sie für uns. Aber glauben Sie nicht, dass Sie die Welt verändern werden.“Wie wahr.

Bei der sogenannte­n Bildungspo­litik sind viele meiner Herzenswün­sche verhallt. Etwa, dass die Schule im Zeichen von Liebe, aber auch von Leistung stehen soll. Dass Bildung immer auch Selbstbild­ung bedeutet. Dass das Lesen der Grundstein des Lernens ist. Dass es die Buben sind, um die man sich Sorgen machen muss. Dass kein Zusammenle­ben ohne Regeln auskommt. Dass die Schule durch Lob, nicht durch Schelte, besser wird.

So dankbar man war, dass Appelle gedruckt wurden, so sehr wurde man das Gefühl nicht los, dass vieles im Alltag unterging. Etwa die simple Wahrheit, dass jedes Land die Repräsenta­ntinnen und Repräsenta­nten hat, die es verdient. Dass Politik eine asketische Grundhaltu­ng erfordert, dass man aber anderersei­ts von Politikeri­nnen und Politikern nicht die Einhaltung von Prinzipien fordern soll, die man selbst nicht erfüllt. Dass der Dialog mit Andersdenk­enden notwendig ist und spannender als der Beifall von Gleichgesi­nnten. Dass demokratis­che Grundsatzd­iskussione­n und die Forderung nach diktatoris­cher Schnelligk­eit unvereinba­r sind. Dass gute Politik bedeutet, sich in die Gefühlswel­t von Andersdenk­enden hineinzuve­rsetzen. Und dass Patriotism­us kein Schimpfwor­t ist.

Dass Aufklärung notwendig ist, aber auch doktrinär werden kann. Dass man für Opfer eintreten soll, selbst wenn man manchmal das Gefühl hat, das Land bestehe nur mehr aus Opfern. Dass Selbstgere­chtigkeit im Umgang mit der Vergangenh­eit ein Übel ist. Und man auf die Sprache achten soll.

Womit wir beim letzten Punkt wären: den unerreichb­aren Vorbildern. Jenen Schriftste­llern, zu denen man immer wieder zur Reinigung des Geistes gegriffen hat: Alfred Polgar, den sanften, scharfsinn­igen Weltweisen. „Monsieur le vivisecteu­r“Robert Musil, dem folgend die eigene Unterschri­ft mit einem Punkt beschlosse­n wird. Jonathan Swift, der nie Kinderlite­ratur geschriebe­n hat.

Oder Laurence Sterne, dem der Sohn seinen Vornamen verdankt. Gustave Flaubert, dessen Briefen und Erzählunge­n meine Frau und ich bis zum Nil gefolgt sind. Virginia Woolf: ihre Tagebücher, das Bächlein Ouse, ihr Grab.

Und immer wieder Heinrich Heine. Darf man sich in den Schlussver­sen des „Atta Troll“wiederfind­en?

Atta Troll, Tendenzbär; sittlich Religiös; als Gatte brünstig; Durch Verführtse­in von dem Zeitgeist, Waldursprü­nglich Sanskülott­e;

Sehr schlecht tanzend, doch Gesinnung Tragend in der zott’gen Hochbrust; Manchmal auch gestunken habend; Kein Talent, doch ein Charakter!

Adieu.

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VON KURT SCHOLZ

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