Nachspielzeit für Koalition läuft
Regierungskrise. Am 15. Oktober wird gewählt. Bis dahin wollen Christian Kern und Sebastian Kurz jeweils für sich mit möglichst vielen erledigten Vorhaben punkten.
Wien. Kein Tag vergeht mehr ohne offene Kraftprobe zwischen den beiden bisherigen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP und ihren Chefs, Bundeskanzler Christian Kern und Neo-ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. Am Dienstag zog der rote Regierungschef den Kürzeren, weil die SPÖ dem ÖVP-Chef das Vizekanzleramt aufzwingen wollte. Dann musste Kern aber notgedrungen Justizminister Wolfgang Brandstetter, wie von Kurz vorgeschlagen, akzeptieren. Ausnahmsweise alle Parlamentsparteien waren sich dann am Nachmittag bei der Festlegung des Wahltermins auf 15. Oktober einig.
1 Warum ist die Entscheidung, wer bis zur Neuwahl Vizekanzler ist, wichtig?
Der Wettstreit von Kanzler Kern und ÖVPHerausforderer Kurz um die günstigste Startposition für den Wahlkampf ist längst in vollem Gang. Kerns SPÖ wollte den von seiner Partei mit allen Vollmachten ausgestatteten neuen ÖVP-Chef Kurz in der Rolle als Juniorpartner und Vizekanzler in der auslaufenden Regierung sehen. Der SPÖ-Chef versuchte, dem ÖVP-Gegner diese Funktion als Bedingung aufzuzwingen, musste aber klein beigeben und akzeptiert nun Brandstetter als Ersatz. Hinter den Kulissen hat dem Vernehmen nach auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine maßgebliche Rolle gespielt, weil er etwaige Pläne Kerns, notfalls ohne ÖVP-Regierungsmitglieder bis zur Wahl am 15. Oktober zu regieren, nicht goutiert haben soll. Das Staatsoberhaupt, dessen erste größere Regierungsumbildung dies nach seiner Kür im heurigen Jänner ist, habe, wie zu hören war, Bauchweh gehabt, ausgerechnet dem auch von der SPÖ geschätzten Justizminister den Vizekanzlerposten zu verweigern. Van der Bellen ging es um eine rasche Bereinigung der Regierungskrise, weil er sonst Chaos befürchtete. Offizielle Bestätigung gab es für diese Version, wonach ausgerechnet der frühere langjährige Grünen-Chef als Bundespräsident einem Wunsch des SPÖ-Regierungschefs nicht nachgekommen war, allerdings nicht.
2 Wann finden in Österreich die vorgezogenen Nationalratswahlen statt?
Das steht seit Dienstagnachmittag fest. Gewählt wird am 15. Oktober 2017. Die beiden Noch-Regierungspartner SPÖ und ÖVP brauchten aber selbst für diese letztlich einstimmige Entscheidung zur vorzeitigen Auflösung der jetzigen Koalition eine Initiative der vier Oppositionsparteien.
3 Wie geht es im Parlament mit dem „freien Spiel der Kräfte“weiter?
ÖVP-Obmann Kurz will einige abgestimmte Projekte noch mit dem Koalitionspartner beschließen, die SPÖ will hingegen auch mit sämtlichen Oppositionsparteien arbeiten, um ihre Forderungen umzusetzen. Das Bundeskanzleramt hat dafür schon ein Zehn-PunkteProgramm vorgelegt (siehe Seite 3). Die ÖVP hat sieben Vorhaben im Auge. Allerdings ist dieses „freie Spiel der Kräfte“nicht so einfach, wie es klingt. Denn einerseits werden die Parlamentsklubs selbst für ihre Zusage Bedin- gungen stellen. Andererseits reichen für einige Beschlüsse schlicht die Stimmen nicht.
Auf den Passus im Regierungsübereinkommen, sich nicht gegenseitig zu überstimmen, verzichtet die Koalition nun übrigens. Einzige Ausnahme: Misstrauensanträge an Minister vonseiten der Opposition werden grundsätzlich abgelehnt, heißt es aus der SPÖ. Die Grünen brachten als Test schon am Dienstag einen Misstrauensantrag gegen den bei der SPÖ besonders unbeliebten Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) ein, der als eigentlicher „Sprengmeister“der Bundesregierung angesehen wird.
4 Wie wird die Bundesregierung nun weiterarbeiten?
Zwei Dinge sind fix: Kurz bleibt Außenminister. Reinhold Mitterlehner kann trotzdem seine Ämter zurücklegen. Denn heute, Mittwoch, werden seine Nachfolger angelobt. Staatssekretär Harald Mahrer übernimmt das Wirtschafts- und Wissenschaftsressort, Justizminister Brandstetter wird zum Vizekanzler ernannt. Kern schluckte letztlich diesen Personalvorschlag von Kurz. Wenn es nach der SPÖ geht, war es das nun aber mit der Zu- sammenarbeit zwischen Rot und Schwarz: Wenn Kurz nicht die volle Verantwortung übernehmen wolle, habe eine Kooperation keinen Sinn. Die Regierung wird daher nur noch Formalsachen abnicken. Der „Entscheidungsfindungsprozess“, wie es der Kanzler nennt, wird ins Parlament verlagert.