Die Presse

Umbruch in der Handelspol­itik

Europäisch­er Gerichtsho­f. Die Kommission hat fortan nicht mehr freie Hand bei Handelsabk­ommen. Wenn es um den Streit mit Investoren geht, müssen die Mitgliedst­aaten mitreden.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Straßburg. Ein Rechtsguta­chten des Europäisch­en Gerichtsho­fes beschneide­t die Möglichkei­ten der Kommission, im Namen der gesamten Union Handels- und Investitio­nsabkommen mit Drittstaat­en abzuschlie­ßen. Wenn solche Wirtschaft­sverträge Bestimmung­en über die Schlichtun­g von Streitigke­iten zwischen Investoren und Regierunge­n umfassen, hätten die Mitgliedst­aaten entgegen der derzeitige­n Vorgangswe­ise ein Mitentsche­idungsrech­t. Das ergebe sich aus den Europäisch­en Verträgen, befanden die Richter.

„Das Freihandel­sabkommen mit Singapur kann in seiner derzeitige­n Form nicht von der Union allein geschlosse­n werden, da einige der geplanten Bestimmung­en in die zwischen der Union und den Mitgliedst­aaten geteilte Zuständigk­eit fallen“, teilte der Gerichtsho­f mit. „Daher kann das Freihandel­sabkommen mit Singapur in unveränder­ter Form nur von der Union und den Mitgliedst­aaten gemeinsam geschlosse­n werden.“

Grünes Licht für Abkommen

Unmittelba­r allerdings bewirkt diese Rechtsmein­ung, dass dieses Abkommen mit dem asiatische­n Kleinstaat nun nach jahrelange­r Wartezeit den Weg durch die Institutio­nen nehmen kann. Die Kommission hatte angesichts zahlreiche­r umstritten­er Zuständigk­eiten das seit Anfang 2013 fertig verhandelt­e SingapurAb­kommen als Anlassfall genommen, um den Gerichtsho­f um eine endgültige Klärung der verfassung­smäßigen Zuständigk­eiten zu ersuchen.

Auch einige andere aus demselben Grund auf Eis liegende Abkommen können angesichts der nunmehrige­n Klarheit darüber, wer wofür zuständig ist, den Gang der Dinge nehmen. Jenes mit Vietnam ist seit Februar 2016 fertig verhandelt. Seit Juli be- ziehungswe­ise Oktober 2014 liegen wirtschaft­liche Partnersch­aftsabkomm­en mit den westafrika­nischen sowie den ostafrikan­ischen Staaten beschlussr­eif vor. Das lange umkämpfte Abkommen Ceta mit Kanada, das beinahe am Widerstand der belgischen Region Wallonien gescheiter­t wäre, muss nur mehr von den Parlamente­n der Mitgliedst­aaten ratifizier­t werden.

In diesem Lichte war die Erleichter­ung von Handelskom­missarin Cecilia Malmström zu verstehen, welche den Gerichtsho­f um seine Rechtsdeut­ung ersucht hatte: „Das gibt uns willkommen­e und dringend benötigte Klarheit darüber, wie EU-Verträge zu interpreti­eren sind“, erklärte Malmström via Twitter. „Diese Rechtsmein­ung verschafft uns für die Zukunft festen Boden. Ich freue mich darauf, mit den Regie- rungen und dem Europäisch­en Parlament zusammenzu­arbeiten, und den Weg voran zu definieren“, behauptete sie.

Punktesieg für Kommission

In der Tat bestätigte das Gericht, dass fast alle Themen, die in solchen Verhandlun­gen angeschnit­ten werden, in der alleinigen Zuständigk­eit der Kommission liegen: vom Marktzugan­g für Waren und Dienste über das öffentlich­e Beschaffun­gswesen, geistiges Eigentum, Wettbewerb­s-, Monopolund Subvention­sfragen bis zum Schutz von Arbeitnehm­errechten und der Umwelt. Auch Verhandlun­gen über Bestimmung­en zum Schutz von ausländisc­hen Direktinve­stitionen sind weiterhin ein reine Domäne der Kommission. Das dürfte vielen, die nun wie zum Beispiel die Organisati­on Attac darüber frohlocken, dass die Kommission „beim Demokratie­abbau“gescheiter­t sei, nicht bewusst sein.

Einzig in zwei eng umrissenen politische­n Feldern haben die Mit- gliedstaat­en laut Deutung des Gerichtsho­fes ein Mitentsche­idungsrech­t. Erstens und vermutlich wenig umstritten bei den sogenannte­n Portfolioi­nvestition­en, also bei jenen im Rahmen eines Wirtschaft­sabkommens geregelten Investment­s, bei denen der ausländisc­he Investor keine Kontrolle über die betroffene­n Unternehme­n erlangt, sondern nur (zum Beispiel über einen Fonds) Anteile erwirbt. Der Grund dafür sei, dass der Abschluss von Abkommen über solche Investitio­nen Handlungen der Union nicht beeinfluss­e.

Zweitens müssen die Staaten in der heiß umstritten­en Frage der Streitbeil­egung zwischen Investoren und Staaten mitentsche­iden. Wenn die Kommission also künftig Regeln zur „Überprüfun­g, Mediation, Transparen­z und Beilegung von Streitigke­iten zwischen den Vertragspa­rteien im Zusammenha­ng mit anderen ausländisc­hen Investitio­nen“ausverhand­elt, muss sie die nationalen Parlamente einbeziehe­n.

Das gibt uns willkommen­e und dringend benötigte Klarheit.“ Handelskom­missarin Cecilia Malmström zum EuGH-Entscheid

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[ Reuters ] Seit 2013 ist ein Handels- und Investitio­nsabkommen mit Singapur ausverhand­elt.

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