Kurdenmiliz spaltet Türkei und USA
Analyse. In Washington wollte der türkische Präsident Erdo˘gan seinen Gastgeber davon abbringen, kurdische Kämpfer in Syrien zu bewaffnen. Doch Trump braucht sie für den Kampf gegen den IS.
Krisenmanagement im Weißen Haus: Beim ersten Treffen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan˘ mit Donald Trump am Dienstag in Washington zeichnete sich keine Lösung in den tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Partnern mit Blick auf den Syrien-Konflikt ab. Erdogans˘ Plan, den US-Präsidenten von dem Vorhaben der Bewaffnung einer syrischen Kurdenmiliz abzubringen, galt als aussichtslos.
Für das Gespräch der beiden Präsidenten räumte das Weiße Haus eine halbe Stunde ein – keine Zeitspanne, in der die prinzipiellen Differenzen von USA und Türkei ausgeräumt werden könnten. Nach einem Auftritt vor Medien wollten sich die beiden Staatsmänner noch zu einem gemeinsamen Essen zusammensetzen.
Trump hat in Syrien Barack Obamas Politik der Zusammenar- beit mit den Kurden nicht beendet, sondern zum Entsetzen Ankaras noch weiter verstärkt. Offenbar stehe der US-Präsident unter dem Einfluss von Beratern seines Vorgängers, erklärte Erdogan˘ spitz. Vergangene Woche ordnete Trump die Lieferung schwerer Waffen an die syrische Kurdenmiliz YPG an, die syrische Vertreterin der kurdischen Terrororganisation PKK.
Mit Hilfe der Kurden will Trump sein großes Ziel in Syrien verwirklichen und dem Islamischen Staat (IS) eine vernichtende militärische Niederlage beibringen. Da die Amerikaner keine eigenen Bodentruppen entsenden wollen, verlassen sie sich auf die lokale Hilfstruppe der Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), bei denen die Kurden den Ton angeben. Mit amerikanischen Panzerfäusten und Granatwerfern soll die SDF den IS in Raqqa angreifen, der Hauptstadt des „Kalifats“der Dschihadisten.
Erdogan˘ befürchtet, dass die Kurden die amerikanischen Waffen anschließend gegen die Türkei richten und ihren Einflussbereich im Norden Syriens ausbauen werden; Ankara sorgt sich, dass dort ein eigener Kurdenstaat entstehen könnte. Der türkische Präsident hatte in der Vergangenheit die USA in deutlichen Worten aufgefordert, sie müssten sich zwischen dem Nato-Partner Türkei und den syrischen Kurden entscheiden. Trump setzt dennoch auf die Bewaffnung der SDF.
Kein Plan B für Raqqa-Angriff
Der Nahost-Experte Aaron Stein von der Denkfabrik „Atlantic Council“in Washington sagte in einem Beitrag für die Internetseite „War On The Rocks“voraus, dass Erdogan˘ beim Thema Kurden wohl mit leeren Händen aus der USHauptstadt nach Hause reisen werde. Der türkische Präsident könne Trump keine glaubwürdige Alternative für den Einsatz der Kurden beim Sturm auf Raqqa anbieten.
Die Türkei wirbt zwar für den Gedanken, den Angriff auf die IS- Hochburg von Milizionären der Freien Syrien Armee (FSA) ausführen zu lassen, doch bezweifelt die US-Regierung, dass die FSA für die Aufgabe stark genug ist.
Beobachter spekulierten deshalb über mögliche Zugeständnisse Trumps an den türkischen Präsidenten in anderen Bereichen des Syrien-Konfliktes. So galt es als möglich, dass die USA der Türkei nach einer Vertreibung des IS aus Raqqa eine größere Rolle im Norden Syriens zugestehen.
Ein solches Angebot wäre nicht ganz uneigennützig. Westliche Experten weisen schon jetzt auf die Gefahr hin, dass ausländische ISKämpfer nach der Schlacht um Raqqa versuchen könnten, aus Syrien herauszukommen und sich nach Libyen, Afghanistan oder Europa abzusetzen. Bei der Verhinderung einer solchen Atomisierung des IS würde die Türkei als direkter Nachbar Syriens mit einer 900 Kilometer langen Landgrenze eine wichtige Rolle spielen.
Gastkommentar von Gülen
Unklarheit herrschte am Dienstag auch hinsichtlich des türkischen Wunsches nach Auslieferung des islamischen Predigers und Erdogan-˘Gegners Fethullah Gülen aus den USA. Bisher hat Trumps Regierung nichts unternommen, um die Abschiebung des in Pennsylvania lebenden Gülen an Ankara voranzutreiben.
Die türkische Führung zeigte sich in den vergangenen Tagen sehr enttäuscht darüber. Gülen selbst warf Erdogan˘ am Dienstag in der „Washington Post“vor, unschuldige Menschen verfolgen, foltern und töten zu lassen.