Ja, Demokratie ist mühsam. Sie aufzugeben fühlt sich erlösend an
Selbstverständlich ist es immer leichter, einem starken Mann alle Verantwortung zu übertragen. Aber schade, dass uns heute noch immer nichts Besseres einfällt.
Niemand hat je behauptet, Demokratie sei einfach. Dabei haben wir ja schon einige Varianten davon im Lauf der Geschichte durchprobiert. Die Griechen haben in der antiken Polis damit begonnen: Die Bürger wählten Repräsentanten aus, die bei wichtigen Entscheidungen mitreden sollten. Diese wurden anfangs per Los bestimmt.
Das hatte mehrere Vorteile: Man brauchte weder Parteien noch Wahlkämpfe, Korruption konnte ausgeschlossen werden – und alle Bevölkerungsschichten hatten die gleichen Chancen, ausgewählt zu werden (sofern sie keine Frauen, Sklaven oder Ausländer waren).
Elemente davon haben sich bis heute gehalten, etwa in der Schöffengerichtsbarkeit oder bei modernen Bürgerbeteiligungsverfahren. Als Island sich nach der verheerenden Wirtschaftskrise eine neue Verfassung gab, wurden ebenfalls 1000 Bürger per Los in den Verfassungskonvent geholt.
Nachdem das finstere Mittelalter zu Ende gegangen war – und mit ihm die absolute Macht der Fürsten –, setzte man eher auf ständische Formen der Mitbestimmung: Kirche, Adel, wohlhabende Kaufleute, Handwerker, Bauern wählten Vertreter aus, die die Interessen der jeweiligen Gruppen gegenüber dem Monarchen wahren sollten. Auch die Regionen entsandten ihre Lobbyisten an den Hof – auf dass man sie in der fernen Hauptstadt nicht vergesse.
Bis vorgestern hielten sich diese ständischen Demokratieelemente in der ÖVP. War natürlich auch nicht ideal.
Im präkolonialen Afrika versuchte man es mit der sogenannten Palaverdemokratie: Wenn etwas zu entscheiden war, trafen sich alle unter einem Baum, und redeten so lange, bis alle einer Meinung waren („Fokonolona“hieß das etwa in Madagaskar). Das hatte Vorteile – dass keine Minderheit einfach niedergestimmt werden konnte. Aber auch Nachteile – denn am Ende siegt bei diesem Procedere natürlich nicht das beste Argument, sondern die größte Autorität und das dickste Sitzfleisch, und es bleibt viel Raum für soziale Kontrolle und Ein- schüchterung. Im Prinzip ist es dasselbe, was die Grünen in ihrer Anfangszeit unter „Basisdemokratie“verstanden – und die sind, wohl aus ähnlichen Gründen, nicht mehr sehr davon begeistert.
Die Sozialisten hingegen setzten immer gern auf Mehrheitsentscheidungen – da sie ja darauf zählen konnten, dass die arbeitende Klasse stets größer sein würde als alle anderen. Das inhaltliche Ziel kannte man schon, das Programm ebenso, und Demokratie diente vor allem dazu, die Mehrheit zu kriegen, damit das Ziel verwirklicht werden konnte.
Innerhalb der Partei ging es daher vorrangig um Geschlossenheit, jeder bekam seine Aufgabe zugeteilt. Das war insofern richtig gedacht, als es auch die Interessen jener Menschen einschloss, die sich in anderen Spielarten der Demokratie nicht artikulieren können. Aber dieses Modell hat die Tendenz zum hermetisch geschlossenen System, das gern auch ins Totalitäre kippt. Und dann kam mit den neuen Kommunikationstechnologien „Liquid Democracy“.
Der Schwarm der Masse ist stets intelligenter als der Einzelne, lautete der Leitgedanke. Man brauche bloß die richtigen Algorithmen, um das, was die Masse will, zu filtern, kumulieren und mit stets neuem Input zu veredeln, bis am Ende die beste Lösung für alle herauskommt. Das lief in der Praxis bisher ebenfalls nicht ideal. Weil, wie sich gezeigt hat, ein Schwarm halt eher schreckhaft ist, und stark dazu tendiert, aus falschen Gründen abrupt die Richtung zu wechseln. Und weil das permanente Heischen nach Zustimmung meistens nicht die besten Ideen hervorbringt.
Nein, es ist nicht einfach mit der Demokratie. Seit Jahrhunderten hadern wir mit ihren Problemzonen. Das ist anstrengend, es macht Mühe, ist bisweilen frustrierend und nervt. Aber dass uns als einziger Ausweg immer nur einfällt, alle Entscheidungen in die Hände eines starken Mannes zu legen – echt jetzt? Dafür üben wir schon so lang?