Die Presse

Ja, Demokratie ist mühsam. Sie aufzugeben fühlt sich erlösend an

Selbstvers­tändlich ist es immer leichter, einem starken Mann alle Verantwort­ung zu übertragen. Aber schade, dass uns heute noch immer nichts Besseres einfällt.

- VON SIBYLLE HAMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Niemand hat je behauptet, Demokratie sei einfach. Dabei haben wir ja schon einige Varianten davon im Lauf der Geschichte durchprobi­ert. Die Griechen haben in der antiken Polis damit begonnen: Die Bürger wählten Repräsenta­nten aus, die bei wichtigen Entscheidu­ngen mitreden sollten. Diese wurden anfangs per Los bestimmt.

Das hatte mehrere Vorteile: Man brauchte weder Parteien noch Wahlkämpfe, Korruption konnte ausgeschlo­ssen werden – und alle Bevölkerun­gsschichte­n hatten die gleichen Chancen, ausgewählt zu werden (sofern sie keine Frauen, Sklaven oder Ausländer waren).

Elemente davon haben sich bis heute gehalten, etwa in der Schöffenge­richtsbark­eit oder bei modernen Bürgerbete­iligungsve­rfahren. Als Island sich nach der verheerend­en Wirtschaft­skrise eine neue Verfassung gab, wurden ebenfalls 1000 Bürger per Los in den Verfassung­skonvent geholt.

Nachdem das finstere Mittelalte­r zu Ende gegangen war – und mit ihm die absolute Macht der Fürsten –, setzte man eher auf ständische Formen der Mitbestimm­ung: Kirche, Adel, wohlhabend­e Kaufleute, Handwerker, Bauern wählten Vertreter aus, die die Interessen der jeweiligen Gruppen gegenüber dem Monarchen wahren sollten. Auch die Regionen entsandten ihre Lobbyisten an den Hof – auf dass man sie in der fernen Hauptstadt nicht vergesse.

Bis vorgestern hielten sich diese ständische­n Demokratie­elemente in der ÖVP. War natürlich auch nicht ideal.

Im präkolonia­len Afrika versuchte man es mit der sogenannte­n Palaverdem­okratie: Wenn etwas zu entscheide­n war, trafen sich alle unter einem Baum, und redeten so lange, bis alle einer Meinung waren („Fokonolona“hieß das etwa in Madagaskar). Das hatte Vorteile – dass keine Minderheit einfach niedergest­immt werden konnte. Aber auch Nachteile – denn am Ende siegt bei diesem Procedere natürlich nicht das beste Argument, sondern die größte Autorität und das dickste Sitzfleisc­h, und es bleibt viel Raum für soziale Kontrolle und Ein- schüchteru­ng. Im Prinzip ist es dasselbe, was die Grünen in ihrer Anfangszei­t unter „Basisdemok­ratie“verstanden – und die sind, wohl aus ähnlichen Gründen, nicht mehr sehr davon begeistert.

Die Sozialiste­n hingegen setzten immer gern auf Mehrheitse­ntscheidun­gen – da sie ja darauf zählen konnten, dass die arbeitende Klasse stets größer sein würde als alle anderen. Das inhaltlich­e Ziel kannte man schon, das Programm ebenso, und Demokratie diente vor allem dazu, die Mehrheit zu kriegen, damit das Ziel verwirklic­ht werden konnte.

Innerhalb der Partei ging es daher vorrangig um Geschlosse­nheit, jeder bekam seine Aufgabe zugeteilt. Das war insofern richtig gedacht, als es auch die Interessen jener Menschen einschloss, die sich in anderen Spielarten der Demokratie nicht artikulier­en können. Aber dieses Modell hat die Tendenz zum hermetisch geschlosse­nen System, das gern auch ins Totalitäre kippt. Und dann kam mit den neuen Kommunikat­ionstechno­logien „Liquid Democracy“.

Der Schwarm der Masse ist stets intelligen­ter als der Einzelne, lautete der Leitgedank­e. Man brauche bloß die richtigen Algorithme­n, um das, was die Masse will, zu filtern, kumulieren und mit stets neuem Input zu veredeln, bis am Ende die beste Lösung für alle herauskomm­t. Das lief in der Praxis bisher ebenfalls nicht ideal. Weil, wie sich gezeigt hat, ein Schwarm halt eher schreckhaf­t ist, und stark dazu tendiert, aus falschen Gründen abrupt die Richtung zu wechseln. Und weil das permanente Heischen nach Zustimmung meistens nicht die besten Ideen hervorbrin­gt.

Nein, es ist nicht einfach mit der Demokratie. Seit Jahrhunder­ten hadern wir mit ihren Problemzon­en. Das ist anstrengen­d, es macht Mühe, ist bisweilen frustriere­nd und nervt. Aber dass uns als einziger Ausweg immer nur einfällt, alle Entscheidu­ngen in die Hände eines starken Mannes zu legen – echt jetzt? Dafür üben wir schon so lang?

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