Der väterliche Freund als Vizekanzler
Porträt I. Justizminister Wolfgang Brandstetter steht vor einem weiteren Karrieresprung. ÖVP-Chef Sebastian Kurz vertraut dem Niederösterreicher, zu dem er ein enges persönliches Verhältnis hat.
Wien. „Sag Sebastian, kannst du mir nicht die Hälfte deiner Haare geben?“, fragt der professorale Justizminister. „Gern, wenn du mir dafür einen deiner Titel gibst“, antwortet der Außenminister und Jusstudent. Der Dialog, er fand am Schminktisch zur Vorbereitung auf eine TVSendung statt, zeigt das gute Verhältnis von Sebastian Kurz zu Wolfgang Brandstetter. Die beiden sind seit vielen Jahren freundschaftlich eng verbunden.
So gesehen ist es gar keine Überraschung, dass der neue ÖVPChef Kurz nun seinen väterlichen Freund bittet, das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen. Kennengelernt haben sie sich vor fast einem Jahrzehnt im niederösterreichischen Eggenburg. Brandstetter lebt dort seit seiner Volksschulzeit, auch Kurz ist hier öfter, stammt doch seine Mutter aus der Gegend. Als sich die beiden heutigen Minister erstmals über den Weg laufen, ist Kurz außerhalb der Jungen ÖVP noch ebenso wenig bekannt wie Uni-Professor Wolfgang Brandstetter außerhalb von Juristenzirkeln.
Dass die beiden Jahre später in der Regierung landen, verdanken sie Michael Spindelegger. Der damalige ÖVP-Chef macht Kurz 2011 zum Staatssekretär. Als dieser 2013 zum Außenminister aufsteigt, wird Brandstetter gleichzeitig Justizminister. Spindelegger kennt Brandstetter, seit beide gemeinsam als Strafrechtsassistenten an der Universität Wien tätig waren, beide gehören auch dem CV an. Auch der damalige SPÖ-Kanzler Werner Faymann kann mit Brandstetter gut, der WU-Professor war Faymanns Verteidiger in der Inseratenaffäre.
In den ersten Monaten agiert Minister Brandstetter noch schüchtern. Auf Journalistenfragen lässt er lieber seine Sektionschefs antworten. Doch Brandstetter wandelt sich, er wird mutiger, politischer. Er beginnt sogar, sich zu Themen zu äußern, die über das Justizthema hinausgehen. So fordert er etwa ein einheitliches Asylrecht in der EU und, dass ein Bundespräsident auch nach Ende der Amtsperiode Österreich noch repräsentieren darf.
In letzter Zeit aber, so konstatieren Brandstetters Kritiker, schieße er manchmal über das Ziel hinaus. Er mache Ankündigungspolitik, etwa bei Sicherheitsthemen, und schiele zu sehr auf die schnelle Schlagzeile. Auch dass Brandstetter in einem „Presse“-Interview erklärte, man solle das Demonstrationsrecht einschränken und vor der Genehmigung prüfen, ob ein Anliegen nicht auch auf Facebook ausreichend deponiert werden kann, sorgt für Kopfschütteln unter Juristenkollegen.
Ruhige Amtsführung gefragt
Unter dem Strich aber gilt der 59-Jährige als beliebt, seine weitgehend ruhige Amtsführung half dabei, das Justizressort aus der Kritik vergangener Jahre zu holen. Das ruhige Abarbeiten von Themen ist auch das, was man sich in der ÖVP vom neuen Vizekanzler Brandstetter (der übrigens nicht Parteimitglied ist) in der Regierung erwartet. Wobei sich die SPÖ nicht zu früh auf amikale Verhältnisse freuen sollte. Denn Brandstetter könne, wenn ihm etwas nicht passt, auch laut werden, sagen Kenner.
Zu Kurz aber wird Brandstetter hundertprozentig loyal sein. Und auch in seinem Kabinett, das der Justizminister erst im März umbaute, vertraut der väterliche Freund auf Leute aus der Jungen ÖVP. Sowohl Brandstetters neuer Kabinettschef als auch sein neuer Pressesprecher gehören der Jugendbewegung von Sebastian Kurz an.