Wenn es mit dem freien Spiel der Kräfte ernst wird
Lexikon. Rund um die Regierungskrise fallen immer wieder dieselben Begriffe. Doch was würde sich im politischen Alltag ändern, wenn kein Koalitionszwang mehr herrscht oder vielleicht sogar eine Minderheitsregierung gebildet wird? Und wozu braucht man eine
Wien. Freies Spiel der Kräfte, Minderheitsregierung oder Regierungsbeschluss: Es sind Ausdrücke wie diese, die die politische Diskussion in diesen Tagen prägen. Doch was steckt eigentlich hinter diesen Ausdrücken und warum ist das Feilschen um den Vizekanzlerposten wichtig? Und wozu braucht man überhaupt einen Vizekanzler? Ein kleines „Presse“-Lexikon zu den aktuellen Themen.
Frei·es Spiel der Kräf·te [vom Bundeskanzler angekündigt] Da es mit der Koalition nicht mehr zum Besten steht, wird für die verbleibenden Monate bis zur Wahl ein freies Spiel der Kräfte erwartet. Das heißt im Grunde nichts anderes, als dass jede Partei versuchen muss, Partner für einen Mehrheits- beschluss im Parlament zu finden. Das ist zwar in der Theorie immer so. So lange aber eine Koalition besteht, ist es üblich, dass die beiden Regierungsparteien alles gemeinsam beschließen. Zunächst beim Ministerrat ( Regierungsbeschluss) und später nicken es die Abgeordneten der Koalition im Parlament dann ab. Gesetzesinitiativen aus der Opposition sind in diesem System von Vornherein ohne Chance. Bei einem freien Spiel der Kräfte hingegen kann nun eine der beiden Regierungsparteien auch mit den Oppositionsfraktionen Gesetze paktieren.
Min·der·heits·re·gie·rung [im Gespräch, kommt vorerst nicht] Zuerst wollte die SPÖ nur ÖVPChef Sebastian Kurz als Vizekanzler akzeptieren. Schlussendlich akzeptierte sie doch Wolfgang Brandstetter in dieser Position. Damit ist ein Szenario ohne ÖVP in der Regierung vom Tisch. Denn Kanzler Kern könnte grundsätzlich auch eine Regierung bilden, der nur Vertreter seiner Partei oder auch unabhängige Experten angehören. Das wäre dann eine Minderheitsregierung, weil sie keine Mehrheit im Nationalrat hätte. Jeder einzelne Minister, aber auch der Kanzler oder die gesamte Regierung könnte dann per Misstrauensantrag abgesetzt werden. Dazu bedarf es im Nationalrat nur eines Mehrheitsbeschlusses. Um das zu verhindern, müsste die Regierungspartei Deals mit den einzelnen Fraktionen abschließen ( freies Spiel der Kräfte).
Re·gie·rungs·be·schluss [verliert an Bedeutung] Kern hatte Kurz damit gedroht, dass es keine Regierungsbeschlüsse mehr geben werde, wenn er nicht als Vizekanzler fungieren will. Fraglich ist, ob diese Drohung nun nach dem Ja zu Brandstetter in die Tat umgesetzt wird oder ob nicht doch einzelne Regierungsvorhaben noch im Ministerrat beschlossen werden.
Auch ohne Regierungsvorlagen kann man aber weiterhin Gesetze im Nationalrat verabschieden. Fünf Abgeordnete reichen etwa, um einen Initiativantrag für ein Gesetz zu stellen, das dann eine Mehrheit finden muss ( freies Spiel der Kräfte).
Vi·ze·kanz·ler [vertritt den Bundeskanzler] Für Wolfgang Brandstetter ist es vor allem eine Ehre, ein paar Monate das Vizekanzleramt ausfüllen zu dürfen. Das Sagen in der ÖVP wird freilich trotzdem Sebastian Kurz haben. Rechtlich betrachtet ist der Vizekanzler vor allem dann wichtig, wenn der Bundeskanzler gerade nicht zugegen sein kann. „Der Vizekanzler ist zur Vertretung des Bundeskanzlers in dessen gesamtem Wirkungsbereich berufen“, heißt es im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG). Sind übrigens einmal Bundeskanzler und Vizekanzler gleichzeitig verhindert, so wird der Bundeskanzler durch das dienstälteste Mitglied der Bundesregierung vertreten. Das wäre Sozialminister Alois Stöger. Bei gleichem Dienstalter von Ministern würde das an Jahren älteste die Kanzlerfunktionen übernommen.
Ernannt wird der Vizekanzler auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten. Ohne Zustimmung von Kern dürfte Brandstetter daher nicht Vizekanzler werden.