Vor der Wahl − fast alle(s) neu
Analyse. Während die ÖVP in den Umfragen deutlich zulegt, freut sich die SPÖ über die neue Spitze der Grünen. Über die Ausgangslage zur Nationalratswahl.
Wien. Sebastian Kurz hat der ÖVP einen deutlichen Aufschwung in den Umfragen beschert. Da und dort ist bereits vom Kurz-Effekt die Rede. Das Institut Unique Research (für „Heute“) sieht die ÖVP bei 33 Prozent, vor der SPÖ und der FPÖ mit je 26 Prozent. Noch größer ist der Vorsprung bei Research Affairs (für „Österreich“), bei dem die ÖVP auf 35, die SPÖ nur noch auf 20 Prozent kommt. Dazwischen liegt die FPÖ mit 26 Prozent.
Allerdings: Es gab auch schon den Reinhold-Mitterlehner-Effekt in der ÖVP und vor gar nicht allzu langer Zeit den MartinSchulz-Effekt in der SPD. Das nährt ausgerechnet die Hoffnungen der SPÖ, die Kurz schon mit Schulz vergleicht. Auch dessen Werte würden schon bald wieder nach unten gehen, heißt es. Christian Kern ist in dieser Erzählung Angela Merkel: Jemand, der in seiner Kanzlerschaft alle überdauern wird.
Einen anderen Effekt hatte die ÖVPÜbernahme durch Sebastian Kurz bereits – nämlich den, dass sich die anderen Parteien für die Nationalratswahl am 15. Oktober neu aufstellen oder zumindest neu ausrichten müssen. Mit Kurz wird aus dem Kanzlerduell zwischen Christian Kern und Heinz-Christian Strache ein Dreikampf, in dem die Chancen in etwa gleich verteilt sind.
Altparteiobmann Strache
Das Problem der FPÖ ist, dass Kurz – mit ähnlichen Ansätzen in der Migrationspolitik – dieselben Wähler anspricht. Und dass der ehemals berufsjugendliche Strache nunmehr der Senior unter den Parteichefs ist. Er bringt es mittlerweile auf zwölf Dienstjahre. Diese Woche kam ihm auch noch die letzte Weggefährtin abhanden: Eva Glawischnig wurde bei den Grünen durch eine Doppelspitze aus Ingrid Felipe (Bundessprecherin) und Ulrike Lunacek (Spitzenkandidatin) ersetzt.
Die Strategieabteilung der FPÖ, also Generalsekretär Herbert Kickl, wird reagieren müssen. Seit Monaten ist ein Wirtschaftsprogramm angekündigt, doch die Umsetzung verzögert sich (Bericht auf Seite 4). Am Dienstag kommt die Parteispitze in Linz mit den Landtagsklubchefs zusammen, um die weitere Vorgangsweise zu besprechen. Es gibt aber auch eine gute Nachricht für die Freiheitlichen: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie – in welcher Konstellation auch immer – der nächsten Bundesregierung angehören, ist aufgrund der allgemeinen Frustration über die Große Koalition größer denn je.
Die SPÖ wurde nach dem Umbruch in der ÖVP zunächst von einer Panikattacke heimgesucht. Mitterlehners Rücktritt war erwartbar gewesen, aber niemand hatte damit gerechnet, dass sich die Partei ihrem neuen Chef unterwerfen wird. Kurz will die alten ÖVP-Strukturen mit einer neuen, überparteilichen Bewegung kombinieren. Auf dem Wahlzettel steht dann nicht mehr ÖVP, sondern „Liste Kurz – die neue Volkspartei“. Dass Anti-Establishment-Ansätze auch in Österreich funktionieren, weiß man spätestens seit Irmgard Griss, deren Präsidentschaftskampagne am ehesten mit der von Emmanuel Macron in Frankreich vergleichbar ist.
Die Grünen stürzen ab
Die SPÖ wird das Mischmodell von Kurz nicht kopieren, sondern für die Mobilisierung der eigenen Leute nützen. „Ich schäme mich nicht für euch“, sagte Christian Kern diese Woche vor Funktionären in Salzburg. Das kam gut an. Mag die Wiener Landespartei im Moment noch so zerstritten sein: Hinter dem Kanzler würden sich alle versammeln, hofft man in der Partei. Vor allem auch, weil vielen bewusst geworden ist, dass es dieses Mal sehr eng werden könnte.
Strategisch wird sich die SPÖ auf jene Wähler konzentrieren, die sie im Lauf der Jahre ans Nichtwählerlager, an die FPÖ oder die Grünen verloren hat. Dass Eva Glawischnig durch eine Doppelspitze ersetzt wurde, die zu einer Hälfte aus der Landesliga kommt und zur anderen aus dem ungeliebten Brüssel, könnte ein Vorteil für Kern sein. Jedenfalls sind Ingrid Felipe und Ulrike Lunacek zusammen weniger breitenwirksam als Eva Glawischnig. In den Umfragen liegen die Grünen im einstelligen Bereich, deutlich unter ihrem Wert von 2013 (12,4 Prozent).
Die Neos gehen einstweilen davon aus, dass sich durch den erwartbaren Rechtsruck der neuen Volkspartei ein liberales Fenster für sie auftun wird. Parteichef Matthias Strolz will sich auf Themen konzentrieren, bei denen Sebastian Kurz vorerst noch ein unbeschriebenes Blatt ist: Bildung, Wirtschaft, Steuern. Die Chancen, dass die Neos im Nationalrat bleiben, sind intakt bis gut. Was sich über das Team Stronach nicht sagen lässt.