Die Presse

Spart euch doch einfach die traditione­llen Wahlprogra­mme

Wir wollen wissen, wie die kommende Regierung die Blockadest­rukturen ändern will. Bloße Überschrif­tensammlun­gen interessie­ren uns nicht mehr.

- VON JOSEF URSCHITZ

D ie praktisch schon geschieden­e Regierung hat uns zwar neulich versichert, die restlichen Wochen noch intensiv arbeiten zu wollen, aber so wirklich glauben können wir das wohl nicht mehr. Gut, Herr Kern hat die Bundesbahn noch schnell für ein paar weitere Jahre vor Wettbewerb geschützt. Aber das ist es wohl nicht, was wir unter Reform verstehen. Bei der von den Sozialpart­nern ohnehin schon zur Unkenntlic­hkeit entstellte­n Gewerberef­orm dagegen hakt es ebenso wie bei der Bildungsre­form.

Macht aber nichts. Die Karten werden im Herbst ohnehin neu gemischt. Auf die paar Monate kommt es nach mehreren Jahrzehnte­n des Reformstil­lstands jetzt auch nicht mehr an. Freilich: Was passiert dann? Das, muss man leider sagen, wissen wir einfach nicht. Denn die drei Mittelpart­eien, von denen wohl zwei in der nächsten Regierung vertreten sein werden und eine mit hoher Wahrschein­lichkeit den Bundeskanz­ler stellen wird, halten sich mit Informatio­nen darüber äußerst nobel zurück.

Wir kennen zwar die Überschrif­tensammlun­g namens Plan A des SPÖKanzler­s und wissen, dass das jedenfalls noch nicht die ganz große Reform ist, die dieses Land weiterbrin­gen könnte. Aber die Herren Kurz und Strache halten sich aus wahltaktis­chen Gründen noch äußerst bedeckt. Sebastian Kurz hat, wie man hört, konkrete Vorstellun­gen von einem Wirtschaft­sprogramm. Aber bisher ist noch nicht viel mehr geschehen, als dass man im Hause ÖVP das Türschild ausgetausc­ht hat. Auch die FPÖ, die seit vielen Monaten an ihrem Reformprog­ramm feilt, hält es eisern unter Verschluss.

Dabei werden uns alle diese Programme, das können wir jetzt schon sagen, nicht wirklich überrasche­n. Über das, was im Plan A steht, und über das, was bisher aus dem FPÖ-Programm durchgesic­kert ist (siehe Kolumne auf Seite 4), reden wir im Prinzip seit vielen Jahrzehnte­n. Die sinnvolle Zusammenle­gung der Krankenkas­sen etwa war schon ein alter Hut, als Jörg Haider damit vor 20 Jahren hausieren ging. Es gibt keine im Parlament vertretene Partei, die das nicht zumindest einmal schon gefordert hätte.

Das Problem, das wir in dieser Republik haben, ist ja nicht, dass niemand Ideen hätte, wie man das Land weiterbrin­gt. Das Problem ist, dass man diese Ideen wegen der gewachsene­n Betonund Verhinderu­ngsstruktu­ren nicht umsetzen kann. Man

kann das jetzt auch nicht an Personen festmachen. Es wäre ja abartig zu glauben, wir seien in den vergangene­n 30 Jahren von lauter unfähigen Antireform­ern regiert worden. Aber selbst starke Persönlich­keiten stoßen sehr schnell an ihre Grenzen, wenn sie in die zu groß gewordenen Machtberei­che von Gewerkscha­ft, Kammern, Bünden und Bundesländ­ern, um die größten Betonblöck­e zu nennen, hineinregi­eren.

Das wird möglicherw­eise auch Herr Kurz sehr schnell zur Kenntnis nehmen müssen. Gut, seine fraktionie­rte Partei hat er einmal auf Linie gebracht. Aber so ein Parteistat­ut ist im Fall des Falles sehr schnell wieder umgeschrie­ben. Und der Rest des Verhindere­rblocks gedeiht ja in alter Pracht und Herrlichke­it.

Wer etwas für das Land tun will, der liefert uns jetzt also nicht die gewohnten altbackene­n Überschrif­tensammlun­gen ab, sondern erklärt, wie er das Machtgefüg­e im Staat wieder ins Lot zu bringen gedenkt. Also, wie er eine saubere Kompetenzt­rennung zwischen Bund und Ländern auf die Reihe bringt, wie er die Sozialpart­ner auf ihre angestammt­e Rolle, in der sie ja gute Arbeit leisten, zurückführ­t, und wie er per Wahlrechts­änderung, die die Listenerst­ellung demokratis­iert, das Parlament von der Funktionär­s- wieder zur Volksvertr­etung macht. Und sagt natürlich dazu, wie er die dafür notwendige­n Zweidritte­lmehrheite­n zu bekommen gedenkt.

Wenn das gelingt, dann ist die Abarbeitun­g der traditione­llen Wirtschaft­sprogramme nur noch ein Klacks. Wir warten also auf genau den vorher skizierten strukturel­len Umbau. Auf programmat­ische Überschrif­tensammlun­gen ohne Realisieru­ngschance sind wir, ehrlich gesagt, nicht mehr neugierig. Mehr zum Thema: Seiten 1–5 E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

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