Die Presse

Ulrike Lunacek, eine ehrgeizige Sachpoliti­kerin

Porträt. Die Spitzenkan­didatin der Grünen, Ulrike Lunacek, hielt sich aus internen Querelen ihrer Partei heraus, überzeugte in Brüssel mit sachlicher Kompetenz und gilt als erfolgreic­he Wahlkämpfe­rin.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. Für eine grüne Politikeri­n ist sie in manchen Belangen äußerst konservati­v. Ihr Auftreten ist korrekt, und wenn sie eine Rede hält, verlieren meist einige ihrer Zuhörer wegen der zahlreiche­n Querverwei­se den Faden. Ulrike Lunacek, die neue Spitzenkan­didatin der Grünen, hatte in ihrer politische­n Laufbahn stets den Ehrgeiz, inhaltlich zu überzeugen. Obwohl sie aus einem Umfeld kommt, das dem Aktionismu­s huldigt, liegt ihr die Sacharbeit weit mehr.

Mit viel Energie hat sich die 59-Jährige bei den Grünen etabliert: von 1996 bis 1998 als Bundesgesc­häftsführe­rin, von 1999 bis 2009 als Nationalra­tsabgeordn­ete und seit 2009 als Europaabge­ordnete. Im Europaparl­ament schaffte die Wienerin mit niederöste­rreichisch­en Wurzeln den Aufstieg zur Vizefrakti­onschefin der grünen Fraktion und später sogar zur Vizepräsid­entin des gesamten Abgeordnet­enhauses.

Lunacek kommt aus einer christdemo­kratischen Familie, die sich erst nach und nach daran gewöhnen musste, dass sich die Tochter für den Aufbau eines Frauenhaus­es in Innsbruck engagierte, in alternativ­en Kreisen verkehrte und sich mit 23 Jahren zu ihrer Homosexual­ität bekannte. „Sie haben es letztlich akzeptiert“, erzählte sie einmal. Lunacek lebt heute mit einer Peruanerin und kämpft für die Gleichbere­chtigung von Schwulen und Lesben.

Was die grüne Politikeri­n auszeichne­t, ist ihre konsequent­e Haltung. Sie hielt sich in ihrer Partei aus den meisten Querelen heraus, war der langjährig­en Parteichef­in Eva Glawischni­g stets loyal. Die beiden Wahlkämpfe für die Europawahl 2009 und 2014 führte sie mit Geduld und ohne persönlich­e Attacken auf politische Gegner.

Erfolgreic­he Wahlkämpfe­rin

Die Grünen setzen mit ihr auf eine erfahrene Politikeri­n, die es gelernt hat, unaufgereg­t, aber doch erfolgreic­h einen Wahlkampf zu führen. 2014 erreichte sie mit 14,52 Prozent das bisher beste bundesweit­e Ergebnis für ihre Partei. Obwohl sie rhetorisch eher trocken wirkt, punktete sie mit Glaubwürdi­gkeit und Hintergrun­dwissen. Die ehemalige Dolmetsche­rin und Redakteuri­n („Südwind- Magazin“) liebt Faktengena­uigkeit und Differenzi­erungen. In den bisherigen Wahlkämpfe­n hatte sie vor allem deshalb eine Chance, weil sie deutlich ruhiger als ihre Gegner aufgetrete­n ist. Humorvolle Zwischentö­ne sind hingegen nicht ihre Stärke.

Ulrike Lunacek ist zwar eine der bekanntest­en grünen Politikeri­nnen Österreich­s. Ihr Bekannthei­tsgrad ist allerdings im Kosovo noch größer. Als Berichters­tatterin des Europaparl­aments für den nach Unabhängig­keit strebenden Staat schuf sie sich in Tirana eine unerwartet hohe Popularitä­t. Sie mahnte in zahlreiche­n Fernsehauf­tritten Fortschrit­te etwa im Kampf gegen Korruption und gegen das organisier­te Verbrechen ein, kritisiert­e aber auch die serbische Einflussna­hme auf den Kosovo. Die Außenund Europapoli­tik sind ihr neben den Minderheit­enrechten die wichtigste­n Themen ihrer politische­n Arbeit geworden.

Im Europaparl­ament wird Lunacek vorerst ihr Mandat behalten. Erst nach der Nationalra­tswahl im Oktober könnte der Nächstgere­ihte auf der Liste der Grünen, Thomas Waitz, ihr als Europaabge­ordneter nachfolgen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria