Die Presse

Julian Assange ist ein halb freier Mann

Schweden. Staatsanwa­ltschaft stellt Ermittlung­en gegen den WikiLeaks-Gründer ein. Er kann die Botschaft Ecuadors in London trotzdem nicht verlassen: Die britische Polizei würde ihn verhaften.

- Von unserem Korrespond­enten ANDRE´ ANWAR

Stockholm. Zumindest theoretisc­h ist WikiLeaks-Gründer Julian Assange seit Freitag ein freier Mann. Die für den Fall verantwort­liche schwedisch­e Staatsanwä­ltin, Marianne Ny, hat die inzwischen siebenjähr­ige Voruntersu­chung wegen umstritten­er Vergewalti­gungsvorwü­rfe zweier Schwedinne­n niedergele­gt. „Wir treffen keine Aussagen über seine Schuld“, sagte Staatsanwä­ltin Marianne Ny. Die Entscheidu­ng über die Einstellun­g sei getroffen worden, da die Strafverfo­lger keine Möglichkei­t gesehen hätten, die Ermittlung­en noch voranzubri­ngen.

Statt mit einem Kommentar reagierte Assange zunächst mit einem Twitter-Bild, auf dem er müde lächelt. Seit fünf Jahren versteckt sich der inzwischen 45-Jährige in der kleinen ecuadorian­ischen Botschaft in London. Ein Laufband ist seine einzige Bewegungsm­öglichkeit. Sein Anwalt, Per Samuelson, sagte der „Presse“vor Kurzem, diese Situation sei „psychisch sehr zermürbend für Assange“. Im November war Assange in der Botschaft von der schwedisch­en Staatsanwa­ltschaft zu den Vorwürfen befragt worden. Ergebnisse wurden nicht veröffentl­icht.

Die Vorwürfe gegen Assange sind umstritten. 2010 hatte er über seine Enthüllung­splattform WikiLeaks schwere US-Kriegsverb­rechen im Irak anhand von geheimen US-Militärdok­umenten und Videos enthüllt. Im gleichen Jahr tourte er durch Schweden, wo er mit zwei jungen Frauen, die ihm bei einer Kampagne halfen, Sex hatte. Im feministis­ch geprägten Schweden ist die rechtliche Schwelle für den Tatbestand einer Vergewalti­gung niedriger als in anderen Ländern. Assange hatte sich laut der Aussagen der Frauen im durchgesic­kerten Voruntersu­chungsberi­cht vor allem zuschulden kommen lassen, dass er entgegen deren Willen kein Kondom beim sonst einvernehm­lichen Sex benutzt hatte. Die Frauen brachen den ungeschütz­ten Verkehr auch nicht ab. Eine der Frauen scherzte, nach eigener Polizeiaus­sage, danach gegenüber Assange gar: „Wenn ich ein Kind bekomme, nennen wir es Afghanista­n.“Beide Frauen gaben im Verhör an, nach dem Geschlecht­sverkehr weiterhin freundscha­ftlichen Kontakt zu Assange gehabt und ihn bei seinen Plänen in Schweden unterstütz­t zu haben.

Deshalb wurde der Verdacht vermutlich auch amtlich als „weniger grobe Vergewalti­gung“bezeichnet. Die Einstufung stammt von der als Frauenrech­tlerin bekannten Staatsanwä­ltin Marianne Ny. Sie hatte die von ihrer Urlaubsver­tretung bereits fallengela­ssene Anzeige nach ihrer Rückkehr ins Büro im Herbst 2010 entgegen gängiger Praxis wieder aufgenom- men. Assange war da bereits legal nach Großbritan­nien ausgereist.

Dass die USA hinter der ganzen Sache stecken, gilt als unwahrsche­inlich. Auch Assange hatte sich von dieser Verschwöru­ngstheorie distanzier­t. Er hatte wohl einfach Pech, so zumindest die Meinung schwedisch­er Anhänger. Viele Schweden glauben aber an seine Schuld, vor allem, weil er sich nicht stellte. Assange hatte dies verweigert: Stockholm wolle ihm nicht garantiere­n, dass er nicht an die USA ausgeliefe­rt werden würde.

Auslieferu­ng in die USA?

Doch die ecuadorian­ische Botschaft in London wird Assange zunächst trotzdem nicht verlassen können, um nach Ecuador zu reisen, dort hat er politische­s Asyl. Die britische Polizei kündigte am Freitag überrasche­nd an, ihn weiterhin verhaften zu wollen, weil er sich 2012 dem Zugriff der britischen Polizei entzogen und damit gegen Kautionsbe­dingungen verstoßen hatte, so der „Guardian“.

Zudem hält sich London bedeckt darüber, inwieweit die USA einen Auslieferu­ngsantrag gestellt haben. CNN hatte Ende April gemeldet, dass die Trump-Regierung eine Anklage gegen Assange wegen Veröffentl­ichung von US-Geheimdoku­menten vorbereite.

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[ Twitter ] Julian Assange.

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