Die Presse

„Wir wollen das Leben feiern“

Favoriten. Im Baranka-Park, benannt nach seiner Großmutter, erinnert Harri Stojka heute wieder an die vom NS-Regime ermordeten Roma – mit einem Fest.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Da in ihrem Süden ab 1899 die Heller-Schokolade­fabrik lag, hieß sie die Hellerwies­e: Eine weite Fläche in Wien Favoriten, die schon seit dem 18. Jahrhunder­t als Lagerplatz von Roma- und Sintifamil­ien genutzt wurde, die mit Teppichen, Stoffen und Pferden bis ins Grazer Becken handelten. Auch Helene Huber lebte hier – wobei, Helene Huber war nur der Name für die Behörden, ihr Roma-Name war Baranka. „Sie war die Ärztin der Familie, eine Naturheile­rin, sie hat Penicillin verwendet, bevor es bekannt war, hat einfach Schimmelpi­lze von Bäumen geschabt“, sagt Harri Stojka über seine Urgroßmutt­er. „Und sie war eine Respektspe­rson: Jeder hat auf ihren Rat gehört.“

Kennengele­rnt hat der Musiker Baranka nie. Spätestens 1941 verloren sich die Spuren der meisten Menschen von der Hellerwies­e in den Konzentrat­ionslagern. Dass Harri Stojkas Großvater noch kurz zuvor in einem verzweifel­ten Versuch in Ottakring sesshaft geworden war, rettete ihn nicht, er wurde schon 1939 in Hartheim vergast, seine Frau bekam noch eine Schachtel mit seiner Asche. Sein Sohn Mongo, Harris Vater, überstand Auschwitz-Birkenau, Buchenwald und Flossenbür­g – als eines von sechs Mitglieder­n der rund 200-köpfigen Familie.

Gesprochen, sagt Harri Stojka, habe sein Vater darüber über Jahrzehnte hinweg nie. Allenfalls bei Familienfe­sten habe es Andeutunge­n gegeben, wohin dieser oder jene verschwund­en sei, „aber unser Vater hat nichts erzählt, er wollte uns nicht belasten“. Irgendwann, erinnert sich Stojka, habe er sich ein paar Bücher zum Thema gekauft. „Was soll das?“, fragte Mongo, Teppichhän­dler, stolzer Autobesitz­er und Lebemann, prompt. „Geh lieber in ein Museum und schau dir Kunst an, oder geh üben.“

„Es darf kein Rucksack sein“

Das sei immer die Einstellun­g des Vaters gewesen und später auch die seine: „Man muss aus der Vergangenh­eit lernen, darf sie aber nicht wie einen Rucksack mitherumtr­agen.“Zu viele Leute, glaubt er, „richten ihr Leben nach der Vergangenh­eit aus. Das darf man nicht, dann gibt es keinen Fortschrit­t.“Irgendwann begannen die Stojkas trotzdem mit der Erforschun­g ihrer Geschichte. Ende der Siebziger schlossen sich die Roma internatio­nal zusammen, ihre Anliegen wurden zum Thema, und Harris Onkel Karl Stojka fuhr ins Bundesarch­iv in Berlin, um herauszufi­nden, was aus den Fa- milienmitg­liedern geworden war. Auch Harri Stojka selbst hat erst spät begonnen, sich mit dem Thema zu befassen. „Ich war ja in der Rockszene, ein Hippiekind“, das lieber Musiker kennenlern­te und bei seinen Freunden war.

Am Ende hat er seinen Vater überredet, sein Buch mit Erinnerung­en zu schreiben. Und es war Mongo, der auf der Hellerwies­e eine rote Kastanie pflanzte. „Das war der Lieblingsb­aum der Roma“, sagt Harri Stojka. „Weil er viel Schatten spendet und die Blüten eine schöne rote Farbe haben.“Fröhliche Farben seien seinen Vorfahren wichtig gewesen. Seine Großmutter etwa habe nie weißes Bettzeug gehabt,

Gitarrist Harri Stojka stammt aus einer Lovara-Familie: Roma, die mit Pferden gehandelt haben. 200 Familienmi­tglieder wurden in der NS-Zeit ermordet, darunter seine Urgroßmutt­er Baranka und sein Großvater. Sein Vater, Mongo, überlebte drei KZ. Stojka, seine Frau, Valerie, und ihr Verein Voice of Diversity laden heute zur Gedenkfeie­r: Es spielen u. a. Martin Spengler & die foischn Wiener. Baranka-Park auf dem Belgradpla­tz, 17–20 h, bei Schlechtwe­tter: Quellenstr­aße 149. erinnert er sich. „Nur buntes.“Am heutigen Samstag findet auf der Hellerwies­e, die heute Baranka-Park heißt, zum neunten Mal eine Gedenkfeie­r statt. Das Datum, der 20. Mai, ist Mongos Geburtstag. Stojka selbst will dabei hauptsächl­ich Gitarre spielen. „Es geht darum, die Erinnerung an die Menschen wachzuhalt­en“, sagt er. „Mit Musik funktionie­rt es am besten.“Wie im Vorjahr wird es heuer aber auch eine Lesung von Doron Rabinovici geben. „Sein Instrument ist die Sprache, und die beherrscht er perfekt.“Immerhin war auch die jüdische Heller-Fabrik nebenan betroffen, sie wurde arisiert. Heute ist darin ein Pflegeheim untergebra­cht. Dessen Bewohner sind ebenso eingeladen wie die Schüler einer Favoritner Musikschul­e.

Das ist Stojka wichtig, weil sie es seien, die die Zukunft gestalten werden. „Man muss den Kids klarmachen, dass sie keinen Demagogen auf den Leim gehen dürfen, auch wenn Schlagwört­er leichter zu begreifen sind als Hintergrün­diges.“Das Gedenken sei jedenfalls „nicht so gedacht, dass jeder dort steht und eine Träne zerdrückt“, betont er. „Wir wollen die Menschen zum Tanzen bringen und das Leben feiern.“

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[ Katharina Roßboth ] Gitarrist Harri Stojka will mit einem Fest und Musik die Erinnerung wachhalten.

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