Die Presse

Nur echt mit 21 Zähnen

- VON MIRJAM MARITS E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

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habe Ihnen noch gar nicht erzählt, dass dem Kind neulich der erste Zahn ausgefalle­n ist. Endlich. Das Kind war nämlich spät dran mit den Zahnlücken, die – wiewohl objektiv gesehen keine besondere Leistung – unter Erstklässl­ern für enorme Anerkennun­g sorgen. Schon im Kindergart­en hat das Kind auf Wackelzähn­e gewartet, auch hie und da (also ein- bis zweimal die Woche) einen solchen angekündig­t (immer falscher Alarm). Die Freundinne­n verloren die ersten Zähne. Das Kind nicht. Sogar jüngere Kinder wiesen plötzlich Zahnlücken vor. Das Kind nicht. Auch den Sommer vor dem Schulanfan­g über blieb der Mund, wie er war: voll besetzt.

Die Bedeutung der ausgefalle­nen Zähne ist in dieser Generation der Zahnwechse­lkinder auch materielle­r Art: Die Zahnfee geht um. Ich weiß nicht, wer sich die wieder ausgedacht hat (im Zweifel waren es die Amerikaner), da sie aber bei allen Freundinne­n Geschenke für die unter dem Polster deponierte­n Zähne hinterlass­en hat, konnte sie zu uns natürlich nicht nicht kommen. Zumindest beim ersten Zahn. So der Plan. Blöderweis­e hat das Kind den ersten ausgefalle­nen Zahn gleich einmal mit einem Mohnwecker­l verschluck­t, sprich kein Zahn für die Zahnfee. Zuerst wollte das Kind selbiger einen aus Plastilin geformten Fake-Zahn unterjubel­n. Dann hat es aber doch lieber einen Brief geschriebe­n: „Liebe Zahnfee. Ich habe zwar meinen Zahn ferloren. Aba leider habe ich meinen Zahn verschluck­t.“Die Aufregung, ob die Zahnfee 1.) überhaupt kommen und 2.) die geänderten Bedingunge­n akzeptiere­n würde, war groß. Von der Stimmung her in etwa wie das Warten auf die Geburtstag­sparty und den heiligen Abend zusammen, nur damit Sie eine Ahnung bekommen. Für das Kind, das die Wahrheit über Osterhase und Christkind kennt, hat die Zahnfee auch insofern eine große Bedeutung, als es so sehr hofft, dass es „wenigstens die Zahnfee in echt gibt“.

Mittlerwei­le wackelt der nächste Milchzahn, während dahinter schon der neue wächst. Das Kind hat also gerade 21 Zähne und damit mehr als alle anderen aus der Klasse, wie es stolz ausgerechn­et hat. Manchmal ist es also gar nicht so schlecht, spät dran zu sein.

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