Nur echt mit 21 Zähnen
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habe Ihnen noch gar nicht erzählt, dass dem Kind neulich der erste Zahn ausgefallen ist. Endlich. Das Kind war nämlich spät dran mit den Zahnlücken, die – wiewohl objektiv gesehen keine besondere Leistung – unter Erstklässlern für enorme Anerkennung sorgen. Schon im Kindergarten hat das Kind auf Wackelzähne gewartet, auch hie und da (also ein- bis zweimal die Woche) einen solchen angekündigt (immer falscher Alarm). Die Freundinnen verloren die ersten Zähne. Das Kind nicht. Sogar jüngere Kinder wiesen plötzlich Zahnlücken vor. Das Kind nicht. Auch den Sommer vor dem Schulanfang über blieb der Mund, wie er war: voll besetzt.
Die Bedeutung der ausgefallenen Zähne ist in dieser Generation der Zahnwechselkinder auch materieller Art: Die Zahnfee geht um. Ich weiß nicht, wer sich die wieder ausgedacht hat (im Zweifel waren es die Amerikaner), da sie aber bei allen Freundinnen Geschenke für die unter dem Polster deponierten Zähne hinterlassen hat, konnte sie zu uns natürlich nicht nicht kommen. Zumindest beim ersten Zahn. So der Plan. Blöderweise hat das Kind den ersten ausgefallenen Zahn gleich einmal mit einem Mohnweckerl verschluckt, sprich kein Zahn für die Zahnfee. Zuerst wollte das Kind selbiger einen aus Plastilin geformten Fake-Zahn unterjubeln. Dann hat es aber doch lieber einen Brief geschrieben: „Liebe Zahnfee. Ich habe zwar meinen Zahn ferloren. Aba leider habe ich meinen Zahn verschluckt.“Die Aufregung, ob die Zahnfee 1.) überhaupt kommen und 2.) die geänderten Bedingungen akzeptieren würde, war groß. Von der Stimmung her in etwa wie das Warten auf die Geburtstagsparty und den heiligen Abend zusammen, nur damit Sie eine Ahnung bekommen. Für das Kind, das die Wahrheit über Osterhase und Christkind kennt, hat die Zahnfee auch insofern eine große Bedeutung, als es so sehr hofft, dass es „wenigstens die Zahnfee in echt gibt“.
Mittlerweile wackelt der nächste Milchzahn, während dahinter schon der neue wächst. Das Kind hat also gerade 21 Zähne und damit mehr als alle anderen aus der Klasse, wie es stolz ausgerechnet hat. Manchmal ist es also gar nicht so schlecht, spät dran zu sein.