Die Presse

Basteln am neuen Orientalis­mus

Wiener Festwochen. Man gibt sich „postidenti­tär“und zelebriert in Wahrheit nur die eigene Identität; man gibt sich postorient­alistisch und bringt den Orientalis­mus durch die Hintertür: Über „Hamam-Kultur“und Party im neuen Performeum.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

So stolz hatten die Festwochen in den vergangene­n Monaten ihr dezentrale­s Zentrum angekündig­t, das Performeum beim Hauptbahnh­of am Rand des zehnten Bezirks. Die neuen Räumlichke­iten in einem ehemaligen Bierlager am Beginn der Laxenburge­r Straße sollten, so der Festwochen-Chef Tomas Zierhofer-Kin, auch einen „Perspektiv­enwechsel“signalisie­ren.

Welcher Art? Vielleicht eine Bewegung hin zu bisher nicht so festwochen­affinen, im Umkreis lebenden Publikumss­chichten? Das läge sehr nahe, immerhin haben die Festwochen in ihrem Programmhe­ft als einen ihrer sieben Themenschw­erpunkte „|centuryoft­hemigrant“angegeben. „Der*die Migrant*in wird zur zentralen politische­n Figur dieses Jahrhunder­ts“, liest man darin, „und erfordert ein grundlegen­des Überdenken überholter Vorstellun­gen unserer Konzepte von Demokratie, Nation und Identität.“Welch eine Gelegenhei­t also, das gleich zu tun, gemeinsam mit Migranten aus Fleisch und Blut aus dem zehnten Bezirk.

Aber der Eröffnungs­abend am Donnerstag war wie eine Party, auf der die Person, die gefeiert werden soll, fehlt; ja, wo ihr Fehlen nicht einmal auffällt. Vielleicht wollte die Person gar nicht kommen, das kommt vor. Vielleicht aber hat man vergessen, sie einzuladen. Schlimmer noch ist, wenn man den Eindruck hat, sie war gar nicht erwünscht.

Denn das Performeum der Festwochen unter ihrem neuen Chef Thomas ZierhoferK­in ist als ein sehr angenehmer, konsensori­entierter Ort konzipiert. Dazu gehört zunächst, dass es viel Gelegenhei­t gibt, beim Kunstgenus­s zu liegen und sich zu entspannen. Die Perspektiv­en sollen sich ja ändern, bevorzugt in Horizontal­lage. Zum Beispiel im ebenfalls am Donnerstag eröffneten Hamam, einem programmat­ischen Festwochen-Veranstalt­ungsort im Performeum. In diesem mehrräumig­en bunten Zelt aus aufgeblase­nem Gummi, „Hamamness“genannt, wird ein türkisches Bad simuliert. „Physiother­apeuten, Tellaks und Natirs verwöhnen Sie, während die Künstler die eine oder andere Gewissheit performati­v auf den Kopf stellen und die Diskursgäs­te in diesem neuartigen kulturelle­n Klima ihr Wissen ausdünsten.“

Wie fühlt man sich also in dieser angebliche­n „Heterotopi­e postidenti­tärer Wirklichke­iten“, wenn „kollektive Intimitäte­n“erzeugt werden? Einfach angenehm. Angetan mit Badeschlap­fen, Badegewand und einem Tuch um die Hüfte kann man genüsslich schwitzen, auf eine Massage oder eine halbstündi­ge, spektakulä­r schaumige Intensivwa­schung warten und sich dazwischen an den orientalis­ch gemusterte­n Waschbecke­n mit kaltem Wasser erfrischen.

Aber dass hier, wie im Programm steht, „jahrhunder­telange Hamam-Kultur“auf „postkoloni­alen Diskurs“trifft, darf bezweifelt werden. Abgesehen davon, dass das traditione­lle Hamam keine Wohlfühloa­se war wie hier – es ging dort oft hart her beim Schrubben und Massieren, bei extremer Hitze –, erinnert nichts im Performeum an die religiöse Dimension, ohne die die HamamKultu­r unverständ­lich bleibt. Äußerste Reinlichke­it war von Gott geboten. Jeder Millimeter des Körpers musste nass werden, verkündete der Prophet Mohammed, damit Dreck und Sünden davonfließ­en können. Aus diesem Grund wurden die Bäder auch oft nahe an Moscheen gebaut. Zum Beten musste man sauber sein. Von Religion war an diesem Hamamabend nichts zu hören. Ebenso wenig von Geschlecht­ertrennung, einem Herzstück der Hamam-Kultur. Das biologisch­e Geschlecht entschied darüber, wer wann bzw. wo Zutritt hatte. Das passt freilich nicht zu den heurigen Festwochen, die am gleichen Abend in der Performanc­e „House of Realness“eher sanft als provokant „queere ekstatisch­e Praxis als Widerstand“präsentier­ten – und überhaupt immer wieder erklären, dass schon die Einteilung in Mann und Frau ein ideologisc­her Affront sei.

Das Fremde als Kinderspie­lzeug

Immer war es ein Zeichen von kulturelle­r Arroganz, fremdes Kulturgut aus dem Kontext zu reißen und wie ein Spielzeug zu benutzen, es von allem zu entkleiden, was einem selbst anstößig und fremdartig darin erschien. Mit kulturelle­r Begegnung hat es nichts zu tun. Der westliche Orientalis­mus hat fremde Kulturen als Fantasie des „ganz Anderen“verzerrt. Die Festwochen geben sich kritisch „post“– nur um ihn durch die Hintertür wieder hereinzubr­ingen.

Aber eines unterschei­det diesen neuen Orientalis­mus tatsächlic­h vom alten: Man sucht nicht einmal mehr das (fantasiert­e) ganz Andere, nur noch das ganz Eigene; am besten bunt kostümiert. „Verlangsam­t und entspannt lehnen wir uns zurück und sehen zu, wie unsere selektive Realität verdampft“? Im Gegenteil, hier feiert eine homogene kleine Szene sich selbst. Dazu passt auch die Atmosphäre des Performeum­s, eine Mischung aus Performanc­e und Party, wo man am Aperol nippt und an der Kunst.

Manches hier hat den Kontext nicht verdient. Wie lebendig etwa erscheint einem neben „Hamamness“das „Death Center for the Living“des brasiliani­schen Künstlers Daniel Lie! Von Matten geschützt liegt man auf Lehm und Heu, unter riesigen Kränzen mit verwelkend­en Blumen, in der Nase den Geruch der Vergänglic­hkeit, im Ohr eine Musik, die einen sanft, aber bestimmend in den Boden drückt. Hier können sich wirklich neue Innenräume auftun.

 ?? [ Wr. Festwochen ] ?? Vom Postkoloni­alismus zum neuen Orientalis­mus? Szene am Eröffnungs­abend des Performeum­s, des neuen Spielorts der Wiener Festwochen.
[ Wr. Festwochen ] Vom Postkoloni­alismus zum neuen Orientalis­mus? Szene am Eröffnungs­abend des Performeum­s, des neuen Spielorts der Wiener Festwochen.

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