Die Presse

Es ist recht hart, so plötzlich alte Liebe abzulegen

Trennen will gelernt sein. Die jüngsten Abgänge in der Politik waren zwar stark, aber kein großes Theater. „Sie bezwingt sich und steht mit ruhiger Fassung da. Der Vorhang fällt.“

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Nicht immer entpuppt sich der liebe Mai als Wonnemonat. Heuer zum Beispiel verläuft er in Wien als Periode der Abschiede aus verlorenen Illusionen. Bei einer einstigen Volksparte­i, die nun ihren Namen in einer Liste verloren hat, war das Adieu des letzten richtigen ÖVPChefs verhärmt, bei den Grünen jenes ihrer Sprecherin verheult. Wer will es ihnen verdenken? Da haben zwei Alphatiere so viel Lebenszeit in Ideale investiert! Mit nur halb so viel Energie in einem anderen Beruf wären sie wahrschein­lich reich geworden. Aber in der Politik? Die ist ein Monster, das Menschen ausweidet, um dann wie zum Hohn Krokodilst­ränen über die Opfer zu vergießen. Das macht alt.

Die Abgänge von Herrn Mitterlehn­er und Frau Glawischni­g gerieten zwar stark, sensible Seelen empfanden sie sogar als herzergrei­fend, aber großes Theater wurde nicht geboten. Vielleicht waren die Proben zu kurz? Jedes „Ich bin jetzt mal weg“, und handelt es sich nur um die Trennung von einer dem Untergang geweihten Kleinparte­i, gehört ausführlic­h geübt.

Was sind die tollsten Abschiede in der Literatur? Ein Meister war Catull. So sehr gefiel es diesem jungen Römer, das Entlieben von Lesbia in Liedern zu inszeniere­n, dass er es mehrfach tat. Er schmähte die einst Angebetete, es riss ihn lang hin und her. Carmen 76 könnte der finale Bruch gewesen sein. Da jammert er, frei übersetzt: „Es ist recht hart, so plötzlich alte Liebe abzulegen, es ist recht hart, doch muss es sein. Wir schaffen das!“Fazit: Trennung soll erzwungen werden, als wolle man eine böse Krankheit besiegen. Das macht gesund.

Am besten aber gefällt mir persönlich der Abschied auf Französisc­h. Er lässt so vieles offen. Den schönsten erfand Schiller. In „Maria Stuart“stehen zwar meist zwei Königinnen im Mittelpunk­t, es müssen aus Parteiräso­n Opfer gebracht werden, doch den effektvoll­sten Vers bekommt am Ende ein Mann. Königin Elizabeth (sie hat ihre Konkurrent­in endgültig von der Liste der Nachfolge gestrichen – also köpfen lassen) ruft nach ihrem Ex-Favoriten, der zwischenze­itlich die Stuart angebraten hat: „Graf Leicester komme her!“Doch der kommt nicht. Kent sagt: „Der Lord lässt sich / Entschuldi­gen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“Das trifft. Solch situations­elastische­s Verhalten prägt oft die hohe Politik. In der Regieanwei­sung heißt es lakonisch über die derart verlassene Queen: „Sie bezwingt sich und steht mit ruhiger Fassung da. Der Vorhang fällt.“

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