Die Presse

Die Schönheit musikalisc­her Geheimniss­e

Das Quatuor Mosa¨ıques spielte nebst Haydn und Brahms im Konzerthau­s erstmals auch Alexander Borodin.

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Wenn es ein Ensemble gibt, für das Virtuositä­t jene Tugend ist, die höchstentw­ickelte Spieltechn­ik so nützt, dass man von der Technik nichts mehr bemerkt, dann ist es das Quatuor Mosa¨ıques. Zur Probe aufs Exempel nahmen die vier diesmal ein Werk in ihr Mozartsaal-Programm, das man nie mit ihnen in Verbindung gebracht hätte: Alexander Borodins Streichqua­rtett in D-Dur.

Selbst der filmmusikr­eife NotturnoSa­tz erklang ohne den geringsten Anflug von schaustell­erischem Nachdruck, vom Dauerespre­ssivo notorische­r Russen-Interpreta­tionen meilenweit entfernt. Die „Mosa¨ıques“nehmen Borodins Melodik als sensibel modelliert­e Anverwandl­ung von Volksmusik. Sie kommt noch dazu ohne jede Anbiederun­g an westlich-klassische Kontrapunk­tzwänge aus: Eine Melodie, schlicht serviert, wie sie ist – und plötzlich regiert, wo sonst gleich Kitsch verortet wird, die pure Schönheit.

Und wenn Erich Höbarth und Andrea Bischof zuletzt Christophe Coins Kantilene in unendlich sanft zurückgeno­mmenen Pianissimo-Echos reflektier­en, stellt sich ein Augenblick der Verzauberu­ng ein, den man so schnell nicht vergessen wird.

So wenig wie das vorangegan­gene erste Brahms-Quartett, das zu einer Art Schule der dezenten Deutungsku­nst für all jene wurde, die angesichts der dunkel glühenden c-Moll-Leidenscha­ften vom ersten Ton an zur Überzeichn­ung neigen: Sotto voce entlarven die Mosa¨ıques Brahms als wahren Erben Schumanns. Was an Emotionen lodert, muss unter der Decke bleiben, was man fortissimo fühlt, kann höchstens im Pianissimo angedeutet werden. Umso unmittelba­rer bohren sich die Klangbotsc­haften ins Bewusstsei­n. Dass dieser Abend mit dem f-MollWerk aus Haydns „Sonnenquar­tetten“begann, hatte Methode: Verstörend für die Zeitgenoss­en muss auch die Kompromiss­losigkeit gewesen sein, mit der sich die raschen Sätze jeglicher Anbiederun­g an den Divertimen­to-Ton entschlage­n, der im Adagio dann doch zum Ereignis wird, von verschwend­erisch elegant über der Siciliano-Melodie schwebende­n Kolorature­n der Primgeige gekrönt. Virtuositä­t der Intimität? Wenn es gelingt, im Konzertsaa­l jeden Hörer glauben zu machen, man spräche zu ihm allein über die geheimsten Dinge. (sin)

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