Die Unvernunft der Serienfrauen
Streamingtipps. Gute feministische Serien? Erkennt man daran, dass Frauen versoffen sein können wie Jessica Jones, fies wie Fleabag und obsessiv wie Chris Kraus in „I Love Dick“. Sechs Empfehlungen.
I Love Dick Von Jill Soloway, 2017
Das Buch war 1999 ein unglaublicher Erfolg. Warum genau, ist im Nachhinein schwer zu erklären, letztlich hat Chris Kraus eher kunstlos Liebesbriefe aneinandergereiht und kommentiert, die sie – zum Teil gemeinsam mit ihrem Mann – an einen ominösen Dick gerichtet hat. Diese Art der verspielten und fiktiv ausgelebten Obsession galt offenbar als neu und skandalös.
Jill Soloway, die mit „Transparent“einen der Höhepunkte der vergangenen Serienjahre gesetzt hat, hat sich jetzt des Stoffes angenommen – und das Ergebnis ist eine zuweilen leise komische, immer intensive Studie über das weibliche Begehren und den Mann als, nun ja, Objekt. Als Sexobjekt, Kunstprojekt, Muse.
Kathryn Hahn – wir kennen sie als Rabbinerin aus „Transparent“– darf hier rasen und glühen, sich entäußern und doch immer bei sich bleiben, es ist wunderschön, ihr dabei zuzuschauen. Und die Männer? Die treffen sich zum Krisengespräch, nachdem Chris – quasi als Performance – den gesamten Ort mit ihren Liebesbriefen tapeziert hat. Wie unangenehm für die beiden. Er fühle sich als Muse missbraucht und gedemütigt, sagt Dick (Kevin Bacon). „Nein, Liebe demütigt“, antwortet der Ehemann. Er meint natürlich sich selbst. Amazon
Fleaãag Von Phoebe Waller-Bridge, 2016
Die typische Serienfrau ist ja die umsichtige Familienmanagerin, die ihren ach so unreifen (haha) Mann ausschimpft, weil er statt einer Familienkutsche einen Sportwagen gekauft hat. Klar tauscht er ihn dann um, sie hat ja recht. Wie öde. Und hier? Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) ist Single, Anfang 30, zynisch, egozentrisch, pleite und würde, sagt sie, für eine perfekte Figur fünf Jahre ihres Lebens opfern. Sie verachtet ihren Freund, ist genervt von ihrer erfolgreichen Schwester – und hasst die neue Frau ihres Vaters, die gern die Penisse ihrer Liebhaber in Gips gießt und ausstellt – ja, auch den des Vaters: „Too much information“, könnte man sagen. Und so ist die ganze Serie: Tabus sind gecancelt, nichts bleibt ungesagt – sogar während des Analsex spricht Fleabag in die Kamera. Was auch dem Sexualpartner gegenüber ein bisschen fies ist. Unkorrekter Feminismus-Spaß. Amazon
Enlightened Von Laura Dern, Mike White, 2011
Wenn starke Frauenrollen rar sind, schreibt man sich am besten selbst welche auf den Leib: Heraus kom- men Serienkunststücke wie „Fleabag“, „One Mississippi“oder eben „Enlightened“: Amy, dargestellt von Laura Dern, kehrt nach einem Esoterik selbst findung stripn ach Kalifornien zurück, heuert wieder bei der Kosmetikfirma an, für die sie schon über ein Jahrzehnt gearbeitet hat – und will mit positiver, ganzheitlicher Energie den Konzern umkrempeln. Das gelingt ihr, freilich anders als geplant: Nix mit Frieden und Harmonie, ziemlich viel mit Intrige und Erpressung. Wie weit darf man gehen, darf man die Verliebtheit des Kollegen ausnutzen–und wie vielKol lateralschäden nimmt man in Kauf, um zu bekommen, was man will? Die Serie kam zu früh, beim derzeitigen Boom herausragender Serien auf Netflix und Co. wäre sie wohl nicht nach zwei Staffeln eingestellt worden. Amazon (25,99 €)
Unãreakaãle Kimmy Schmidt Von Tina Fey, Robert Carlock, 2017
Eine junge Frau (Ellie Kemper), die mit anderen von einem selbst ernannten Guru in einem Bunker gefangen gehalten wurde – und sich befreit. Da sie so lang weggesperrt war, darf sie nun hemmungslos naiv sein und New York mit guter Laune überziehen. Was natürlich völlig unangebracht ist. Für alle, die an der Schlechtigkeit der Welt verzweifeln. Seit Freitag ist die dritte Staffel online. Netflix
Jessica Jones Marvel, seit 2015
Eine Marvel-Superheldin in Serie also – und was für eine: Jessica Jones ist neurotisch, säuft, flucht, wohnt in einer heruntergekommenen Absteige, in der sie unverbindlichen Sex hat – und jeder, der sich um sie bemüht, wird schroff zurückgewiesen. Ein klassischer New Yorker Privatdetektiv könnte man sagen, Typus einsamer Wolf, nur eben weiblich. Das ist vor allem in der ersten Staffel sehr vergnüglich anzuschauen – bis uns zu lang und zu breit erklärt wird, wie Jessica Jones so wurde, wie sie ist. Aber immerhin. Netflix
One Day at a Time Von Gloria C. Kellett, M. Royce, 2017
Drei Generationen von Frauen, drei Arten und Weisen, sich gegenüber Männern zu behaupten: Oma Lydia (Rita Moreno) setzt auf Lippenstift, Mutter Penelope auf Argument und harte Arbeit, Tochter Elena ist das nicht genug: Über den „old people sexism“kann sie nur noch lachen, sie will die Welt erobern. Eine Sitcom, die umwerfend komisch ist, ohne eine einzige ihrer Figuren zu denunzieren. Und einmal hat die Rezensentin sogar geweint. Netflix