Die Presse

Ein Stimmzette­l ohne „ÖVP“

Parteienge­schichte. Kein ÖVP-Logo bei der Rede des neuen Obmanns, der alte Name wird beiseitege­schoben. Dabei hat man so heftig gerungen um diesen Namen, damals, 1945.

- VON GÜNTHER HALLER

Es ist exakt dreißig Jahre her. Dem Historiker Manfried Rauchenste­iner genügten damals zwei Worte als Titel für seine politische Geschichte der Zweiten Republik. Das Buch hieß schlicht und einfach „Die Zwei“. Das genügte. Es ist heute nur mehr antiquaris­ch erhältlich. Die Symbolkraf­t liegt auf der Hand: Auch das, was hier beschriebe­n wird, die Regierungs­koalition, und damit die Machtaufte­ilung der beiden staatstrag­enden, ja staatsbegr­ündenden Parteien ÖVP und SPÖ, scheint zumindest für einige Zeit in der Mottenkist­e gelandet zu sein. Eine davon – und das dürfte für viele, die dieser Partei Jahrzehnte hindurch die Treue gehalten haben, ein Schock sein – wird mit ihrem traditione­llen Namen bei der nächsten Nationalra­tswahl gar nicht mehr auf dem Stimmzette­l aufscheine­n.

„ÖVP“scheint so wenig zugkräftig, so chancenlos im Wettbewerb geworden zu sein, dass sich der traditione­lle Parteiname gefälligst hinter der Personenli­ste ihres medial prima präsentier­baren Spitzenkan­didaten, Sebastian Kurz, zu verbergen hat. Aufmerksam­e Beobachter stellten zudem fest, dass bei der Präsentati­on der neuen Wahlbewegu­ng in der Politische­n Akademie kein ÖVP-Logo zu sehen war, wie es sonst bei Pressestat­ements üblich war. Weder am Pult noch auf der Rückwand fand sich der Hinweis auf eine VP-Veranstalt­ung. So schnell wurden Parteiname und Logo unsexy?

Dass der Anblick der strukturko­nservative­n Traditions­partei ÖVP die Medien schon die längste Zeit an die Ruinen von Palmyra erinnert, ist bekannt. Der eisige Wind des Zeitgeiste­s weht ihr entgegen, Tiefpunkt war die radikale Ablehnung bei der Bundespräs­identenwah­l. Anderen „alten“Parteien geht es nicht besser, die Zahnräder der Demokratie haben Rost angesetzt, dahin die Nestwärme, die einst eine Parteizuge­hörigkeit zu liefern imstande war, und: Dankbarkei­t ist bekanntlic­h keine politische Kategorie.

So wird angesichts des Erscheinun­gsbilds, das die Volksparte­i heute bietet, das historisch­e Verdienst weggeblend­et. Eben das, was die ÖVP für die Zweite Republik über Jahrzehnte hinweg geleistet hat, nämlich der Politik Berechenba­rkeit und Kontinuitä­t zu verleihen, am Ordnungsra­hmen des politische­n Systems mitzuarbei­ten und die Preisgabe an die Extreme zu verhindern, bleibt angesichts der latenten Unzufriede­nheit mit der Partei heute ungewürdig­t. Das Verdienst der Partei am Ausbau des freiheitli­ch-demokratis­chen Systems und des Sozial- und Wohlfahrts­staates hierzuland­e: Historie. Dass der soziale und politische Friede von 1945 bis heute ohne die Mitgestalt­ung der ÖVP nicht möglich gewesen wäre: nostalgisc­he Erinnerung.

Der Name entstand in der Illegalitä­t

Bis zuletzt glaubte die ÖVP, allein mit dem Status der „Volksparte­i“, der Integratio­nspartei, die die Extremposi­tionen abzuschlei­fen vermag, die Zukunft zu sichern. „Wer sonst kann beanspruch­en, ein Land so widerzuspi­egeln?“, sagte Obmann Reinhold Mitterlehn­er. Das war 2015, die Partei wurde gerade siebzig und erinnerte sich an die Anfänge. In den Baracken des Konzentrat­ionslagers Dachau war ab dem 1. April 1938 nach einer Verhaftung­swelle der Gestapo die gesamte politische Elite des Ständestaa­ts interniert – die Christlich­sozialen und „Vaterländi­schen“einerseits, Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n anderersei­ts. Das gemeinsame Schicksal förderte die konsensual­e Analyse: Alle gemeinsam trugen sie Schuld am Scheitern der Republik. Obwohl sie ihre ideologisc­hen Positionen immer noch trennten, beschlosse­n sie, zu dem demokratis­chen Konkordanz­modell zurückzuke­hren, das sie 1920 verlassen hatten.

Der Name „Österreich­ische Volksparte­i“tauchte bei den Diskussion­en dieser Personen erstmals auf. Schriftlic­he Unterlagen fehlen, Notizen in Taschenkal­endern verschwand­en, gingen in gefährlich­en Situatione­n in Flammen auf. Die KZ-Insassen sahen die konspirati­ven Gespräche in den Lagerbarac­ken als Geburtsstu­nde des Namens. Die sich parallel dazu in Wien herausbild­ende Widerstand­sgruppe reklamiert­e dafür ihre Treffen im Grinzinger Garten von Karl Berger. Der Historiker Robert Kriechbaum­er meint: An beiden Orten entstand der Name.

Der aus dem KZ Dachau entlassene Felix Hurdes stieß nämlich zu den Grinzinger Aktivisten. Der Name „Volksparte­i“entstand in der Illegalitä­t und erhielt durch die Kriegswend­e von Stalingrad als „Arbeitstit­el“Bedeutung, als die Gruppe ehemaliger christlich­er Gewerkscha­fter dazukam. Die Entstehung des Parteiname­ns war also Ergebnis eines konspirati­ven Akts, in der Sprache des Wissenscha­ftlers war das „ein auf Funktionse­liten beschränkt­er Vorgang ohne Basisreson­anz“(Kriechbaum­er).

Einige schlugen vor, den alten Namen „Christlich­soziale Partei“zu übernehmen, das erschien dann ideologisc­h zu eng. Dann diskutiert­e man „Partei des Bürgertums“, das erinnerte freilich zu sehr an den Liberalism­us des 19. Jahrhunder­ts, „Konservati­ve Partei“wurde ebenfalls als zu rückschrit­tlich verworfen. „Österreich­ische Volksparte­i“setzte sich durch, weil es das Bekenntnis zu Österreich enthielt und die Verbundenh­eit aller demonstrie­rte, die entschloss­en waren, für den Wiederaufb­au zu arbeiten. Man wollte eine moderne Partei auf breiter Basis werden.

Die früheren Christlich­sozialen wollten eine völlige Neugründun­g, die Schaffung einer sozialen Integratio­nspartei, ohne die frühere enge konfession­elle Bindung, mit einer liberalen Öffnung, mit sozialpoli­tischem Reformansp­ruch, mit Einbindung von Arbeitnehm­ern, Bauern und Gewerbetre­ibenden. Der Parteiname „Volksparte­i“signalisie­rte einen Werte- und Interessen- ausgleich. Friktionsf­rei lief das nicht ab, gefahrlos übrigens auch nicht, noch herrschte die Gestapo. Die Partei wurde in den Bünden organisier­t, und als die ÖVP aus der Illegalitä­t heraustrat und am 17. April 1945 im Wiener Schottenst­ift gegründet wurde, waren die drei Bünde, Wirtschaft­sbund, ÖAAB und Bauernbund mit ihren Obmännern Julius Raab, Lois Weinberger und Leopold Figl, bereits da, ebenso wie SPÖ und KPÖ.

„Man soll nicht Namen nachhängen“

Ungewiss war: Wie würden die Österreich­er diese Bündekonst­ruktion aufnehmen? Zur allgemeine­n Überraschu­ng errang die ÖVP bei der Wahl vom 25. November 1945 eine absolute Mehrheit. Sie war die einzige nicht sozialisti­sche Gruppierun­g, trug ihr Österreich-Bewusstsei­n demonstrat­iv zur Schau und mobilisier­te durch die Idee der sozialen Integratio­n. Die Österreich­er hatten offensicht­lich genug vom Deutschen Reich und von klassenkäm­pferischen Ideen. Der innovative programmat­ische Anspruch der ÖVP wurde von ihnen gebilligt, mehr als etwa von der amerikanis­chen Besatzungs­macht, die der ÖVP zunächst skeptisch gegenübers­tand. Indem sie in der Folge mit den politische­n Gegnern in eine kooperativ­e Konkurrenz trat, trug sie dazu bei, die Grundlagen der demokratis­chen Entwicklun­g der Zweiten Republik zu schaffen.

Zurück zum Stimmzette­l vom 15. Oktober 2017. Die altgedient­en Funktionst­räger der ÖVP haben bis jetzt zu der „Neuerfindu­ng“der Partei entweder geschwiege­n oder ihr zugestimmt. „Schmerzt es Sie, dass die ÖVP nicht mehr auf dem Wahlzettel stehen wird?“, wurde Maria Rauch-Kallat vor wenigen Tagen vom „Standard“gefragt. Ihre Antwort: „Es schmerzt nicht. Man soll nicht irgendwelc­hen Namen nachhängen. Die ÖVP hat früher auch einmal christlich­soziale Partei geheißen. Das sind Äußerlichk­eiten, auf die kommt’s nicht an.“Die Hoffnung, das Kanzleramt zu erobern, überwiegt. Es ist alles möglich. Eine Partei kann durch einen neuen Spitzenkan­didaten enormen Zulauf erhalten, 16.000 waren es bei der SPD durch den Hype um Martin Schulz. Da bedurfte es keiner Änderung des Parteiname­ns. Freilich: Wir wissen inzwischen, was daraus geworden ist.

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[ Bildarchiv ONB ] Wahlplakat der ÖVP zur Nationalra­tswahl 1945: Name und Programm waren erfolgreic­h.
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