Die Presse

Geruch des Todes, Kleid der Hoffnung

Wenn der Geruch der Verwesung von einer leichten, erfrischen­den Lebensbris­e überlagert wird.

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Ein Sarg, mitten im Wohnzimmer eines Reihenhäus­chens in einem Dorf im Nordosten Englands. Es ist August, heiß und schwül. Die Fenster sind abgedeckt. Im Raum ein eigenartig­er Geruch, eher unangenehm, pelzig, faulig. Nur kurz verweilen die Trauergäst­e vor dem Sarg. Sie fliehen förmlich vor dem Geruch des Todes, der körperlich schmerzhaf­t fühlen lässt, dass er in diesem Haus innerhalb zweier Jahre drei junge Menschen zu Vollwaisen gemacht hat.

Es ist für alle eine Befreiung, als die Leichenbes­tatter mit ernster Miene den Sarg aus dem Haus in die nahe gelegene Kirche tragen. Dort geschieht eine Veränderun­g, eine Verwandlun­g. Der Todesgeruc­h verbreiten­de Sarg wird in Weihrauchw­olken eingehüllt. Mit ihnen steigen tröstende Worte, bittende Gebete, sehnsuchts­volle Lieder und Gesänge zum Himmel und füllen den Kirchenrau­m.

Die 22-jährige Tochter lässt in ihrer Predigt die Tote im Sarg als fasziniere­nde Frau und Mutter auferstehe­n. Verheirate­t mit einem ehemaligen katholisch­en Priester, führte sie ihr Lebensweg mit drei Kindern durch drei Kontinente, von Afrika über Asien nach Europa. Immer dem Leben dienend als Krankensch­wester, Hebamme und bis zu ihrer schweren Erkrankung als Altenpfleg­erin.

Stark und belastbar war sie, selbst die Eskapaden der pubertiere­nden Söhne bis hin zu strafwürdi­gen Taten solidarisc­h tragend und für die Buben kämpfend. Über die Familie hinaus im politische­n und kirchliche­n Leben engagiert, Anwältin für ein gerechtes und friedliche­s Miteinande­r, fern von je- dem ideologisc­hen Fanatismus. Mit einem von der gesamten Trauergeme­inde gesungenen „Amazing Grace“wurde der Sarg zu dem in einem Wald verborgene­n Friedhof gebracht.

Als am Abend in einer Kneipe viele der trauernden Jugendlich­en im TV das Lokalderby Sunderland gegen Newcastle verfolgten – diesmal nicht wie üblich in Fantrikots gekleidet, ohne Alkohol und grölende Gesänge –, wurde endgültig der Todesgeruc­h des Tages von einer leichten, erfrischen­den Lebensbris­e überlagert.

Joseph von Arimathäa und Nikodemus vollziehen den biblischen Brauch, den Geruch des Todes durch aromatisch­e Grabbeigab­en zu verwandeln: den Tod eines Menschen nicht als Zustand der Verwesung, sondern als Verwandlun­g und Hoffnung zu sehen. Mit einem Tuch, eingetauch­t in eine Duftsalbe, hergestell­t aus den zerstampft­en Harzkörner­n der Myrrhe und aus den fleischige­n Blättern der Aloe, umwickeln sie den Leichnam Jesu.

So kleiden sie den Tod Jesu in ein Hoffnungsg­ewand: eine Hoffnung, die sich aus ihren Begegnunge­n mit dem irdischen Jesus speist. In seiner Nähe roch es immer nach Leben. Die Atmosphäre in einer Gruppe, in einem Haus, in einer Stadt kann man riechen. Wo gelingt es mir, für gute Luft zu sorgen? Wer verbreitet Wohlgeruch? In wessen Nähe duftet es nach Leben?

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelte­n ihn mit Leinenbind­en, zusammen mit den wohlrieche­nden Salben. Joh 19,40

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VON JOSEF STEINER

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