Die Presse

Kurz soll die Konferenz der Landeshaup­tleute abschaffen

Der Machtwechs­el in der ÖVP hat die Stärke der Bundesländ­er als falschen Mythos der Zweiten Republik entlarvt. Charakters­chwächen und Kraftlosig­keit auch.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

So schnell kann es in Zeiten wie diesen gehen. An einem einzigen Tag wurde in der Vorwoche ein Mythos zerstört, der bisher zu den allgemein akzeptiert­en Wahrheiten der Zweiten Republik gehört hat: Die wahren Mächtigen sind die Landeshaup­tleute.

Die Entlarvung dieser behauptete­n Wahrheit als falsche Vorstellun­g fand ausgerechn­et im Denkerdorf Alpbach in Tirol statt. Denn das Verhalten der dort versammelt­en ÖVP-Landeshaup­tleute und der drei SPÖ-Landeshaup­tmänner war herzergrei­fend konfus. Von wegen Machtzentr­um der Republik!

Für diese Bloßstellu­ng wird man Sebastian Kurz vielleicht einmal danken können. Er hat sie nämlich durch die Präsentati­on der Kapitulati­onsforderu­ng an die ÖVP zur gleichen Zeit in Wien ausgelöst. Die in immer währender Monotonie beschworen­e Stärke der Länderchef­s war plötzlich auf keiner Seite mehr zu sehen.

Die „Schwarzen“versuchten, ihre eigene Schwäche mit Bewunderun­g für das „Jahrhunder­ttalent“Kurz zu kaschieren. Die „Roten“, Michael Häupl, Peter Kaiser und Hans Niessl, waren offenbar nicht Manns genug, sich eine Störung der Landeshaup­tleutekonf­erenz durch die Vorgänge in der ÖVP zu verbieten. So standen die einen kleinlaut, die anderen mieselsüch­tig vor der grandiosen Bergkuliss­e in Tirol. Und niemand interessie­rte sich für sie.

In der Folge haben sich die landesfürs­tlichen Parteifreu­nde von Kurz beeilt zu beteuern, er erhalte von ihnen nur dieselbe Macht, die sie in ihren Ländern immer schon haben. Das provoziert schon die Frage, warum sie dies nicht schon längst allen Bundespart­eiobmänner­n zugestande­n haben. Ob sie dann nicht der Bundespart­ei das Siechtum der letzten Jahrzehnte hätten ersparen können? Eher sind diese Aussagen aber als Schutzbeha­uptung zu werten, um die verheerend­e Optik einer erfolgreic­hen Erpressung zu verwischen.

In den vergangene­n Tagen bemühte man sich, dem ganzen noch einen anderen Spin, also Dreh, zu geben: Alles sei abgesproch­en gewesen. Dann aber wäre die Sache noch schlimmer für die Landeshaup­tleute der ÖVP. Das würde nämlich bedeuten, sie hätten gar nicht überrissen, wie sehr sie diese Inszenieru­ng in Wien beschädige­n würde. So gedankenlo­s aber können ÖVP-Ländergran­den nicht einmal in Panik einer Führungskr­ise in der Partei gewesen sein. Für Niederöste­rreichs Johanna Mikl-Leitner wenigstens möchte man das ausschließ­en wollen.

Noch ein Aspekt, der die Landeshaup­tleute der ÖVP schwer beschädigt und ihre Glaubwürdi­gkeit auf lange Zeit untergräbt, wurde durch die Ereignisse der Vorwoche offenkundi­g. Zwar wissen alle Beobachter nun schon seit gefühlten ewigen Zeiten, dass ein ÖVP-Obmann dann bereits Geschichte ist, wenn der erste Landeshaup­tmann sagt, er sei „unumstritt­en“. So anstandsbe­freit aber, wie sich Hermann Schützenhö­fer (Steiermark) und Günther Platter (Tirol) in der Causa Mitterlehn­er/ Kurz verhalten haben, ist selbst in einer Partei mit unterentwi­ckeltem Ehrlichkei­tsverlange­n ein starkes Stück.

Die beiden hätten sich bei ihren Lobpreisun­gen für Kurz eigentlich verschluck­en sollen. Sie müssen sich doch an ihre eigenen Worte vor kurzer Zeit erinnert haben. Noch im Jänner hat Schützenhö­fer im ORF verkündet, Mitterlehn­er sei „unumstritt­en“; im September 2016 haben Platter und Josef Pühringer Loyalitäts­erklärunge­n abgegeben. Warum hatten sie damals nicht den Mut, Reinhold Mitterlehn­er zu sagen: „Es ist vorbei!“– wenn sie doch heute wissen, nur Kurz könne die Partei retten.

Dieser Demonstrat­ion von Kraftlosig­keit aufseiten der SPÖ-Länderchef­s und Charakters­chwäche auf ÖVP-Seite ist auch Positives abzugewinn­en: Eine grundlegen­de Föderalism­usreform wäre doch möglich. So mächtig, wie die Landeshaup­tleute tun, sind sie gar nicht.

Jetzt ist klar: Die Landeshaup­tleutekonf­erenz, ohnehin nirgends verankert, könnte abgeschaff­t werden. Ein großer Wurf für einen starken ÖVP-Chef, oder?

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VON ANNELIESE ROHRER

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