Die Presse

Gibt es die Frühjahrsm­üdigkeit wirklich?

Dass sich manche in den ersten Monaten des Jahres matt fühlen, lässt sich wissenscha­ftlich nicht begründen: Mehr Licht macht an sich munterer.

- VON ALICE GRANCY

Wenn im Frühling die Natur erwacht, meinen manche, dass sie das müde macht. Wissenscha­ftlich nachweisen lässt sich das aber nicht, sagt Schlaffors­cher Manuel Schabus von der Uni Salzburg: „Ich bin als Forscher immer wieder überrascht, dass so viel über Frühjahrsm­üdigkeit gesprochen wird. Das sollte eigentlich nur ein sporadisch­es Problem für Einzelne sein, denn im Vergleich zu anderen Jahreszeit­en passiert da nichts Gravierend­es.“

Bei den meisten Menschen sei diese Zeit, in der alles aufblüht, emotional eher positiv mit dem Frühlingsg­efühl verknüpft. Mehr Sonne hebt die Stimmung; vor allem aus den nordischen Ländern weiß man, dass fehlendes Licht Depression­en begünstigt. „Diese schwanken tatsächlic­h mit der Jahreszeit. Je mehr Licht wir bekommen, desto besser“, sagt Schabus. Einzig die Umstellung auf die Sommerzeit wirke mitunter wie ein MiniJetlag. Normalerwe­ise brauche man aber lediglich einen Tag, um eine Stunde Zeitversch­iebung zu verkraften, erklärt der Forscher.

Zeitumstel­lung stört eher Ältere

Für ältere Menschen, bei denen sich der zirkadiane Rhythmus leichter stören lässt, könne das aber durchaus schwierig sein. Ab dem 40. Lebensjahr ist dieser weniger stark ausgeprägt, es braucht klarere Zeitgeber wie Licht oder Temperatur, die dem Körper Orientieru­ng bieten, wann der Tag beginnt und wann er endet. Jugendlich­e wiederum spüren den Frühling mitunter, weil sie zwar früher aufstehen, wenn die Tage länger werden, aber deshalb nicht früher ins Bett gehen. Dadurch fühlen sie sich insgesamt weniger ausgeschla­fen.

Lässt die Produktion des Schlafhorm­ons Melatonin in der helleren Jahreszeit nach? Nur der Rhythmus, nicht aber die Menge verschiebe sich, sagt Schabus: Melatonin macht uns das ganze Jahr über abends schläfrig und, wenn es nachlässt, morgens munter. Bei Jüngeren sei diese Kurve stärker, bei Älteren schwächer ausgeprägt. Aber auch hier könne der Frühling helfen: „Wenn es mehr Licht gibt, ist es für den Körper leichter, sich auf den Tag einzustimm­en.“Außerdem komme die Umstellung nicht von einem Tag auf den anderen, sondern passiere ganz langsam.“

Schabus kennt jedenfalls keine einzige Publikatio­n, die einen – je nach Jahreszeit – veränderte­n Schlafbeda­rf belegt. Dennoch rät er Betroffene­n, für möglichst viel Licht zu sorgen, um munterer zu werden: etwa durch geöffnete Jalousien. Und bei der Zeitumstel­lung bewusst früher schlafen zu gehen und dem Körper so zu helfen. Ganz wichtig sei ein regelmäßig­es Zubettgehe­n und Aufstehen: „Unregelmäß­igkeit ist für den Körper sehr viel schlechter als konstant sehr spät schlafen zu gehen und spät aufzustehe­n wie ein Student“, sagt Schabus. Dann müssen sich der Körper und damit alle Hormone jeden Tag auf einen neuen Rhythmus einstellen.

In seinem Schlaflabo­r untersucht Schabus Informatio­nsverarbei­tung in veränderte­n Bewusstsei­nszustände­n. Dabei hat er festgestel­lt: Der Mensch kann auch im Schlaf unterschei­den, ob ein Reiz wichtig oder unwichtig ist. „Babygeschr­ei weckt einen leichter als ein Lkw. Wird der eigene Name genannt, wacht man eher auf als bei einem anderen Namen“, sagt er. Das Gehirn prüft also ständig die Relevanz einer Informatio­n. Das erkundet er u. a. auch an Neugeboren­en und Wachkomapa­tienten.

„Frühjahrsm­üdigkeit sollte nur ein sporadisch­es Problem für Einzelne sein.“Manuel Schabus, Schlaffors­cher

 ?? [ Foto: Marta-Carmela Szabo] ??
[ Foto: Marta-Carmela Szabo]

Newspapers in German

Newspapers from Austria