Algen, die aus den Bergen kommen
Innsbrucker Forscher lassen Mikroalgen, die in den Alpen auf Steinen, Böden oder Schnee vorkommen, im Labor wachsen: Ihre Inhaltsstoffe könnten Nahrungsmittel färben, gegen UV schützen oder Omega-3-Fettsäuren liefern.
Wer auf den Bergen wandert, weiß oft gar nicht, dass er an Algen vorbeispaziert, die außerhalb von Gewässern leben. „Das sind terrestrische Mikroalgen, die auf Steinen, Bäumen, Böden oder auf Schnee wachsen“, sagt Heidrun Füssl-Le, Forscherin an der Hochschule MCI (Management Center Innsbruck). Wer etwa „Blutschnee“auf einem Gletscher bewundert, sieht eigentlich Mikroalgen, die für diese rötlichen Flecken sorgen. Auch grün und orange scheinende Steine bei einem Bach können von solchen Algen besiedelt sein, oder nasse Böden, auf denen ein grüner Film sichtbar ist.
Das Team der Algenbiotechnologen am MCI hat nun einen besonderen Schatz in die Finger bekommen: die Sammlung Hunderter terrestrischer Algen, die in den Alpen vorkommen. Die mehr als 1500 Algenproben wurden seit den 1950er-Jahren in der Alpenwelt gesammelt, hauptsächlich vom Botanikprofessor Georg Gärtner der Uni Innsbruck. Etwa 500 davon sind noch lebend erhalten und nun für das MCI verfügbar, wo moderne Methoden zeigen, welche Inhaltsstoffe in den Algen wertvoll sind.
Bisher unerforschte Arten
„Wir können nicht Hunderte Mikroalgen auf einmal untersuchen. Deshalb lagern wir die meisten auf Agarplatten oder in Röhrchen, wo sie nur langsam wachsen. Die paar, die wir jeweils genauer untersuchen, vermehren wir in flüssigem Nährmedium in kleinen Schüttelkolben und Glasflaschen. Noch größer geht es dann in Blasensäulen mit einem Liter Volumen“, erklärt Füssl-Le. In diesen Gefäßen sind die Algen optimal beleuchtet und belüftet. „Wir versuchen, eine möglichst große Zelldichte zu erreichen, also möglichst viele Algen pro Volumen.“
Der Unterschied zu anderen Algenforschungen, die weltweit boomen: Über die Algenarten dieser Sammlung ist fast nichts bekannt. Was brauchen sie zum Ge- deihen, welche Inhaltsstoffe produzieren sie, wie kommt man an diese Stoffe heran? „Wir haben über 100 unbekannte Mikroalgen im Labor, andere arbeiten mit fünf bis zehn Mikroalgen, über die man fast alles weiß“, sagt Füssl-Le. Das macht ihre Arbeit so spannend, jeden Tag könnte man Neues entdecken, wenn die Inhaltsstoffe aus dem Algenmaterial isoliert werden. Mit Ultra- und Mikrofiltrationsmembranen, die teils im MCI entwickelt werden, trennen die Forscher die Flüssigkeit von den Algen. Ultraschall hilft dann, die Algenzellen aufzubrechen, damit die wertvollen Inhaltsstoffe frei werden. Das ist eine heikle Aufgabe, denn die Moleküle sind oft empfindlich gegenüber Temperatur, Licht und Luft und werden mit weitgehend ungiftigen Lösungsmitteln extrahiert.
„Die Algen stellen ihre besonderen Inhaltsstoffe meist her, wenn man sie stresst. Dann produzieren sie Substanzen zu ihrem Schutz, die für uns interessant sein können“, so die Forscherin. Daher werden die Glasgefäße, in denen die Mikroalgen wachsen, entweder mit zu viel Licht beleuchtet oder zu hoher und zu niedriger Temperatur ausgesetzt. Oder man lässt die Algen „hungern“, entzieht dem wässrigen Medium Nährstoffe.
„Auf diese Weise haben wir schon vier Arten von Substanzen gefunden, die es wert sind, vom Labormaßstab in eine großtechnische Richtung zu bringen“, sagt Füssl-Le. Finanzielle Unterstützung kommt dabei von der FFG Forschungsförderungsgesellschaft.
Wie von „Blutschnee“und orangen Steinbelägen zu erwarten war, können Carotinoide aus den Mikroalgen gewonnen werden. „Das sind orange-rote Pflanzenfarbstoffe, die man auch an Lachse füttert, damit ihr Fleisch die orange Farbe bekommt“, sagt Füssl-Le. Man könnte also die in den Alpen gefundenen Algen den Lachsen als Futtermittel geben oder die Farbstoffe isolieren und direkt als Lebensmittelzusatzstoffe verwenden.
UV blocken oder Haut bleichen
Die zweite Substanz ist farblos und kann UV-Licht blockieren. „Auch das war naheliegend, da Organismen in den Alpen einer erhöhten UV-Strahlung ausgesetzt sind, und sie sich dagegen schützen müssen.“Die Hoffnung ist nun, dass der neu gefundene UV-Blocker für Naturkosmetik einsetzbar ist.
Die dritte Substanzklasse, die gefunden wurde, könnte auch für unsere Haut eingesetzt werden, allerdings um zu vermeiden, dass sie sich bräunt. „Das sind TyrosinaseHemmer, die als hautaufhellende Stoffe zu den Bleaching-Produkten gehören“, sagt Füssl-Le. Bisher ist dafür hauptsächlich Kojisäure im Einsatz, die aus Pilzen gewonnen wird. Nicht immer sind dabei die Nebenwirkungen abschätzbar. „Wir machen nun die Strukturaufklärung der Stoffe aus den Mikroalgen und Untersuchungen mit den Extrakten, um zu sehen, welche sich davon rentabel gewinnen lassen und zugleich eine sichere Wirkung haben.“
Und viertens produzieren die terrestrischen Algen, wie viele andere, Omega-3-Fettsäuren. Die essenziellen Fettsäuren gewinnt man bisher meist aus Fischöl: „Doch die Fische haben es nur in sich, weil sie vorher Algen gefressen haben“, sagt Füssl-Le. Mit einer großtechnischen Gewinnung von Omega-3-Fettsäuren aus den Algen könnte man sich den Umweg über die Fische sparen, was nicht nur Veganer freuen dürfte, sondern auch für natürliche Zusätze etwa in der Babynahrung wertvoll wäre.