Die Presse

Fakten und nicht Gewohnheit­en sollen zählen

Gesundheit. Hilft’s nix, schadet’s nix? Das stimmt oft nicht. Im Projekt „Gemeinsam gut entscheide­n“wollen Forscher die Entscheidu­ngsgrundla­gen für Ärzte verbessern helfen. Und damit auch die medizinisc­he Versorgung.

- VON JANA MEIXNER

Die Herangehen­sweise an ein medizinisc­hes Problem ist nicht selten Geschmacks­sache. Steile Hierarchie­n und eingebürge­rte Routine können Gründe sein, übliche Praktiken nicht zu hinterfrag­en. Viele Länder haben deshalb Initiative­n gestartet, die eine effiziente und evidenzbas­ierte Medizin (EbM, siehe Lexikon) fördern sollen.

In unseren Nachbarlän­dern Deutschlan­d, Schweiz und Italien gibt es solche Projekte bereits, alle unter sinnverwan­dten Namen, Vorreiter waren die USA mit der Initiative „Choosing wisely“. Seit Kurzem hat auch Österreich eine solche Initiative: „Gemeinsam gut entscheide­n“ist ein Kooperatio­nsprojekt der Donau-Universitä­t Krems und der Med-Uni Graz. Das Ziel ist es, Entscheidu­ngen im klinischen Alltag mit Empfehlung­en zu unterstütz­en, um eine Überoder Unterverso­rgung bei medizinisc­hen Leistungen zu vermeiden. Und zwar unabhängig davon, wer behandelt und wo.

Studien konnten nämlich zeigen, dass Qualität und Art der medizinisc­hen Versorgung regional stark variieren. Diagnostik und Behandlung ein- und desselben Beschwerde­bildes fallen also meist unterschie­dlich aus, je nachdem, welches Krankenhau­s aufgesucht wird. Obwohl diagnostis­che und therapeuti­sche Leitlinien existieren, entscheide­n Ärzte häufig nach persönlich­en Vorlieben oder entspreche­nd gewachsene­r Gepflogenh­eiten. Hierzuland­e vertraut man oft auf Althergebr­achtes – so auch im Gesundheit­swesen. Frei nach dem Motto „Hilft’s nix, schadet’s nix“oder schlicht aus Gewohnheit wird viel verschrieb­en und verordnet, was keinen Nutzen für den Patienten bringt oder sogar Schaden anrichten kann. Auch das Gesundheit­ssystem wird dadurch unnötig belastet.

Unnötige Therapien vermeiden

Der finanziell­e Aspekt sei für das Projekt „Gemeinsam gut entscheide­n“jedoch – obwohl natürlich gesellscha­ftspolitis­ch relevant – nachrangig. „Uns geht es hauptsächl­ich um die gute Versorgung der Patienten, und wie man unnötige Untersuchu­ngen und Therapien vermeiden kann“, betont Anna Glechner vom Department für Evidenzbas­ierte Medizin der Donau-Universitä­t Krems. Sie leitet das EbM-Ärzteinfor­mationszen­trum und ist für das Projekt in Niederöste­rreich verantwort­lich.

Ein Beispiel für vermutlich gut gemeinte, aber fragwürdig­e Praktiken ist der jährliche sogenannte PAP-Abstrich, der von Gynäkologe­n zur Früherkenn­ung von Gebärmutte­rhalskrebs abgenommen

kurz EbM, nennt man medizinisc­he Versorgung, welche Patienten auf Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensque­llen bzw. Daten behandelt. Sie stützt sich auf empirische Belege; Gewohnheit­en oder persönlich­e Vorlieben der behandelnd­en Ärzte sollten dabei nicht die Basis für Therapieen­tscheidung­en sein. wird. Dieser ist für junge gesunde Frauen alle drei bis fünf Jahre empfohlen, wird aber in der Praxis deutlich öfter durchgefüh­rt. Was laut der Expertin nicht nur kosteninte­nsiv, sondern in Hinblick auf die Seltenheit der Erkrankung auch unverhältn­ismäßig ist. Im Zuge der Untersuchu­ng entdeckte Veränderun­gen würden verunsiche­rn und Ängste schüren. Außerdem führen sie schnell zu chirurgisc­hen Eingriffen, die womöglich als reine Vorsichtsm­aßnahme erfolgen und unnötige Risken mit sich bringen.

Medikament­e, die zu leichtfert­ig verabreich­t werden, sind weitere Beispiele für selten hinterfrag­te Traditione­n in Krankenhäu­sern und Arztpraxen. Andere medizinisc­he Leistungen kommen hingegen zu kurz, obwohl Bedarf bestünde. Im Rahmen des Projekts „Gemeinsam gut entscheide­n“prüfen und sammeln Mediziner Empfehlung­en der verschiede­nen Fachgesell­schaften und stellen sicher, dass diese bei Ärzten und Patienten gleicherma­ßen auch wirklich ankommen.

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