Im Dienste Seiner Majestät
Vor hundert Jahren, im Frühjahr 1917: Hinter dem Rücken der Deutschen versucht Kaiser Karl, einen Sonderfrieden ÖsterreichUngarns mit der Entente auszuhandeln. Die Sixtus-Affäre – und ihr peinliches Ende.
War es eine Affäre oder ein Skandal, wie viele behauptet haben? Im April 1918 wurde durch einen Zufall, ein Missverständnis und letztlich stures Leugnen bekannt, dass im Jahr davor die Möglichkeit bestanden hatte, den Ersten Weltkrieg zu beenden. Nicht durch die Kapitulation eines der Kriegführenden, sondern durch einen Waffenstillstand und Verhandlungen. Nachträglich wurde viel Schmutzwäsche gewaschen. Der österreichische Kaiser wurde der Lüge geziehen, bezeichnete seinerseits den französischen Staatspräsidenten als Lügner, verlor beim deutschen Bundesgenossen jegliche Achtung und musste zur Kenntnis nehmen, dass zwischen gut und gut gemeint ein meilenweiter Unterschied liegt.
Es begann im Februar 1917. Der letzte österreichische Kaiser, Karl I. (für die Ungarn König Karoly´ IV.), hatte die Zügel in die Hand genommen, die seinem Großonkel, Kaiser Franz Joseph, längst entglitten waren. Er hatte sich folgende Ziele gesetzt: rasche Beendigung des Kriegs, Herstellung demokratischer Verhältnisse in der österreichischen Reichshälfte sowie ein Ende der engen Bindung an Deutschland. Mit seinem letzten Anliegen scheiterte Karl als Erstes, und das noch 1916.
Das erste Ziel jedoch sollte erreichbar sein. Karl wollte die bis dahin fruchtlosen Versuche, ein Gespräch zwischen den Feinden zu beginnen, beenden und selbst tätig werden. Dazu wollte er sich der familiären Verbindungen bedienen. Anfang Februar 1917 kam die Schwiegermutter des Kaisers, Prinzessin Maria Antonia von Bourbon-Parma, nach Baden bei Wien. Im dortigen „Kaiserhaus“hatte sich Karl sein „Allerhöchstes Hoflager“eingerichtet und auch das Armeeoberkommando nach Baden übersiedelt. Bewusst abseits von Wien und doch im Nahbereich der Reichshaupt- und Residenzstadt. Maria Antonia kam mit einer Botschaft eines ihrer Söhne, Sixtus Ferdinand Maria BourbonParma, der Offizier in der belgischen Armee war, also auf der Seite des Feindes stand. Karl hatte sich an ihn gewandt, um einen Kontakt zu Frankreich herzustellen. Nur einige wenige Vertraute sollten davon erfahren, vorweg, wenngleich nachträglich, der Minister des Äußern und des kaiserlichen Hauses, Ottokar Graf Czernin.
Karl wollte aber keinen Diplomaten einspannen, sondern seinen Jugendfreund, Oberleutnant Graf Tamas´ Erdödy. Am 8. Februar rief ihn der Kaiser zu sich. Anschließend wurde es freilich merkwürdig: Erdödy hatte sich am Nachmittag bei Kaiserin Zita zu melden und erfuhr von ihr die Details seiner Aufgabe. Er sollte über Bern nach Neuchatelˆ in der Schweiz fahren und sich am 13. Februar um halb zwei Uhr Nachmittag in der Rue de Pommier bei Herrn Maurice Boy de la Tour melden. Er bekam Schreiben des Kaisers und der Kaiserin mit und einige Instruktionen. Der Graf notierte in sein Tagebuch: „Ich wurde seitens der Majestäten dringend vor den Spitzeln und Spionen gewarnt, da im Falle ich gefangen würde, weder Seine Majestät noch das Ministerium von mir etwas wissen könne.“Am Abend desselben Tages fuhr Erdödy vom Wiener Westbahnhof los. Er konnte sich Zeit lassen. – Am 13. war der Graf dann in der Rue de Pommier, inmitten eines „ApachenViertels minderer Güte“, wie er schrieb. Pünktlich traf er nicht nur Sixtus, sondern auch dessen Bruder Xavier, übergab die Briefschaften und bekam gesagt, was die Forderungen der Entente für einen Friedensschluss wären.
Das hatte man sich aber ohnedies an den Fingern einer Hand abzählen können. Es ging um Elsass-Lothringen, das die Franzosen von den Deutschen forderten, um die Wiederherstellung Belgiens, die Rekonstruktion Serbiens, das um Albanien erweitert werden und einen Zugang zur Adria erhalten sollte. Und dann war da noch Russland, das auch etwas zu erwarten hatte. Vielleicht auf Kosten des Osmanischen Reichs. Merkwürdigerweise spielte Italien keine Rolle. Weder Kaiser Karl noch sein mit den französischen Wünschen vertrauter Schwager wussten denn auch, wie großzügig zwei Jahre zuvor die westlichen Alliierten Italien österreichische Gebiete versprochen hatten. Daher erkannte man in Österreich auch den Stolperstein nicht, der auf dem Weg zum Frieden lag. Streng genommen gab es aber ein noch größeres Hindernis, denn die Deutschen wollten Elsass-Lothringen um keinen Preis hergeben. Das wusste letztlich jeder.
Erdödy notierte getreulich, was ihm der Parma-Prinz als die französische Position zu verstehen gab. Dann trennte man sich. Am 15. Februar war der Graf wieder in Wien. Tags darauf berichtete er dem Kaiser in Baden über seine Mission, wurde gelobt und hatte sich abermals in Schönbrunn zu melden, um auch der Kaiserin einen Reisebericht zu erstatten.
Bis jetzt war es aber nur ein Abtasten gewesen und ging nicht über das hinaus, was schon frühere Kontakte der Mittelmächte mit der Entente erbracht hatten. Wie konnte man vorankommen? Einen Tag nach seiner Rückkehr begleitete Erdödy den Minister des Äußern, Czernin, nach Baden. Karl konferierte drei Stunden mit seinem Außenminister, der ein Schriftstück verfasste, das den österreichischen Standpunkt detaillierter darlegen sollte. Hier wimmelte es von Gemeinplätzen, dass Österreich-Ungarn keinesfalls unter der Fuchtel Deutschlands stünde, die Slawen in der Habsburgermonarchie dieselben Rechte hätten wie die Deutschen. Und dann besonders kryptisch: dass Österreich nichts dagegen hätte, falls Deutschland Elsass-Lothringen abtreten wollte.
Als Erdödy drei Tage später wieder im Zug saß, um das zweite Mal in die Schweiz zu fahren, soll er außer den Punktationen Czernins ein paar handschriftliche Notizen des Kaisers mitgenommen haben, die weit konziliantere Formulierungen enthielten, so die Passage, Österreich würde „mit allen Mitteln auf Deutschland Druck ausüben“, damit die französischen Wünsche erfüllt würden. Wie das aussehen sollte, blieb unerwähnt. Und im Übrigen: Von Italien wurde wieder nichts gesagt.
Erdödy fühlte sich verfolgt. Man wollte ihm seine Tasche tragen helfen, ließ ihn nicht aus den Augen, doch letztlich kam er wieder
Die Forderungen der Entente: Elsass-Lothringen, Rekonstruktion Serbiens. Ach ja, und dann waren da noch Südtirol, Triest und Istrien.
Das Ende war peinlich, ungut, ein Skandal. Karl wusste nicht mehr ein und aus. Die Deutschen tobten. Ihre Umarmung wurde noch heftiger. Sechsmal reiste Kaiser Karls Kurier, Graf Erdödy, in streng geheimer Mission in die Schweiz, zweimal kam Prinz Sixtus nach Laxenburg.
unbeobachtet in die Rue de Pommier. Sixtus war schon da. „Ich übergab meine Sachen. Die Geheimaufträge sowie die Briefe Ihrer Majestät wurden sogleich verbrannt.“Offenbar blieb von dem, was Karl geschrieben hatte, nur ein Häufchen Asche übrig. Anschließend zeigte der Graf keine Eile, nach Baden zurückzukommen. Erst am 25. Februar berichtete er dem Kaiser über den Verlauf seiner Mission. Und selbstverständlich hatte er auch der Kaiserin zu rapportieren. Desgleichen dem Minister des Äußern. Dann hieß es warten.
Sixtus kontaktierte den französischen Staatspräsidenten, Raimond Poincare,´ der sich verständlicherweise von der Punktation Czernins nicht beeindruckt zeigte. Der Prinz will ihm daraufhin die teilweise anderslautenden Formulierungen Karls aus dem Gedächtnis rekonstruiert haben. Auf dieser Basis schien man sich näherzukommen. Poincare´ soll sich auch der Italiener erinnert haben, die ja ebenso etwas bekommen sollten. Im Übrigen wollten die Franzosen Zar Nikolaus II. von den österreichischen Friedensfühlern informieren. Doch wie der Zufall so spielt: An diesem Tag, dem 8. März, brach in Russland die Revolution aus.
Die Kontakte mit Österreich sollten auf jeden Fall fortgesetzt werden. Mit Erdödy war in Neuchatelˆ vereinbart worden, dass er für den Fall, dass die Franzosen Gesprächsbereitschaft zeigen sollten, ein Telegramm mit dem unverfänglichen Text „Erwarte Dich am . . . Bertrand“bekommen würde. Tatsächlich: Am 13. März traf das ersehnte Telegramm ein. „Bertrand erwartet Dich am 20. Grüße.“Also ging es ein drittes Mal in die Schweiz. Kaiser Karl wollte das Verfahren abkürzen und hoffte, dass sein Schwager zu Gesprächen nach Österreich kommen würde. Die Begegnung sollte nicht in Baden, sondern in Laxenburg stattfinden, das abgelegener und für diskrete Besuche geeigneter war als das Kaiserhaus in Baden.
Wie im Telegramm genannt, trafen sich Erdödy und Sixtus ein weiteres Mal. Wieso sie beide wussten, dass man diesmal in Genf zusammenkommen wollte, ist nicht überliefert. Die Parma-Prinzen waren schon da. Und weil sich’s so ergab, ließ sie Erdödy noch am späten Abend des 19. wecken und übergab – wie er in seinem Tagebuch festhielt – „die mir mitgegebenen Briefschaften“. Offensichtlich war es nur ein persönliches Schreiben des Kaisers, das die Bitte enthielt, Sixtus und sein Bruder Xavier mögen doch nach Österreich kommen. Aber – und das war die Enttäuschung: Die Prinzen wollten nicht, obwohl schon alles vorbereitet war.
Erdödy überredete sie schließlich doch und ließ bei einem Schnellfotografen Passbilder anfertigen. Die Platten kaufte er dem Fotografen ab. Es sollte keine Spuren geben. Sherlock Holmes hätte seine Freude gehabt. Der österreichische Militärattache´ in der Schweiz, Oberst von Einem, der seit der zweiten Reise von den Kontakten wusste und in Geheimdienstangelegenheiten höchst versiert war, ließ Pässe anfertigen, die auf den Kaufmann Josef Pfister aus Brünn und Ingenieur Stefan Blattner aus Prag lauteten. Wieder vergingen ein paar Tage, dann fuhren die Parma-Prinzen und Erdödy getrennt nach Österreich. Am 22. kamen alle drei in Wien an und übernachteten in Erdödys Wohnung in der Landskrongasse. Am 23. März meldete der Graf dem Kaiser in Baden, dass die Prinzen da wären. Am Abend wollte man sich in Laxenburg treffen. Die Arrangements traf die Kaiserin. Sixtus und Xavier zogen Uniformen von Erdödy an. Dann fuhr man mit dem Auto nach Laxenburg und benützte eine Hintertreppe. Der Graf blieb im Vorzimmer und wachte darüber, dass kein Unbefugter die Begegnung störte. Um 10 Uhr abends stieß auch Czernin zu der Runde. Und um ½ 12 ging es nach Wien zurück. Am darauffolgenden Abend traf man sich ein weiteres Mal. Und am 27. begleitete Erdödy die Prinzen an die Schweizer Grenze. – Vermeintlicher Schluss des 2. Akts.
Was noch immer ein wenig nach ermüdender Friedensroutine aussah, besaß ein Jahr später etliche Sprengkraft. Und alle möglichen Leute, Beteiligte und Unbeteiligte, brachten ihre Erinnerungen oder Gehörtes zu Papier. Sixtus schrieb ein Buch. Der Leiter der kaiserlichen Kabinettskanzlei, Arthur Polzer-Hoditz, der bei den Gesprächen nicht dabei gewesen war, verbreitete sich ausführlich. Selbstverständlich widmete sich Czernin der Sache in seinen Memoiren. Exkaiserin Zita erzählte gleich mehreren Personen ihre Erinnerungen und schilderte sie zum Schluss auch in langen Fernsehinterviews. Erdödy, dessen Tagebuch erst jüngst auftauchte, hielt die Vorgänge in seinen Aufzeichnungen penibel fest und erzählte dann den Verfassern seiner Memoiren etwas anderes. Jeder erinnerte sich irgendwie.
Und schließlich setzte die Interpretation ein. Was war wirklich alles gesagt und geschrieben worden? Sixtus fuhr nämlich nicht nur einfach in die Schweiz und dann weiter nach Frankreich, sondern hatte einen mit Tintenblei geschriebenen, an ihn gerichteten und zur Weitergabe bestimmten Brief des Kaisers mitbekommen. „Mon cher Sixte“, begann er, schilderte den Friedenswillen des Kaisers und zählte dann auf, welche Punkte es zu regeln galt, um für Österreich-Ungarn zumindest einen Sonderfrieden auszuhandeln. Czernin hatte dieses Schreiben nicht zu Gesicht bekommen, sagte er dann, zumindest nicht die ein Jahr später von den Franzosen veröffentlichte Fassung, zu der es 14 Entwürfe gegeben haben soll. Letztlich war es eine einzige Formulierung, die dann für Aufregung sorgte. Im Zusammenhang mit den Forderungen Frankreichs nach Elsass-Lothringen will Karl formuliert haben: „si elles avaint et´e´ justes“, mit dem Nachsatz „Mais elles ne sont pas“. Elsass-Lothringen sollte also an Frankreich gehen, „sofern dessen Forderungen gerechtfertigt sind. Aber sie sind es nicht“. In einer anderen Version liest man: „les justes revindications francaises“,¸ also „gerechtfertigte französische Rückforderungsansprüche“– ohne jegliche Einschränkung. Für die Franzosen eine zweifellos entscheidende Passage. Da sie den Kontakt fortsetzen wollten, hatten sie aber zumindest keinen Zweifel daran, dass Österreich die Abtretung ElsassLothringens als Preis für den Frieden akzeptierte und sie für gerechtfertigt hielt. Wäre die einzige Frankreich unmittelbar betreffende Forderung als „nicht gerechtfertigt“angesehen worden, hätte sich jeder weitere Kontakt erübrigt. Man könnte also davon ausgehen, dass Karl die zweite Version gebrauchte und sich erst nachträglich der ersten Version bediente, um sich gegenüber Deutschland zu rechtfertigen. Wer hatte da etwas vertauscht? Wer sagte die Unwahrheit? Heftiger Streit war programmiert.
Noch aber lag der Ball bei der Entente. Ein neuer französischer Ministerpräsident, Alexandre Ribot, wurde von seinem Staatspräsidenten über die Friedensinitiative des österreichischen Kaisers informiert und zeigte sich wenig beeindruckt. Er wollte zunächst mit den Briten reden. Man zeigte keine Eile. Ribot und der britische Premier, David Lloyd George, trafen sich in Folkstone, und der Brite war es, der auf ein ganz wesentliches Manko der bis dahin laufenden Gespräche hinwies: Man konnte die Sache nicht ohne die Italiener machen. Ihnen waren von den Briten im April 1915 große österreichische Gebiete versprochen worden, wenn sie in den Krieg eintraten, unter anderem ganz Südtirol, Triest und Istrien. Also hieß es, den Kreis der Eingeweihten um Italien zu erweitern. Die Konferenz der Verbündeten fand am 19. April 1917 in den Savoyer Alpen statt. Und der italienische Außenminister, Sidney Sonnino, ging sofort auf Konfrontation. Was interessierte ihn das Elsass? Er verlangte die Einhaltung der seinerzeitigen Zusagen, kümmerte sich auch nicht darum, dass sein eigener König mittlerweile bereit war, sich mit einer geringeren Kriegsbeute zufriedenzugeben. Für Sonnino zählte der Londoner Vertrag von 1915. In den Bemühungen von Kaiser Karl sah er nur ein Zeichen dafür, dass ÖsterreichUngarn bereit war aufzugeben. Franzosen wie Briten aber hatten keinen Grund, das Bündnis wegen einer vagen Friedenshoffnung aufs Spiel zu setzen und Italien im Stich zu lassen. Sie hielten sich bedeckt. Sixtus Bourbon-Parma sollte hingehalten werden.
Einen Monat später reiste Erdödy Hals über Kopf das vierte Mal in die Schweiz. Diesmal sollte er sich mit den Parma-Prinzen in Zug treffen. Am 24. April war es so weit. Doch man ließ den Grafen gleich wissen, dass die Antwort der Entente nicht ganz so ausgefallen war wie erhofft, „da England Italien nicht fallen lassen will und das Trentino verlangt“. Erdödy fuhr nach Baden zurück. Wieder berichtete er Karl und anschließend Zita. „War cirka 1½ Stunden dort. Seine Majestät will vom Trentino nichts hergeben.“Am nächsten Tag war’s dann wieder anders: „Seine Majestät geht doch zum größten Teil auf die Anträge der Entente ein.“Czernin stieß dazu. Man beriet. Am 3. Mai wurde Erdödy das fünfte Mal in die Schweiz geschickt, um „wenn irgend möglich Prinz Sixtus hierher zu bringen“. Der Prinz war einverstanden, ein zweites Mal nach Österreich zu fahren. Diesmal kam er allein. Unterwegs wurden dreimal die Beförderungsmittel gewechselt. Die Spionenfurcht und wohl auch die Angst, die Deutschen könnten etwas mitbekommen haben, grassierten. Am 9. Mai waren Sixtus und Erdödy in Laxenburg. Wieder kam Czernin, der aber bald verabschiedet wurde. Und am 10. Mai ging es für Erdödy ein sechstes Mal Richtung Schweiz. Es sollte das letzte Mal sein, dass der Graf Bote und Reisemarschall in Sachen Frieden gewesen war. Offenbar vor seiner Abreise hatte Karl in einem zweiten an den Prinzen gerichteten Schreiben die Bedingungen genannt, unter denen Österreich einen Sonderfrieden schließen wollte. Trient und der italienischsprachige Teil Südtirols waren neue Zugeständnisse. Triest kam für Karl nicht infrage. Alles andere in dem Brief betraf keine territorialen Fragen. Da war offenbar schon alles gesagt worden.
Nun wurde auch Kaiser Wilhelm II. über die Kontakte informiert, allerdings in sehr unverbindlicher Form, denn der deutsche Kaiser fand den Gedanken eines österreichischen Sonderfriedens nicht abwegig. Dann müssten eben k. u. k. Truppen in Russland die Deutschen ersetzen, um denen die Möglichkeit zu geben, mit aller Macht im Westen die Entscheidung zu suchen. Da hatte man in Berlin wohl etwas gründlich falsch verstanden. Andernfalls wäre ein Aufschrei erfolgt.
Sixtus versuchte mittlerweile in London und Paris, die Friedensinitiative vor dem Scheitern zu bewahren. Ergebnislos. Es gab keinen formellen Abbruch der Gespräche. Man ließ sie einfach einschlafen.
Mag sein, dass der österreichische Kaiser kaum mehr an die Sixtus-Poincare-´Erdödy-Sache gedacht hat, als er ein Jahr später in eine jähe Wirklichkeit gerissen wurde. Czernin hatte eine vom Kaiser approbierte Rede im Wiener Gemeinderat gehalten, in der er den Franzosen unerfüllbare Forderungen und mangelnden Friedenswillen vorwarf. Die Antwort aus Paris kam prompt: Czernin habe wohl vergessen, dass ein Jahr zuvor eine sehr viel höher gestellte Persönlichkeit, als es der Minister des Äußern sei, Frankreich die Abtretung Elsass-Lothringens angeboten habe.
Czernin wollte der Sache auf den Grund gehen, vermutete richtigerweise, dass da etwas an ihm vorbei gelaufen sein musste und verdächtigte Kaiser Karl. Er beschwor ihn, ihm sämtliche Details der Kontakte mit Prinz Sixtus preiszugeben. Doch Karl wollte sich nur dazu verstehen, dem Minister sein Ehrenwort zu geben: „Ich versichere Meinen Minister des Äußern meines Ehrenworts.“Es sei nichts gewesen. Jetzt wurde die Sache unerfreulich, ja peinlich. Czernin setzte den Kaiser unter Druck. Karl wusste nicht mehr aus und ein und war schon bereit zu resignieren. Erzherzog Eugen sollte zumindest zeitweilig die Regentschaft übernehmen.
Doch dann besann sich Karl, entließ seinen Minister und stand vor einem Scherbenhaufen. Die Deutschen tobten. Kaiser Wilhelm II. erwartete eine Entschuldigung und wollte alles dazu getan wissen, dass die Österreicher nicht abermals den Absprung versuchten. Der österreichische Kaiser wurde verächtlich gemacht, Kaiserin Zita, die man verdächtigte, hinter allem gestanden zu sein, als Verräterin gebrandmarkt. Die deutsche Umarmung wurde noch heftiger, und in Österreich-Ungarn wurde man daran erinnert, dass Nibelungentreue etwas absolut Tödliches sein konnte.