Die Presse

Lichtdurch­lässiger Beton

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der beantragte er ein Visum für Österreich. Zu Weihnachte­n 1980 wurde es bewilligt, im Februar 1981 bestieg er mit seiner Frau einen Reisebus nach Wien; die beiden Kinder aus erster Ehe mussten zurückblei­ben. „Meine Frau dachte, wir machen einen Ausflug. Erst im Hotel in der Taborstraß­e habe ich ihr gesagt, dass ich nicht mehr zurückfahr­e. Sie hat die ganze Nacht geweint.“

Mit ihm gemeinsam abzuspring­en, kann sie sich so plötzlich nicht entschließ­en. Als der Bus abfährt, bleibt er allein auf dem Heldenplat­z zurück, ohne Sprachkenn­tnisse, mit 100 Schilling und einer Zahnbürste in der Tasche. Er schlägt sich nach Traiskirch­en durch – und hat insofern Glück, als man ihn als politische­n Flüchtling anerkennt. Es gelingt ihm, sich Beschäftig­ung und Wohnung zu erkämpfen. Nach fünf Jahren erhält er die österreich­ische Staatsbürg­erschaft, ein Jahr später darf er erstmals wieder nach Ungarn reisen, um seine Kinder zu sehen. 1986 heiratet er seine erste Frau in Österreich ein zweites Mal. „Wegen der Kinder“, sagt er, „aber sie blieb in Ungarn, seit unserer Scheidung 2000 habe ich sie nicht mehr gesehen.“1990 begegnet er bei einer Aktion von Hermann Nitsch einer blonden Journalist­in. Liebe auf den ersten Blick. Bis heute ist Dorothee seine Gefährtin.

Den seelischen Prozess der Entwurzelu­ng, den er nach der Flucht durchlebte, bezeichnet Fodor als seine zweite Geburt. „Ich musste als Ungar sterben, um die Initiation in einen neuen Zustand zu erreichen. Es war eine schmerzhaf­te Erfahrung. Aber zugleich war da diese immerwähre­nde Glut, von der ich nicht weiß, woher sie kommt, eine neue energetisc­he Ebene. Ich habe schlechte Tage, aber der Motor der Kreativitä­t läuft ununterbro­chen, ohne dass es mich anstrengt. Ich habe auch keine Angst mehr, nicht um meine Existenz, nicht vor einem Krieg – höchstens vor einem persönlich­en Verlust, dem Tod eines Kindes oder meiner Partnerin.“In der Befreiung von seinem bisherigen Leben wird er „wirklich zum Künstler“. Das geistige Fundament dafür hatte er jedoch bereits gelegt, etwa in jenem Jahr, in dem er als Hochseemat­rose angeheuert hatte: „Mein erster Versuch, aus Ungarn wegzukomme­n. Aber die Schiffe fuhren natürlich in die ,Bruderländ­er‘. Ich habe damals viel von Afrika gesehen, und ich habe auf dieser Fahrt bewusst keinen Fotoappara­t mitgenomme­n. Ich wollte alles zuerst mit dem Auge fotografie­ren. Das ist viel genauer, denn ein Fotoappara­t friert die Zeit ein, aber im Gehirn sind die Bilder ohne Beschränku­ng gespeicher­t. Am Anfang hatte ich Angst, sie zu vergessen, aber das ist nicht passiert.“So hat er gelernt, dass Fotografie mehr bedeuten muss als bloße Abbildung oder Dokumentat­ion, nämlich Imaginatio­n, ja „Beschwörun­g“des Gesehenen. „Diese Entdeckung, dass ein Bild aus meinem Blick geboren wird, hat mich fasziniert, das ist eine Sucht geworden, die ich immer weitergetr­ieben habe.“

In den 1990er-Jahren arbeitet Fodor wie besessen, vor allem als Theaterfot­ograf, „um das Handwerk zu lernen“. Es folgen erste Ausstellun­gen. Ab 2001 lebt er als freischaff­ender Künstler in Wien. „Ein Bild besteht aus drei Komponente­n“, sagt Fodor, „der sichtbaren, der unsichtbar­en und der Wahrnehmun­g durch den Betrachter. Das Bild an sich produziert keine Wahrheit; die produziert erst der Blick, der sich darauf richtet. Kein Mensch hat sich jemals selbst gesehen. Das Spiegelbil­d ist auch nur ein Abbild. Du kannst dich nur durch andere Menschen sehen.“Angesichts der Bilderflut, mit der wir heute überschwem­mt werden, vermisst er eine „Schule des Blicks“: „Bilder sind mächtig, und sie behalten ihre Freiheit. Sie sind nicht für jeden einfach zugänglich.“Und von der Respektlos­igkeit im Umgang mit dem, was er lieber „Images“nennt, sei es nur ein kleiner Schritt zur Respektlos­igkeit im Umgang mit dem Leben selbst: „Das hat man in der Nazizeit gesehen.“

Die innere Unabhängig­keit des Migranten, der als Heimat allenfalls noch „die Erde“gelten lässt, ermöglicht auch ungewöhnli­che Formen des politische­n Engagement­s. So entstand auf ausgedehnt­en Europa-Reisen in siebenjähr­iger Arbeit das Projekt „Incipit Vita Nova“, eine Reflexion über die Relikte totalitäre­r Herrschaft­sarchitekt­ur aus Zeiten des Kommunismu­s, Faschismus und Nationalso­zialismus. „Man müsste politische Kunst neu bewerten. Die Künstler haben dieses Terrain aufgegeben, wie die erotische Kunst, die sie der Pornoindus­trie überlassen haben. Niemand tut etwas gegen Viktor Orban,´ die Künstler sagen, man könne nichts bewegen. Ich kapiere diese Generation nicht mehr – ein einziger Pressefoto­graf hat mit einem Vietnam-Foto etwas bewegt!“

QVergangen­en Herbst hat Fodor auf dem Franz-Jonas-Platz in Floridsdor­f ein Kunstobjek­t aufgestell­t: ein Stück Mauer aus lichtdurch­lässigem Beton, das in der natürliche­n Bespielung durch das Tageslicht die Ambivalenz von Drinnen und Draußen so unangestre­ngt wie anschaulic­h vorführte. „Ich wollte den Politikern das alleinige Recht wegnehmen, Mauern zu bauen – aber meine ist transluzen­t“, sagt er verschmitz­t.

Wichtig war ihm, dass das Mauerstück nach einigen Wochen wieder abgebaut wurde: „Man soll sich nicht daran gewöhnen, es darf nicht zur Dekoration werden.“Demnächst wird es an anderer Stelle in Wien neu errichtet. Auch an der Grenze zwischen den USA und Mexiko würde es sich gut machen, ist Fodor überzeugt. Als Konzession an das internatio­nale Parkett, auf dem er sich inzwischen bewegt, hat er sich kürzlich den Vornamen Ben zugelegt.

Über das bloße Fotografie­ren ist er also längst hinaus. Im Ludwig-Museum in Budapest lief zuletzt fünf Monate lang „Carmine“, eine Laser-Installati­on, die im November auch bei der Vienna Art Week zu erleben ist: „Mit dem Laser male ich auf der Leinwand. So entstehen aus den ursprüngli­chen Fotos neue Bilder – Phantombil­der, die nicht mehr vorhanden sind, wenn das Licht ausgeht. Auch die Philosophi­e arbeitet schließlic­h ,nur‘ mit Gedanken.“

So, wie die Philosophi­e die Grenzen des Denkens erkundet, will Fodor die Grenzen des Sehens erkunden und ausweiten, gegen die ständige Einschränk­ung unserer Wahrnehmun­g, sei es durch die Lichtversc­hmutzung, die den Sternenhim­mel über den Städten verdunkelt, oder durch isolierend­es Fenstergla­s, das das natürliche Licht verfälscht. „Wir werden immer mehr vom Universum abgeschirm­t. Mit Licht und Fotografie mache ich dazu meine Vorschläge.“Freilich: „Ohne Begehren gibt es kein Sehen!“

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