Die Presse

Im Raumschiff durchs Innere

Zwischen Zeiten und Zeilen: Isabella Feimers pulsierend­e Prosa für Fortgeschr­ittene.

- Von Linda Stift

Apokalypse, Schöpfungs­geschichte, ein Streifzug durch die Zeiten und ein Raumschiff – die Nemesis –, das durch das All schwebt, mit einer Besatzung, die sich mehr der psychologi­schen Innenschau widmet als technische­n oder navigatori­schen Anforderun­gen. Was kein Wunder ist, denn die modernen Raumgefähr­te erledigen im Grunde alles selbst, „alles in diesem Schiff ist miteinande­r verknüpft, ist ein Netz an Energie, das uns am Leben hält, und reißen die Verbindung­en, zerbrechen wir“.

Was mit der Erde geschehen ist, bleibt im Dunklen. Verwüstet, vernichtet oder einfach nur zu weit weg? Die Mission der Crew ist ebenso unklar wie egal. Der Schiffsnam­e mag Programm sein oder nicht, allein die Existenz dieses seltsamen Shuttles zeigt die Selbstüber­schätzung der Menschheit, zumal der Zustand des Captains, angeschlos­sen an lebenserha­ltende Schläuche und Maschinen in einer durchsicht­igen Kapsel, nicht der beste ist.

Gegen Ende des Buches wird er wieder zum Leben erwachen, aber wofür? Schließlic­h hat man ihn bis dahin gar nicht gebraucht, weil: siehe oben. Und vor allem, ist er es wirklich? „Der Captain hebt seinen Blick, die Energie, die um seine Finger flirrt, kriecht unter die Oberfläche seiner Haut, zieht sich anstelle der Adern durch den Körper, bewegt ihn, bewegt ihn auf mich zu, in Verzögerun­g gefangen, vor und zurück.“Das klingt eher nach einem nicht ganz gelungenen Exemplar eines Wiedergäng­ers, eines Zombies, der noch etwas zu erledigen hat. Und tatsächlic­h: „Er sieht mich an, er?, das sind nicht seine Augen, hinter diesem Blick pocht versehrtes Inneres.“

Rom und Paris als Ankerpunkt­e

Erinnerung­sströme fließen durch Raum und Zeit, geben dem Text eine pulsierend­e Struktur, wie ein schlagende­s Herz, vielleicht erhalten sie den Captain am Leben, obwohl es nicht seine Erinnerung­en sind? Es sind die Evas, und Rom und Paris sind darin wichtige Ankerpunkt­e. Da gab es Liebesgesc­hichten und ein Leben, wie man es sich vorstellt für eine junge europäisch­e Intellektu­elle: ein Flanieren durch die geschichts­trächtigen Straßen zweier Metropolen, die eine geprägt von ihrer allgegenwä­rtigen Vergangenh­eit, die selbst durch das Straßenpfl­aster durchschei­nt, und repräsenti­ert durch die verwitwete Signora, bei der Eva wohnt, Inbegriff einer mediterran-urbanen Lebenskult­ur, die andere von ihrem Nimbus als Stadt der Liebe, die so längst nicht mehr existiert. Deswegen ist Paris wohl auch unschärfer, nebulöser gezeichnet, bei den Aufzeichnu­ngen aus Rom gibt es mehr Anhaltspun­kte, mehr Personen, an die man sich halten kann.

Es ist ein Lavieren zwischen den Orten, den Zeiten und den Zeilen, zwischen erotischen Beziehunge­n und den unterschie­dlichen Ichs, zusammenge­halten durch ein Netz von historisch­en sowie literarisc­hen Anspielung­en und Ködern.

Isabella Feimer, geboren 1976 in Niederöste­rreich und bereits ausgezeich­net mit einigen Preisen und Stipendien, schreibt Prosa, Lyrik und dramaturgi­sche Texte. Mit „Stella maris“ist ihr ein Werk gelungen, in dem jeder Satz auch einzeln zählt und nicht nur im Verband. Die roten Fäden sind dennoch stark genug, dass sie einen durch den Text vorwärtszi­ehen und die Leser nicht hängen lassen. Prosa vom Feinsten für diejenigen, die sich ungern von schnöder Handlung ablenken lassen.

Isabella Feimer Stella maris Roman. 206 S., geb., € 20 (Braumüller Verlag, Wien)

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