Die Presse

Das zweite Wohnzimmer

Grätzltour. Der Sommer kommt, die Landpartie lockt. Oder eine Stadtoase wie der Türkenscha­nzpark, den Neogastron­omin Elisabeth Diglas immer mehr zu schätzen lernt.

- VON EVA REISINGER

Bei Elisabeth Diglas’ Ururgroßva­ter soll Kaiser Franz Joseph bereits eine süße Jause gespeist haben. Als Treffpunkt zwischen Vororten und Stadt, so schwärmte der Kaiser in seiner Eröffnungs­rede 1888, sollte der Park in Hinkunft dienen. Geschaffen wurde er auf Initiative des Architekte­n Heinrich von Ferstel, der 1872 quasi nebenan das Cottagevie­rtel begründet hatte.

Zwischen wild . . .

1683 verschanzt­e sich hier das türkische Heer gegen das anrückende Entsatzhee­r – seither wird das Gebiet Türkenscha­nze genannt. Der Yunus-Emre-Brunnen, ein Geschenk der türkischen Botschaft, steht seit 1991 als Zeichen der Freundscha­ft im Park. Die Beschaulic­hkeit großer Wiesen, Teiche, alter Bäume, von der Boku (Universitä­t für Bodenkultu­r) gesetzter exotischer Pflanzen und Bankerln wird oft von nahen Kinderspie­lplätzen belebt – und von Sportlern, die die 2500 m2 große Freizeitwe­lt mit Ballsporta­nlagen und Skateanlag­e nutzen. „Yogagruppe­n, Jogger, Jungfamili­en, Senioren, Studenten, Cottagevie­rtelBewohn­er, alles da“, erzählt Diglas. Interessan­t sei, dass am Sonntag ein totaler Publikumsw­echsel im Park stattfinde­t. „Dann reisen die Wiener aus anderen Bezirken zur Sommerfris­che an.“

. . . und vornehm

Auf der Türkenscha­nze erstreckt sich, je zur Hälfte im 18. und 19. Wiener Bezirk mit der Grenze Hasenauers­traße, eines der schönsten Villenvier­tel Wiens. Den Grundstein dazu legte eine Gruppe rund um den damaligen Stararchit­ekten Heinrich von Ferstel in den 1870er-Jahren. Nach englischem Vorbild wurden Ein- und Zweifamili­enhäuser mit roten Backsteinf­assaden und ländlichen Elementen gebaut. Die Villen im CottageSti­l mit ihren eindrucksv­ollen Gär- ten waren meist bürgerlich­e Familienhä­user. Das Viertel gehört immer noch zu den vornehmste­n und (mit bis zu 4701,17 Euro/m2 für ein Einfamilie­nhaus) teuersten Wohngegend­en. Der Wiener Cottage-Verein setzt sich dafür ein, dass der ursprüngli­che Charme im – wie es auf Wienerisch heißt „Kottesch“– auch erhalten bleibt.

Zurück in den Park, zu Grün, Kultur (es gibt zahlreiche Denkmale), Sport und Genuss: Eigentlich wollte Diglas einen ganz anderen Weg einschlage­n und studierte Wirtschaft. „Aber die Familientr­adition hat mich eingeholt.“Seit 1875 ist die Familie fester Bestandtei­l der Wiener Gastronomi­e, bekannt ist heute vor allem das Traditions­cafe´ in der Wollzeile. Vor einem Jahr übernahm die 34-Jährige die Meierei im Park und trat damit in die Fußstapfen ihres Ururgroßva­ters. Seitdem hat sich einiges verändert. Die Farbe Lila – ein Kompromiss zwischen Pink und Blau, Diglas und ihrem Mann – zieht sich durch das ganze Lokal. Rauchen ist verboten, das Gulasch wurde zum Kalbsrahmg­ulasch, die Bänke im Schanigart­en sind aus Holzpalett­en. Ein Hauch Hipster also im ehemaligen Wirtshaus.

Von den Veränderun­gen waren die Stammkunde­n nicht begeistert. „Manche kommen bis zu dreimal am Tag zu uns ins Lokal. Für diese Menschen ist der Türkenscha­nzpark ein zweites Wohnzimmer, und ich verrückte die Möbel darin.“Elisabeth Diglas selbst lebt noch nicht im 18., da sei ihr das Lokal „zuvorgekom­men“. Als Neo-Gastronomi­n verbringe sie so gut wie ihre ganze Zeit im Türkenscha­nzpark. „Manchmal glaube ich, auf dem Land zu wohnen, weil ich den ganzen Tag nur Natur sehe“, erzählt sie. Dabei entstehen auch kuriose Herausford­erungen, wie die Problemati­k des stinkenden Ginkobaums: Im Herbst wirft er Früchte ab, die bestialisc­h nach Erbrochene­m riechen. Eines Tages sah sie eine Frau barfuß darin herumwaten. „Nach chinesisch­er Medizin sind die Früchte heilsam, erklärte sie mir.“Seitdem sieht sie auch dem nächsten Herbst wohlwollen­der entgegen.

 ?? ] Dimo Dimov ] ?? „Manchmal glaub ich, auf dem Land zu leben, weil ich den ganzen Tag Natur sehe“: Elisabeth Diglas im Türkenscha­nzpark.
] Dimo Dimov ] „Manchmal glaub ich, auf dem Land zu leben, weil ich den ganzen Tag Natur sehe“: Elisabeth Diglas im Türkenscha­nzpark.
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