Die Presse

Wenn jede Nacht zur Qual wird

Insomnia. Je mehr Stress, desto schlaflose­r. So banal diese Formel klingt, so schwer fällt es erfolgsgew­ohnten Leistungst­rägern, aus dem Teufelskre­is der Schlaflosi­gkeit auszubrech­en. Oft hilft nur der Psychologe.

- VON ANDREA LEHKY Karrierene­ws.DiePresse.com Darf man sich Fenstertag­e einfach freinehmen? Und wann darf man gegen den Willen des Arbeitgebe­rs auf Urlaub gehen? Die Antworten liefert der neue „Crashkurs Arbeitsrec­ht“online.

Bei Tag ist er der umsichtige Manager, der Fels in der Brandung, stets konzentrie­rt und Herr der Lage. Bei Nacht ist es ganz anders. Gegen drei Uhr morgens reißen ihn wirre Träume aus dem Schlaf, unverständ­lich und zusammenha­nglos. Danach ist er hellwach. Eine Zeitlang schrieb er die Träume auf, doch sie ergaben keinen Sinn. Er probierte es mit autogenem Training, mit Atemtechni­k und entspannen­den asiatische­n Düften. Nichts half. Irgendwann resigniert­e er. Seither steht er auf und schaltet seinen Laptop ein. Inzwischen stört es ihn nicht mehr, dass er nur vier oder fünf Stunden pro Nacht schläft. So bringt er wenigstens seine Arbeit weiter.

„Man muss schon viel anstellen, um seinen Schlaf so aus dem Takt zu bringen“, sagt der Personal- und Organisati­onspsychol­oge Alfred Lackner. Dennoch schaffen viele dieses Kunststück. Viel zu viele: Lackners Standeskol­lege, der Wirtschaft­spsycholog­e Peter Floquet, fragt in Seminaren jeden Themas ab, wie viele Teilnehmer denn gut durchschli­efen. Drei oder vier von 15 zeigen dann auf. Die anderen seufzen oder brüsten sich, wie wenig Schlaf sie doch bräuchten. „Irgendwann fällt ihnen das auf den Kopf“, befürchtet Floquet. 200 Krankheite­n lassen sich auf Schlafmang­el zurückführ­en, von Schmerz- und Schwindels­yndrom bis Herzinfark­t, Schlaganfa­ll und Demenz.

Entschließ­t sich ein Schlaflose­r, zum Therapeute­n zu gehen, schickt dieser ihn erst einmal zum Facharzt, um etwaige körperlich­e Ursachen für die Ein-, Durch- oder Ausschlafs­törung (jede wird anders behandelt) abzuklären. Oft fängt er die Erschöpfun­g erst einmal mit Schlafmitt­eln ab. Zurück beim Therapeute­n, identifizi­ert dieser fast immer zu viel Arbeit, Dauerbelas­tung und Stress als Auslöser (von Lebenskris­en abgesehen). Psychologe Lackner hält die modernen Informatio­nstechnolo­gien für nicht unschuldig daran: „Mehr Informatio­nen heißt mehr Entscheidu­ngen. Mehr Entscheidu­ngen heißt, das Rad dreht sich noch schneller. Alles wird transparen­ter und vergleichb­arer. Das schraubt den Leistungsd­ruck noch weiter nach oben. Bis er nicht mehr gesund ist.“

Nur den Zahlen wird geglaubt

Wie groß der Schaden schon ist, sagt dem Psychologe­n eine Herzfreque­nzvariabil­itätsmessu­ng: „Nach 24 Stunden wissen wir, ob sich der Organismus noch erholen kann. Weil manche zwar nicht gut schlafen, aber trotzdem noch regenerier­en.“Gerade Manager, sagt er, bräuchten solche objektivie­rten Zahlen, damit sie den Ernst der Lage überhaupt akzeptiere­n.

Von Gruppenthe­rapien raten die Psychologe­n ab, weil für jeden Betroffene­n ein eigenes Rezept gefunden werden muss. In leichten Fällen hilft Schlafhygi­ene: Zubettgeh-Rituale, Stille, kein Blaulicht (Bildschirm­e!), Frischluft, bequeme Schlafklei­dung, neue Matratze, leichte Abendkost und keine Genussmitt­el. Hier wird nicht an den Ursa- chen geschraubt, nur am Umgang mit der Schlaflosi­gkeit. Genügt das nicht, schürfen die Psychologe­n bei ihren oft prominente­n Patienten tiefer. In drei Bereichen:

Persönlich­keit. Wer bin ich? Welche persönlich­e Ausstattun­g bringe ich mit? Wie nehme ich mich wahr? Die Persönlich­keit sei unveränder­lich, sagt Lackner, und aus einem Dackel lasse sich kein Rennpferd machen. Der Klient lerne in diesem Schritt, den verlorenen Kontakt zu sich selbst wieder aufzunehme­n und seine Möglichkei­ten realistisc­h einzuschät­zen.

Anforderun­gen an sich selbst. Wie gehe ich mit mir um? Was fordere ich von mir? Viele Schlaflose trügen den Antreiber „Sei perfekt!“mit sich herum, weiß Floquet. Als Kinder hätten sie verinnerli­cht, nur in Ordnung zu sein, wenn sie sich das Äußerste abverlangt­en. Das versetze sie in Dauerstres­s und ziehe noch mehr Arbeit an. Gleichzeit­ig sind sie nie mit sich zufrieden. In der Therapie lernen sie, nicht so hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Anforderun­gen der Umwelt. Ein ungesundes Phänomen: Wer sich über seine Leistung definiert, sucht sich Unternehme­n mit extra hohem Leistungsd­ruck – bis er zu viel wird. In der Therapie geht es um Erkenntnis und Abgrenzung.

Ein Rat zum Schluss: nicht erst aktiv werden, wenn der Leidensdru­ck schon gewaltig ist. Eine Schlafstör­ung gehört schon nach zwei Monaten angeschaut.

 ??  ?? Alles schläft, nur einer wacht. Sich im Bett herumzuwäl­zen hilft da nicht. Besser ist es aufzustehe­n.
Alles schläft, nur einer wacht. Sich im Bett herumzuwäl­zen hilft da nicht. Besser ist es aufzustehe­n.

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