Wenn jede Nacht zur Qual wird
Insomnia. Je mehr Stress, desto schlafloser. So banal diese Formel klingt, so schwer fällt es erfolgsgewohnten Leistungsträgern, aus dem Teufelskreis der Schlaflosigkeit auszubrechen. Oft hilft nur der Psychologe.
Bei Tag ist er der umsichtige Manager, der Fels in der Brandung, stets konzentriert und Herr der Lage. Bei Nacht ist es ganz anders. Gegen drei Uhr morgens reißen ihn wirre Träume aus dem Schlaf, unverständlich und zusammenhanglos. Danach ist er hellwach. Eine Zeitlang schrieb er die Träume auf, doch sie ergaben keinen Sinn. Er probierte es mit autogenem Training, mit Atemtechnik und entspannenden asiatischen Düften. Nichts half. Irgendwann resignierte er. Seither steht er auf und schaltet seinen Laptop ein. Inzwischen stört es ihn nicht mehr, dass er nur vier oder fünf Stunden pro Nacht schläft. So bringt er wenigstens seine Arbeit weiter.
„Man muss schon viel anstellen, um seinen Schlaf so aus dem Takt zu bringen“, sagt der Personal- und Organisationspsychologe Alfred Lackner. Dennoch schaffen viele dieses Kunststück. Viel zu viele: Lackners Standeskollege, der Wirtschaftspsychologe Peter Floquet, fragt in Seminaren jeden Themas ab, wie viele Teilnehmer denn gut durchschliefen. Drei oder vier von 15 zeigen dann auf. Die anderen seufzen oder brüsten sich, wie wenig Schlaf sie doch bräuchten. „Irgendwann fällt ihnen das auf den Kopf“, befürchtet Floquet. 200 Krankheiten lassen sich auf Schlafmangel zurückführen, von Schmerz- und Schwindelsyndrom bis Herzinfarkt, Schlaganfall und Demenz.
Entschließt sich ein Schlafloser, zum Therapeuten zu gehen, schickt dieser ihn erst einmal zum Facharzt, um etwaige körperliche Ursachen für die Ein-, Durch- oder Ausschlafstörung (jede wird anders behandelt) abzuklären. Oft fängt er die Erschöpfung erst einmal mit Schlafmitteln ab. Zurück beim Therapeuten, identifiziert dieser fast immer zu viel Arbeit, Dauerbelastung und Stress als Auslöser (von Lebenskrisen abgesehen). Psychologe Lackner hält die modernen Informationstechnologien für nicht unschuldig daran: „Mehr Informationen heißt mehr Entscheidungen. Mehr Entscheidungen heißt, das Rad dreht sich noch schneller. Alles wird transparenter und vergleichbarer. Das schraubt den Leistungsdruck noch weiter nach oben. Bis er nicht mehr gesund ist.“
Nur den Zahlen wird geglaubt
Wie groß der Schaden schon ist, sagt dem Psychologen eine Herzfrequenzvariabilitätsmessung: „Nach 24 Stunden wissen wir, ob sich der Organismus noch erholen kann. Weil manche zwar nicht gut schlafen, aber trotzdem noch regenerieren.“Gerade Manager, sagt er, bräuchten solche objektivierten Zahlen, damit sie den Ernst der Lage überhaupt akzeptieren.
Von Gruppentherapien raten die Psychologen ab, weil für jeden Betroffenen ein eigenes Rezept gefunden werden muss. In leichten Fällen hilft Schlafhygiene: Zubettgeh-Rituale, Stille, kein Blaulicht (Bildschirme!), Frischluft, bequeme Schlafkleidung, neue Matratze, leichte Abendkost und keine Genussmittel. Hier wird nicht an den Ursa- chen geschraubt, nur am Umgang mit der Schlaflosigkeit. Genügt das nicht, schürfen die Psychologen bei ihren oft prominenten Patienten tiefer. In drei Bereichen:
Persönlichkeit. Wer bin ich? Welche persönliche Ausstattung bringe ich mit? Wie nehme ich mich wahr? Die Persönlichkeit sei unveränderlich, sagt Lackner, und aus einem Dackel lasse sich kein Rennpferd machen. Der Klient lerne in diesem Schritt, den verlorenen Kontakt zu sich selbst wieder aufzunehmen und seine Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.
Anforderungen an sich selbst. Wie gehe ich mit mir um? Was fordere ich von mir? Viele Schlaflose trügen den Antreiber „Sei perfekt!“mit sich herum, weiß Floquet. Als Kinder hätten sie verinnerlicht, nur in Ordnung zu sein, wenn sie sich das Äußerste abverlangten. Das versetze sie in Dauerstress und ziehe noch mehr Arbeit an. Gleichzeitig sind sie nie mit sich zufrieden. In der Therapie lernen sie, nicht so hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Anforderungen der Umwelt. Ein ungesundes Phänomen: Wer sich über seine Leistung definiert, sucht sich Unternehmen mit extra hohem Leistungsdruck – bis er zu viel wird. In der Therapie geht es um Erkenntnis und Abgrenzung.
Ein Rat zum Schluss: nicht erst aktiv werden, wenn der Leidensdruck schon gewaltig ist. Eine Schlafstörung gehört schon nach zwei Monaten angeschaut.