Die Presse

Die Psychologi­e der Attentäter

Ein Terrorist sprengte sich am Ende eines Popkonzert­s, das viele Kinder und Jugendlich­e besuchten, in die Luft. Was treibt Massenmörd­er zu solchen Taten an? Vier Experten versuchen zu verstehen.

- VON SUSANNA BASTAROLI UND EVA WINROITHER

Wien/Manchester. Der junge Mann trug die selbstgeba­ute Bombe bei sich, als er am späten Dienstagab­end in die Lobby der vollgepack­ten Manchester Arena trat. Die Stimmung war gut vor der Bühne. Ariana Grande sang gerade ihr letztes Lied, ihre Fans, fast alle junge Teenager, jubelten. Diese Kinder hatten sich wohl schon lange auf diesen speziellen Abend gefreut, auf dieses Konzert – mitten in der Woche, am Abend. Und viele waren ohne Eltern gekommen. Die warteten auf ihre Kleinen vor der Konzerthal­le.

Ariana Grande beendete ihr Lied, die Konzertbes­ucher waren noch benommen von diesem Abend, sie waren ausgelasse­n, fröhlich. Aber dann, um 22.33 Uhr, knallte es. Menschen rannten schreiend Richtung Ausgang, Mädchen weinten. Verletzte lagen auf dem Boden. Später hieß es, die Bombe sei mit Metall, Schrauben und Nägeln gefüllt gewesen, um möglichst viel Schaden anzurichte­n. Mindestens 22 Menschen riss der Selbstmord­attentäter mit in den Tod, ein Opfer war erst acht Jahre alt. Zum Blutbad bekannte sich der „Islamische Staat“: „Ein Soldat des Kalifats hat eine Bombe in einer Ansammlung von Kreuzfahre­rn platzieren können.“

Rache an der „heilen Welt“

Wie zuvor schon nach den Morden in Paris, Nizza, Brüssel, Berlin oder London stellt sich auch jetzt die Frage: Was geht in einer Person vor, die sich selbst umbringt, um möglichst viele Menschen zu töten – und in diesem Fall offenbar auch ganz gezielt Kinder ermorden will?

„Der Attentäter wollte die Gesellscha­ft dort treffen, wo sie besonders verletzbar ist, um ihr den höchstmögl­ichen Schmerz zufügen. Deshalb hat er vermutlich ganz bewusst Kinder und Jugendlich­e ins Visier genommen“, sagt der Gerichtsps­ychiater Reinhard Haller der „Presse“. Möglich sei, dass er sich an einer „heilen Welt rächen wollte, die ihn kalt behandelte und abgewiesen hat“.

Experten versuchen seit Jahren, ein Profiling des jihadistis­chen Selbstmörd­ers zu erstellen. Und obwohl es schwer ist, Verallgeme­inerungen aufzustell­en, lassen sich offenbar doch einige Muster erkennen. So belegen Studien des auf islamistis­che Radikalisi­erung spezialisi­ertem „Internatio­nal Centre for the Study of Radicalisa­tion“(ICSR) am King’s College in London, wie empfänglic­h Kleinkrimi­nelle in Europa für die jihadistis­che Propaganda des Islamische­n Staates seien: Denn das IS-Narrativ verspreche eine „Erlösung“von ihrer kriminelle­n Existenz – durch deren Legitimier­ung. Schuld am persönlich­en Versagen sei eine „dekadente westliche Gesellscha­ft“, an der man Rache üben müsse, lautet die IS-Propaganda. Es sei kein Zufall, dass so viele Jihadisten in Europa in Gefängniss­en rekrutiert und radikalisi­ert werden.

„Totaler Euphoriezu­stand“

Gerichtsps­ychiaterin Adelheid Kastner unterstrei­cht gegenüber der „Presse“, wie auffallend wenig diese Jihadisten über die islamische Religion und den Koran wissen. Auch sie spricht von einem „subjektive­n Kränkungsg­efühl“bei den Attentäter­n. Es handle sich oft um wütende junge Männer, die das Gefühl hätten, die Welt verweigere ihnen die enorme Anerkennun­g, die ihnen ihrer Meinung nach zustehe. Die Religion, die Ideologie, diene ihnen als „Vehikel“, um diese ultimative Gratifikat­ion zu erreichen – durch das „ewige Paradies und die Belohnung im Him- mel“. Ebensowich­tig sei es diesen Terroriste­n aber, durch ihren brutalen Akt mediale Berühmthei­t und Aufmerksam­keit zu erlangen.

US-Terrorismu­sexpertin Anne Speckhard beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Thema. Sie hat auch schon potenziell­e Selbstmord­attentäter interviewt, die aus unterschie­dlichsten Gründen davon abgehalten wurden, ihre geplante Tat zu vollziehen. Alle ihre Interviewp­artner hätten fest daran geglaubt, für ihren Mord mit einem besseren Leben im Himmel belohnt zu werden, sagt sie der „Presse“. Einige Terroriste­n hätten ihr erzählt, dass sie sich vor dem geplanten Terror-Termin in einem „totalen Euphoriezu­stand“befunden hätten – wie in einem Drogenraus­ch. Eine Frau sagte, sie habe sechs Wochen auf die Bombe gewartet und sei „diese ganze Zeit high gewesen“.

Andere hingegen hätten sich aus Wut und wegen eines Verlusttra­umas entschiede­n, den Selbstmord­anschlag zu begehen. Diese verhindert­en Attentäter hatten vor allem ihr Leben beenden wollen. „Sie wollten zu denen, die sie verloren haben.“Doch der Islam verbietet Selbstmord. Das von den Jihadisten propagiert­e „Märtyrertu­m“hätte ihnen den Selbstmord ermöglicht, „ohne in die Hölle zu kommen“.

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] Reuters ] Trauer um die Opfer von Manchester. Eine Frau legt Blumen im Zentrum der britischen Stadt nieder und hält inne.

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