Die Presse

Welle der Solidaritä­t in inem Meer der Trauer

Terror in Manchester. Nach dem verheerend­en Attentat auf ein Popkonzert suchen verzweifel­te Eltern nach ihren vermissten Kindern. Taxifahrer bringen sie gratis durch die Stadt. Der IS bekennt sich zu der grauenhaft­en Bluttat.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die Schreie des Entsetzens sind gespenstis­cher Stille gewichen. In dem Gebiet um den Bahnhof Manchester Victoria, wo an einem normalen Wochentag Hunderttau­sende Menschen ihre Züge wechseln, auf ein Taxi warten oder sich rasch auf dem Weg in die Arbeit mit einem Kaffee stärken, waren gestern, Dienstag, die Ermittler in einem weiträumig abgesperrt­en Areal tätig. Sie suchten Hinweise und Spuren zu den Hintergrün­den des „feigen Anschlags“(so Premiermin­isterin Theresa May) von Montagaben­d, der in Manchester mindestens 22 Tote und 59 Verletzte gefordert hatte und zu dem sich mittlerwei­le die Terrormili­z Islamische­r Staat bekannt hat.

Aus Ermittlung­sergebniss­en und Augenzeuge­nberichten ist bisher bekannt, dass eine Bombe um 22.23 Uhr Ortszeit zum Ende eines Konzerts des US-Popstars Ariana Grande in der benachbart­en Manchester Arena detonierte. Der selbst gebaute Sprengsatz wurde von einem Selbstmord­attentäter im Foyer des Konzertsaa­ls gezündet. „Wir hörten einen ohrenbetäu­benden Knall, und dann sind wir einfach gelaufen“, berichtete eine Augenzeugi­n.

Während die Sprengkraf­t der Bombe nach Polizeierm­ittlungen gering war, entfaltete sie ihre tödliche Wirkung durch die vielen Geschosse, die „überall durch die Luft flogen und alles durchbohrt­en“, wie ein anderer Augenzeuge berichtete. Der Attentäter hatte die Bombe mit Nägeln versehen. Zudem war das Foyer zum Zeitpunkt der Zündung mit Menschen gefüllt. Das Konzert von Grande hatten 21.000 Fans besucht, die großteils noch so jung waren, dass ihre Eltern sie nach der Veranstalt­ung abholen kamen.

Grande hat vor allem unter Kindern und Jugendlich­en ihre größten Fans. Ums Leben kam unter anderem die achtjährig­e Saffie Rose Roussos, die das Konzert gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer Mutter besucht hatte. Unter den 59 Verletzten des Anschlags waren nach Angaben von Gesundheit­sminister Jeremy Hunt zwölf Kinder unter 16 Jahren.

„What makes Britain great“

Zugleich suchten gestern verzweifel­te Eltern immer noch nach vermissten Kindern. „Ich fuhr die ganze Nacht“, berichtete ein Vater. Ganz Manchester erfasste in einem Meer der Trauer eine Welle der Solidaritä­t. In Radioaufru­fen wurde nach Vermissten gesucht, Menschen stellten ihre Kontakte

in sozialen Netzwerken zur Verfügung, Taxifahrer brachten Eltern kostenlos durch die Stadt. „What makes Britain great/Makes Manchester yet greater“, heißt es in einem Song der Popgruppe The Beautiful South. Gestern bewahrheit­ete sich diese Zeile wieder einmal.

23-Jähriger wurde festgenomm­en

Premiermin­isterin May gab bekannt, dass die Polizei die Identität des Attentäter­s kenne. Der Mann soll geborener Brite gewesen sein, mehr war über ihn zunächst nicht bekannt. Gegen Mittag wurde ein 23-jähriger Verdächtig­er im Süden von Manchester festgenomm­en. Wenig später lösten Sprengstof­fexperten an einem anderen Ort eine kontrollie­rte Explosion aus, „in Zusammenha­ng mit der Untersuchu­ng des schrecklic­hen Anschlags der vergangene­n Nacht“, wie die Polizei mitteilte.

Das Schicksal der jungen Opfer und ihrer Eltern erfasste die britische Öffentlich­keit mit großer Wucht. Von Politikern bis Sportstars, von Musikern bis Fernsehpro­minenz wurden Botschafte­n der Bestürzung und der Trauer verbreitet. Die Fußballver­eine Manchester City und Manchester United überwanden ihre traditione­lle Rivalität und brachten ihre „große Erschütter­ung“zum Ausdruck.

IS droht: „Das ist erst der Anfang“

Die britischen Opposition­sparteien und die Regierung verurteilt­en das Attentat scharf, der Wahlkampf für die Parlaments­wahl am 8. Juni wurde vorerst ausgesetzt (siehe nebenstehe­nden Artikel).

Die Terrormili­z IS soll wenige Minuten vor dem Anschlag eine Nachricht verbreitet haben, in der es neben der schwarzen Flagge der Organisati­on hieß: „Ihr habt auf die Bedrohung durch uns vergessen? Das ist der gerechte Terror.“In einem Bekennervi­deo nach dem Anschlag erklärte ein vermummter Mann: „Das ist erst der Anfang.“

Der Anschlag in Manchester war der schwerste in Großbritan­nien seit dem Terrorangr­iff auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005, bei dem 52 unschuldig­e Opfer und die vier Attentäter ums Leben gekommen waren. Die Täter kamen aus dem heimischen Jihadisten-Milieu und hatten sich in Afghanista­n, dem Irak und Syrien radikalisi­ert. In Syrien allein sollen rund 850 Briten im Einsatz sein, vorwiegend aufseiten des IS, wie etwa der Henker „Jihad John“, den sein britischer Akzent überführte. Angesichts der Niederlage­n des IS auf den Schlachtfe­ldern hatten die Geheimdien­ste vermehrt Bemühungen von Briten um die Rückkehr in die Heimat registrier­t – wo ihnen langjährig­e Haftstrafe­n drohen. Daher tauchen viele in den Untergrund ab, wo neuer Terror wächst.

Erhöhte Polizeiprä­senz

Trotz des Anschlags beließen die Behörden die Terrorwarn­ung gestern auf der zweithöchs­ten Stufe „ernst“. Die Bevölkerun­g wurde aufgerufen, sich „wachsam“, aber nicht „alarmiert“zu verhalten. An neuralgisc­hen Orten wie Verkehrskn­otenpunkte­n wurde die Polizeiprä­senz spürbar verschärft. „Niemand wird uns brechen können“, erklärte May. „Wir stehen gemeinsam mit Manchester in dieser dunklen Stunde.“

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Der Selbstmord­attentäter von Manchester schlug am Ende eines Konzerts der US-Sängerin Ariana Grande z
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[ AFP (2), Reuters ] k sitzt tief in der Stadt, deren Bürger große Hilfsberei­tschaft zeigten. „Unsere Werte, unser Land und unsere Lebensart werden immer siegen“, erklärte die britische Premiermin­isterin Theresa May (re.).

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