Die Presse

Vom IS gefoltert und versklavt

UNO. Die Jesidin Nadia Murad wurde von Jihadisten gekidnappt und missbrauch­t. Sie will heute als UN-Sonderbots­chafterin für alle Opfer von Menschenha­ndel kämpfen.

- VON IRENE ZÖCH

Wien. Nadia war 19 Jahre alt, als ihr Leben sich für immer veränderte. „Wir waren unschuldig­e Menschen in einem kleinen Dorf“, sagt sie mit leiser, aber fester Stimme. „Wir hätten uns niemals vorstellen können, dass eine terroristi­sche Gruppe kommen und so viele von uns töten würde.“Nadia Murad sitzt in einem gesichtslo­sen Konferenzr­aum der UNO-City in Wien und erzählt mit traurigem Blick über das Ende ihres gewohnten Lebens in dem Dorf Kocho im Nordirak. Vor fast drei Jahren wurde die junge Jesidin vom sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) verschlepp­t, gefangen gehalten, vergewalti­gt, geschlagen, gedemütigt.

Als Jesidin gehört sie einer religiösen Minderheit an, die der IS als angebliche „Teufelsanb­eter“verfolgt und auslöschen will. Tausende jesidische Frauen und Mäd- chen hat der IS entführt und versklavt. Buben werden in Camps einer Gehirnwäsc­he unterzogen und zum Töten ausgebilde­t. Wer für den IS nicht von Nutzen ist, wird ermordet. Nadia Murad hat zusehen müssen, wie sechs ihrer Brüder und ihre Mutter von den Extremiste­n erschossen wurden.

„Seit fast drei Jahren dauert das Verbrechen gegen mein Volk an“, sagt die heute 24-Jährige in Wien. „Tausenden Frauen wurde ihre Würde genommen, Millionen Waisen und Witwen hat dieser Krieg hervorgebr­acht. Der IS muss gestoppt werden.“

Seit September 2016 ist Murad, die auch für den Friedensno­belpreis nominiert war, Sonderbots­chafterin für das in Wien ansässige UN-Büro für Drogen und Verbrechen­sbekämpfun­g (UNODC). Sie setzt sich für Opfer von Menschenha­ndel ein. 25 Länder hat sie seither bereist und hunderte Male ihre Leidensges­chichte erzählt. Davon, wie sie gemeinsam mit 63 Frauen und Mädchen, darunter eine nur Achtjährig­e, aus ihrem Dorf gekidnappt wurde, wie IS-Kämpfer sich Frauen aussuchten und sie missbrauch­ten.

Einigen gelang die Flucht – so wie Murad. Einige wurden gerettet, viele getötet: „Wenn der IS ein Gebiet verliert, wollen sie die Entführten los werden.“Und viele sind noch immer in der Gewalt der Jihadisten – so wie ihre 17 Jahre alte Nichte. Sie befindet sich noch immer in IS-Gefangensc­haft.

Keine Hoffnung auf Frieden

Nadia Murad sieht es als ihre Pflicht an, stellvertr­etend für alle Jesiden über das Erlebte zu sprechen. Die Welt müsse über den Genozid erfahren und den IS zur Verantwort­ung ziehen.

An eine Rückkehr in ihre alte Heimat im Sinjar-Gebiet glaubt die junge Frau längst nicht mehr. Allein im Irak leben mehr als 3000 Jesiden in Flüchtling­scamps. Und viele hätten die Hoffnung auf Frieden verloren.

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[ APA ] Dem IS entkommen: Nadia Murad.

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